Das digitale Wirtschaftswunder. Michael Zettel

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Das digitale Wirtschaftswunder - Michael Zettel

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lang. Neben den erwähnten wären eine Remote-Behandlung von Erkrankten, die Quarantäne-Unterstützung und die Vermeidung von Ansteckung sinnvolle und durchaus machbare Anwendungen. Wir erinnern uns zum Beispiel an das Einreise-Chaos in Deutschland und Österreich im Sommer und die Lkws, die an den Grenzen festsaßen. Auch hier wurde mit Listen gearbeitet. Griechenland war eines der wenigen Länder in Europa, die – mit Technologie unterstützt – die Einreise koordinierten und im Griff hatten. Technologie hätte einen unschätzbaren Mehrwert für die Behandlung, den Schutz der Bevölkerung und der Wirtschaft ermöglichen können. Neben der Technologie-Skepsis war in Europa auch die Fragmentierung der Systeme eines der Hauptprobleme. Hätten wir die Hilfestellung der Technologie zugelassen, wären wir nicht nur erfolgreicher im Kampf gegen die Pandemie, sondern hätten auch in der Zeit von Lockdown und Social Distancing einen wesentlich höheren Grad an Freiheit erreichen können.

      Die Gretchenfrage, die sich für mich stellt, lautet: Warum lassen wir uns nicht von der Technologie im Kampf gegen Corona unterstützen? Die Technologie ist unser Verbündeter. Die Technologie-Skepsis in unserem Land wird mit Corona so richtig spürbar. Und es ist mehr als Skepsis, es ist eine Technologie-Feindlichkeit. Diese Feindseligkeit ist nicht nachvollziehbar und nicht erklärbar. Was müssen wir tun, um sie umzukehren, um die Österreicher zu motivieren, diese Technologie zu nutzen, einzusetzen, für jeden Einzelnen, für den Kampf gegen Corona, zum Eindämmen der zweiten Welle, aber auch fernab von Corona?

      Technologie verändert unser Leben. Das ist kein Geheimnis. Wir werden in Österreich den Siegeszug der Digitalisierung nicht aufhalten können – selbst wenn wir das aus unerfindlichen Gründen wollten. Wir haben nur die Wahl, sie zu nutzen oder sie zu bekämpfen. Aber dieser Kampf gegen eine der tiefgreifendsten Veränderungen und die Weiterentwicklung unserer Wirtschaft und Gesellschaft erinnern sehr an Don Quijote. Würde Österreich in all seiner Technologie-Feindlichkeit die Digitalisierung bekämpfen, wäre dies ebenso erfolgreich wie der Kampf des spanischen Ritters gegen die Windmühlen im 17. Jahrhundert. Aber wir wollen Österreich nicht zur neuzeitlichen Variante des „Ritters von der traurigen Gestalt“ machen, sondern wir wollen und wir können mit der Digitalisierung reüssieren, erfolgreich das nächste Kapitel der österreichischen Wirtschaftsgeschichte schreiben – mit der Digitalisierung zum Champion werden.

       KI IST DOCH NUR MATHEMATIK

      Jene Technologie, vor der die Österreicher gefühlt die größte Angst haben, ist künstliche Intelligenz (kurz KI). Das ist aus vielen Gründen faszinierend, denn künstliche Intelligenz ist nichts anderes als reine Mathematik, durch Computer „zum Leben“ erweckt. Denn mathematisch gesehen ist KI Klassifikation und Vorhersage. Die Magie von KI entsteht erst aus der Kombination von Daten plus Algorithmus plus Geschäftsrelevanz.

      Die genutzten Algorithmen sind jahrzehntealt. Die Geburtsstunde von KI liegt in den 1950er-Jahren. Also feiert die KI demnächst ihren Siebziger. Warum KI gerade jetzt gehypt wird? Wir haben erst heute die Technologie, die Datenverfügbarkeit und die Rechnerkapazitäten, diese umzusetzen und anzuwenden.

      KI ist aber neben Technologie und Hype ein Mythos geworden. Ein Mythos mit dem Nimbus des Jobkillers. KI hat etwas Bedrohliches in der öffentlichen Diskussion. Hollywood hat seinen Beitrag dazu geleistet. Die Schreckgespenster der KI sind die Halb-Mensch-halb-Maschine-Mutanten à la Terminator. Aber wie so oft hat die Hollywood-Fantasie wenig mit der Realität zu tun.

      Künstliche Intelligenz ist sicherlich die mächtigste Technologie, die heute verfügbar ist. Ihren Wert kann man in Zahlen messen und ihr Potenzial vorhersagen: Setzen wir KI klug ein, wird im Jahr 2035 unser Wirtschaftswachstum 3 Prozent betragen. Bliebe es beim bisherigen technologischen Niveau, läge das Wirtschaftswachstum nur bei 1,4 Prozent. Diese Rechnung zeigt eindrucksvoll die Macht und vor allem die Möglichkeiten von KI.

