Das Grimmingtor. Paula Grogger
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Da konnte Raimund Winkler nicht umhin, laut aufzuseufzen. Es brauchten alle drei Stralzenbuben tüchtig ihren Herrn, sagte er. Und von diesem speziellen Exempel und Casus abgesehen, rate er jedem Schüler, sobald er sein zwölftes Jahr erreicht, sich einer höheren Fortbildung zu unterziehen.
Dies … pflichtete Vater Stralz mit Aufmerksamkeit bei … wäre seine Absicht und Beschließung. Die Wissenschaft über die Zustände des Lebens und der Natur sowie der Fertigkeit des Rechnens, Briefschreibens und Lesens stünde auch einem Bürger wohl an. Sollte aber sein Matthäus Fleiß und Findigkeit bekunden, alsdann wären ihm Vater und Mutter nie und nimmer hinderlich, geradewegs ein Studierter zu werden. Und er frage derohalben den hochwürdigen Prälaten, ob er gesonnen sei, das Kind in das Konvikt der Benediktinerabtei aufzunehmen.
Das Stiftsgymnasium habe bekanntlich ein Dekret Josephs des Zweiten abgetan, sagte Gotthard. Ob er das nicht wisse? Freilich wohl, entgegnete der Stralz. Indem solches aber an zwanzig Jahre her sei, habe der Hochwürdige Herr Prälat sicher wiederum eine bessere Schule instand gesetzt, schon zum Zwecke, daß die Sängerknaben lehrreich abgerichtet würden.
Der Abt sann eine Weile. Plötzlich aber schüttelte er den Kopf, als wenn er üble Gedanken fortwiese, und sprach zögernd.
Wäre der Stralz seinem Sohne ein regelrechtes Studium willig, so müsse er denselbigen nach Leoben bringen, allwo die gelehrtesten Patres von Admont die klassischen Sprachen sowie geistliche und weltliche Wissenschaft vortrügen.
Der Herr Vater gab keine Antwort.
Er wölle gelegentlich einer Reise nach Grätz, die sehr nahe befürstünde, in Leoben absteigen und mit dem Präfekten einer Rücksprache pflegen, schlug Gotthard vor.
Vater Stralz jedoch betonte itzt, daß er zu Admont einen leiblichen Bruder habe, in Leoben herentgegen nicht Freund noch Anverwandten, und daß er zu so gefährlicher Zeit den halbwüchsigen Buben nur ungern aus aller familiären Obhut ließe, maßen man die verheerenden Einbrüche der Franzosen stets zu gewärtigen habe und mithin ein Kind gar mancher Mißhandlung und Gewalttat wie auch dem bösen Beispiel schutzlos preisgebe.
Das Gymnasium befände sich aber im Dominikanerkloster, bemerkte Pater Isidor hinzutretend. Und der Prälat fügte nach abermaliger Überlegung bei, daß sich vorderhand auch keine Aussicht öffne, selbige Schule dem Stifte wieder einzuverleiben. Ein Majestätsgesuch, diesen Wunsch betreffend, wäre sogar nach dem Tode Josephs des Zweiten abschlägig beschieden worden.
Der Herr Vater gab keine Antwort.
Und Gotthardus sinnierte. Zunächst nicht über den Knaben oder den Vater Andreas Stralz, sondern über die Pflicht, welche ihn dringlich nach Grätz beordnete. Gleichsam als bleierner Alp lastete auf ihm das Gefühl der Verantwortung. Und er wußte genau, wie er, Schuld auf Schuld häufend, das Vermögen der Abtei verwirtschaftete, und wie in den Tagen stumpfer Gärung und allgemeinen Zerfalles seine Fähigkeiten förmlich schlaff wurden … Die südsteirischen Weingärten, die Wälder an Enns und Mur waren verpfändet, teilweise sogar verkauft, Hämmer und Herrschaften hintangegeben. Und schwere Summen an Geld und Geldeswert in vaterländischen Diensten verbraucht: nenne nur die Tatsach, daß man 1600 französischen Häftlingen zu Strechau und Röthelstein Kost wie Quartier angewiesen hatte, ferner ein Darlehen von 10 000 Gulden verlangte und bei der Repunzierung des Silbers 2500 fl. einzog, nicht zu vergessen der Brandschäden und Kontributionen, welche oft schonungslos auf Rechnung der Abtei gingen. Krankheit und Hunger untergruben die Ordnung bei Konventual wie Laien. Das Vieh reckte in Seuchen dahin, und die in Abhängigkeit vom Stifte lebenden Pfründner jammerten ihn durch ihre Armut. Gotthard war nicht der umsichtige Mann, aller dieser Obliegenheiten, Sorgen und Mängel Herr zu werden. Mit lebhaftem Temperamente und feinen Nerven begabt, so sich entweder verschwenden oder zum Zweck der Selbstschonung krankhaft verschließen, hätte er dem Studium, der Kunst oder Beschaulichkeit trefflich dienen können. Vielleicht, so sagte er sich in Gedanken, vielleicht hatte sein Weg in die Irre geführt … hatte Gott sich ihm verweigert …
Wo war die Zeit … als er, kaum dem Jünglingsalter entreift, zu San Callisto in Rom predigte und im Disput mit sechs Kardinälen das Kirchenrecht verfocht. Da hatte Pius der Sechste nach der Priestersalbung Gotthardus mit geistlichem Machtspruch halten wollen. Und ihm die Wahl geheißen zwischen den Lehrstühlen von Neapel und Florenz. Und mehr denn einen gab’s unter Klerikern wie Höflingen, der, sich bückend, Inful und Krummstab prophezeite … oder gar die römische Tiara.
