Die Welt unter Strom. Arthur Firstenberg

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Die Welt unter Strom - Arthur Firstenberg

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Guglielmo Marconi seine eigene „Nadel“, einen Turm, der so hoch wie ein zwölfstöckiges Gebäude war. Darauf setzte er die Antenne für den ersten dauerhaft platzierten Radiosender der Welt. Marconi entließ mit den Drähten eine Elektrizität, die mit fast einer Million Zyklen pro Sekunde nahe dem Megahertz-Bereich vibrierte, und ließ sie durch die Luft strahlen. Er machte sich keinerlei Gedanken darüber, ob dies überhaupt sicher sei.

      Einige Jahre zuvor, und zwar 1890, hatte ein bekannter Arzt, der Direktor des Labors für Biologische Physik am Collège de France in Paris, bereits Untersuchungen zu der wichtigen Frage begonnen, die Marconi in dieser Form nicht stellte: Wie wirkt sich Elektrizität im Hochfrequenzbereich konkret auf lebende Organismen aus? Jacques-Arsène d’Arsonval war sowohl im Bereich der Physik als auch der Medizin hoch angesehen, und noch heute erinnert man sich seiner aufgrund der vielen Beiträge, die er auf beiden Gebieten geleistet hat. Er entwickelte hochempfindliche Geräte zur Messung von Magnetfeldern sowie der Wärmeerzeugung und Atmung bei Tieren. Er trug zu Verbesserungen des Mikrofons und Telefons bei. Außerdem entwickelte er eine neue medizinische Therapie, die d’Arsonvalisation oder Hochfrequenztherapie, die noch heute in den Ländern des ehemaligen Ostblocks praktiziert wird. Im Westen avancierte sie zur Diathermie, bei der Radiowellen therapeutisch zur Erzeugung von Wärme im Körper eingesetzt werden. Aber die reine d’Arsonvalisation ist eine medizinische Anwendung mit schwachen Radiowellen ohne die Erzeugung von Wärme, um so die in den frühen 1890er-Jahren von d’Arsonval entdeckten Effekte zu erhalten.

      Jacques-Arsène d’Arsonval (1851–1940)

      Er war der Erste, der beobachtete, dass die damals praktizierte Elektrotherapie keine einheitlichen Ergebnisse erbrachte. Daraufhin fragte er sich, ob dies darauf zurückzuführen sei, dass die Art und Weise, wie die Elektrizität angewendet wurde, nicht präzise genug war. Er entwarf daher eine Induktionsmaschine, die in der Lage war, vollkommen glatte Sinuswellen „ohne Spitzen oder Haken“1 zu erzeugen, die einem Patienten nicht schaden würden. Als er diese Stromstärke an menschlichen Probanden testete, stellte er – ganz wie er vorausgesagt hatte – fest, dass bei einer Dosis im therapeutischen Maßstab kein Schmerz verursacht wurde, sondern vielmehr starke physiologische Auswirkungen auftraten.

      „Wir haben gesehen, dass bei sehr stetigen Sinuswellen Nerven und Muskeln nicht stimuliert werden“, schrieb er. „Der Durchfluss des Stroms ist dennoch für eine tiefgreifende Veränderung des Stoffwechsels verantwortlich, wie der Verbrauch einer größeren Menge an Sauerstoff und die Produktion von erheblich mehr Kohlendioxid zeigt. Wenn sich die Gestalt der Welle jedoch ändert, erzeugt jede elektrische Welle eine Muskelkontraktion.“2 D’Arsonval hatte bereits vor 125 Jahren den Grund entdeckt, warum die heutigen digitalen Technologien, deren Wellen nichts als „Spitzen und Haken“ haben, so viele Krankheiten verursachen.

      Als Nächstes experimentierte D’Arsonval mit hochfrequenten Wechselströmen. Mit einer Modifikation des Funkgeräts, das Heinrich Hertz einige Jahre zuvor entwickelt hatte, setzte er Menschen und Tiere Strömen von 500.000 bis 1.000.000 Zyklen pro Sekunde aus. Die Anwendung erfolgte entweder durch direkten Kontakt oder indirekt durch Induktion aus der Ferne. Damit ähnelten sie den Frequenzen, die Marconi bald von der Isle of Wight aussenden würde. Bei keinem der Probanden stieg die Körpertemperatur an, bei allen sank jedoch der Blutdruck erheblich, ohne dass – zumindest bei menschlichen Probanden – dies von ihnen bewusst wahrgenommen wurde. D’Arsonval maß die gleichen Veränderungen des Sauerstoffverbrauchs und der Kohlendioxidproduktion wie bei niederfrequentem Strom. Diese Tatsachen bewiesen, schrieb er, „dass die höheren Frequenzströme tief in den Organismus eindringen“.3

      Diese frühen Ergebnisse hätten jeden, der mit Radiowellen experimentierte, zum Nachdenken bringen müssen, bevor die ganze Welt ihnen ausgesetzt wurde – zumindest hätten sie zur Vorsicht gemahnen müssen. Marconi war jedoch mit d’Arsonvals Arbeit nicht vertraut. Der Erfinder war größtenteils Autodidakt und ahnte nichts von den möglichen Gefahren des Radios und hatte keine Angst davor. Daher hatte er beim Einschalten seiner neuen Sendeanlage auf der Insel nicht die geringste Sorge, dass er sich selbst oder anderen Schaden zufügen könnte.