      Die Legende, dass KI der Jobkiller schlechthin sei, hält sich hartnäckig. Aber das Gegenteil ist der Fall: KI schafft Jobs, neue Jobs, interessantere Jobs. Künstliche Intelligenz wird sicher einen tiefgreifenden Wandel des Arbeitsmarktes bewirken – das steht außer Frage. Doch KI steht nicht für eine Verringerung von Arbeitsplätzen, sondern für eine Veränderung der Arbeitsinhalte. Projektbasierte und kreative Arbeiten nehmen zu, während man dem „Co-Arbeiter Maschine“ zeitgleich Routineaufgaben überträgt. KI automatisiert Aktivitäten, nicht Jobs. Entsprechend sieht eine Studie des Instituts für Höhere Studien lediglich 9 Prozent der Arbeitsplätze in Österreich durch Automatisierung in Gefahr. Zugleich können durch erfolgreiche Digitalisierung zahlreiche neue Arbeitsplätze entstehen. Dies war auch schon in der „guten alten Zeit“ so: Technologische Neuerungen haben Ressourcen freigesetzt. Die damit verbundenen Innovationen haben nicht in allen Branchen, aber in Summe stets zu mehr Arbeitsplätzen geführt.

      Auch wenn einzelne Berufsbilder verloren gehen, werden sie zum einen weiterentwickelt oder es entstehen neue. Dafür gibt es im Lauf der Jahrhunderte unzählige Beispiele vom Buchbinder über Sesselträger und Laternenträger, die für die Straßenbeleuchtung in der Stadt sorgten, bis hin zu den Wäschermädeln.

      Wir haben als Gesellschaft, als Unternehmen und als Individuen in diesem Wandel die Aufgabe, jene Skills zu entwickeln, die im KI-Zeitalter gebraucht werden, die eine Zusammenarbeit von Mensch und Maschine ermöglichen.

      Mit KI steigt die Produktivität der Beschäftigten in Österreich um 30 Prozent. Davon wird jeder Wirtschaftszweig profitieren. Manche Sektoren profitieren mehr als andere. Die Spitzenreiter sind die Industrie, der Handel und die Landwirtschaft. Dies hat besondere Relevanz, weil die Produktion und der Handel zwei Sektoren sind, die neben ihrem hohen KI-Potenzial einen bedeutenden Anteil an der gesamtösterreichischen Bruttowertschöpfung aufweisen.

      In der Produktion gibt es fünf Hebel der KI-Wertschöpfung:

      1 Intelligente Automation, die die traditionelle Automatisierungstechnik ersetzt und selbstlernend, autonom und proaktiv agiert.

      2 Verbessertes Urteilsvermögen, das durch Mustererkennung und Mensch-Maschine-Kollaboration entsteht. Denn KI erweitert die menschliche Intelligenz und ihre Stärken.

      3 Die erweiterte Interaktion: Mit KI erhält jeder das für sich passende Angebot. Bei Netflix bekommt man genau jene Filme vorgeschlagen, die einem gefallen. Und durch den Service-Chat benötigt man keine Bedienungsanleitung mehr.

      4 Intelligente Produkte: Smart Services differenzieren im Wettbewerb – mit datenbasierten und personalisierten Dienstleistungen.

      5 Verantwortungsvolle KI: Personalisierte und intelligente Produkte erhöhen das Vertrauen der Nutzer in das Produkt und den Hersteller. Die Ethik spielt darin eine wichtige und neue Rolle.

      Sich als Manager, als Mensch, als Mitarbeiter vor künstlicher Intelligenz zu fürchten ist, wie sich als Fußballer vor dem Elfmeter zu fürchten. Ja, man muss den Ball erst mal versenken, aber der Elfmeter bietet noch immer die größte Chance, das Tor zu schießen, den Punkt zu machen, das Spiel zu gewinnen und Champion zu werden – im Fußball wie in der Digitalisierung.

       DER SIEGESZUG DER PLATTFORMWIRTSCHAFT

      Amazon feierte bereits seinen 25. Geburtstag – dennoch ist Amazon das Synonym für die neue Disruption des Handels. Die jungen Wilden, die den alten Arrivierten zeigen, wie es geht. Die ihnen die Kunden abspenstig machen, die Gesetze im Handel neu schreiben. Auch wenn wir alle seit gut 15 oder gar fast 20 Jahren bei Amazon einkaufen, war der Corona-Lockdown von lautem und unwirschem Amazon-Bashing begleitet. Wenn der Postler den braunen Karton mit dem Amazon-Smiley vorbeibrachte, musste man ihn rasch verstohlen zur Seite räumen und hoffen, dass es der Nachbar nicht gesehen hatte. Wer bei Amazon kauft, gilt als Verräter, er schädigt die heimische

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