Er aber ist in der Kutte Sancti Benedicti heimzu nach Admont gepilgert, mit groß entzückter Selbstentäußerung, welche seines Glaubens heiligte und den Menschen in ihm völlig ertöten sollt.
Ach, itzt nach dreißig Jahren wußte er’s: das war erst der Anfang gewesen. Gott hatte ihm gezeigt, daß jene, welche die Ehre und Eitelkeit verachten und fliehen, im Kreise zu ihr zurückgetrieben werden, damit sie, was schwer ist, unter vielen einsam blieben und durch Auszeichnung gedemütigt und durch ihre Kräfte versucht seien. Gott zeigte ihm, der sich einstmalen in der Stille seines Herzens gebrüstet, er wölle nicht Papst, sondern ein armer Mönch sein, Gott zeigte ihm, daß er unfähig war auch der Würde eines Abtes und aller geschäftlichen Observanz und Verwaltung, welche die bischöfliche Herrschaft zu Sekkau alias Grätz mit Recht verlangte.
Er seufzte.
Item, es stand als Endziel seiner Reise also die präzise Klarlegung der Verhältnisse bevor, und er ging diesem Augenblick mit Sorge entgegen. Gotthard schaute auf einmal dem Stralzen fest ins Gesicht und sprach unvermittelt: es sei die Kost in Admont schlecht, und das Kind müsse dort verhältnismäßig Hunger leiden. Das Gymnasium empfehle er. Und falls durch die Post, die Stiftspropstei oder den Pater Isidor bis zum Martinitag keine Absage käme, und falls es beliebe, so möge der Stralz mit seinem Sohne nach Leoben fahren.
Dieses Wort gab den Ausschlag, und sie besiegelten es mit einem Händedruck.
Aus dem Stuhle des Abtes stand eben der Bäck auf, welcher den Vertrag notdürftig gelesen und als zweiter unterschrieben hatte. Gotthardus stellte sich mit dem Blatt ans offene Fenster. Es wurde still; ein Beweis, daß die Öblinger den Stiftsherrn ehrten und sich zugleich auch für das Anhören der Urkunde bereit machten.
Die Sonne streifte eben noch am letzten Eisenstab fürbei. Große wunderlich gefärbte Wolken bewegten sich über die Tauernkette sanft dahin. Und die drei Mönche, die elf Bauern und der Schulmeister sahen, jeder das Seinige denkend, hinaus in die verklärte Fruchtbarkeit und Glorie des Herbstes, unsäglich reich; so daß dieser seines Besitzes stolz wurde, daß jener sich freute und ein dritter gelobte, ein weniges davon den Armen zu geben. Und Gotthardus, der Feinste, Klügste und Empfindsamste von ihnen, konnte plötzlich nicht begreifen, warum nur der Magister Raimund Winkler sein Anrecht auf die heilige Schöpfung mit Tinte, Feder und Petschierwachs mußte verbriefen.
Die Urkund lautete:
»Ich verpflichte und verbinde mich samt meinen Nachfolgern, das ich entweders in eigener Persohn oder durch andere Täglich zu Abendszeit um gebetleiten den Rosenkranz Betten will, weil mir zu den hauß ein Keller wird graben, ein Tachzimmer verfertigt, ein Schwein und Gaißsteilerl wie auch ein Holzofen wird aufzimert und über das ein Gartel ist zugetheilt worden. Mit diesen Beisaze das ich oder meine nachfolger an allen diesen Beraubet und verlustiget sein will, wen obgedachte Andacht unterlassen wird.
Dieses bezeige ich mit meinen Namen und Unterschrift, mit zweyen gegenwertigen und unterschriebenen Zeigen. Gefertigt in Öblarn den 30. Oktober 1806. Zeigen: Berghamer, Dorfrichter.
Joseph Salzinger |
Raimund Winkler
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