      Wenn Radiowellen gefährlich sind, hätte vor allem Marconi darunter leiden müssen. Mal sehen, ob das zutraf.

      Bereits 1896, nach anderthalb Jahren des Experimentierens mit Funkgeräten auf dem Dachboden seines Vaters, begann der zuvor gesunde 22-jährige junge Mann an hohem Fieber zu leiden. Er führte es auf Stress zurück und litt für den Rest seines Lebens an diesen wiederkehrenden Fieberanfällen. Um 1900 spekulierten seine Ärzte, dass er als Kind vielleicht unwissentlich rheumatisches Fieber gehabt hätte. Bis 1904 waren seine Schüttelfrost- und Fieberanfälle so stark geworden, dass man glaubte, es handele sich um einen Malaria-Rückfall. Zu dieser Zeit beschäftigte er sich mit dem Aufbau einer permanenten Hochleistungsfunkverbindung über den Atlantik zwischen Cornwall (England) und der Kap-Breton-Insel (Nova Scotia in Kanada). Weil er glaubte, dass größere Entfernungen längere Wellen erforderten, errichtete er auf beiden Seiten des Ozeans riesige Drahtnetz-Antennen über große Flächen hinweg, die an mehreren fast 100 Meter hohen Türmen angebracht waren.

      Am 16. März 1905 heiratete Marconi Beatrice O’Brien. Im Mai, nach ihren Flitterwochen, zog sie zu ihm in das Funkstationshaus in Port Morien am Kap-Breton, umgeben von 28 riesigen Funktürmen in drei konzentrischen Kreisen. Über dem Haus breiteten sich von einem Mittelpfosten ausgehend 200 Antennendrähte wie die Speichen eines großen Regenschirms mit einem Umfang von fast zwei Kilometern aus. Kurz nach ihrem Einzug setzte bei Beatrice ein Ohrenklingeln ein.

      Nach drei Monaten an diesem Ort erkrankte sie schwer an Gelbsucht. Als Marconi sie nach England zurückbrachte, lebten sie unter der anderen Monsterantenne in der Poldhu Bay in Cornwall. Sie war während dieser ganzen Zeit schwanger, und obwohl sie vor der Geburt nach London zog, war ihr Kind den größten Teil seines neunmonatigen fetalen Lebens mit starken Radiowellen bombardiert worden. Es lebte nur wenige Wochen und starb an „unbekannten Ursachen“.

      Von: W. J. Baker, A History of the Marconi Company, St. Martin‘s Press, N. Y., 1971

      Etwa zur gleichen Zeit erlitt Marconi selbst einen vollständigen Zusammenbruch und war von Februar bis Mai 1906 fast andauernd fiebrig und hatte Fantasien. Zwischen 1918 und 1921 litt Marconi während der Entwicklung von Kurzwellengeräten immer wieder an Depressionen und Selbstmordgedanken.

      Während der Flitterwochen mit seiner zweiten Frau Maria Cristina im Jahr 1927 kollabierte er mit Schmerzen in der Brust. Diagnostiziert wurde eine schwere Herzerkrankung. Zwischen 1934 und 1937, während seiner Mithilfe bei der Entwicklung der Mikrowellentechnologie, hatte er nicht weniger als neun Herzinfarkte, von denen der letzte im Alter von 63 Jahren tödlich war.

      Leute aus seinem Umfeld versuchten ihn manchmal zu warnen. Bereits nach seiner ersten öffentlichen Vorführung auf der Salisbury Plain im Jahr 1896 bekam er Briefe von Zuschauern, in denen sie verschiedene Nervenempfindungen beschrieben, die sie erlebt hatten. Als seine Tochter Degna diese später anlässlich der Recherchen für eine Biografie über ihren Vater las, war sie insbesondere von einem Brief einer Frau berührt, „die schrieb, dass seine Wellen ihre Füße gekitzelt haben“. Degna berichtete, dass ihr Vater häufig solche Briefe erhielt. 1899 baute Marconi die erste französische Station in der Küstenstadt Wimereux. Dort wurde er von einem Nachbarn überrascht, der ihn „mit einem Revolver“ bedrohte. Der Mann behauptete, dass die Funkwellen bei ihm starke innere Schmerzen verursachten – doch Marconi tat solche Geschichten als Hirngespinste ab.

      Ein möglicherweise noch ominöseres Vorzeichen war es, dass Königin Victoria von England, die in Osborne House (ihrem Anwesen am nördlichen Ende der Isle of Wight) residierte, eine Gehirnblutung erlitt und am Abend des

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