Das digitale Wirtschaftswunder. Michael Zettel

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so viel Sinn wie gegen die Gezeiten oder die Erdanziehungskraft zu kämpfen, dafür ist die Akzeptanz bei den Kunden einfach zu groß.

      Amazon ist keine virtuelle Shoppingmall, Amazon ist kein klassisches Geschäft, in dem ich gustiere und mir verschiedenste Dinge ansehe, überlege, in den Warenkorb lege und vielleicht jetzt oder doch beim nächsten Mal oder zu irgendeinem Anlass auf „buy“ clicke. Man geht auf Amazon mit der absoluten Kaufabsicht. Ich möchte das Buch, ich brauche den Wasserkocher. Ich suche ein Geschenk für meinen Neffen. Ich kaufe – mit 1-Click-Buy – und bekomme es im Prime-Programm am nächsten Tag geliefert. Amazon ist kein Shopping-Erlebnis, Amazon ist ein Besorgungsdienstleister – manchmal mehr Concierge oder Personal Assistant als Geschäft. Das macht Amazon so erfolgreich und Jeff Bezos so reich.

      Amazon ist das Maß aller Dinge punkto Angebot, Customer Experience und Qualität der Dienstleistung. Amazon definiert Online-Shopping. Denn Amazon hat die Plattformwirtschaft nicht nur verstanden, sondern miterschaffen. Sie haben sich diese singuläre Stellung hart erarbeitet, die jetzt so gern kritisiert wird. Und wie alle großen Trends, Erfolgskonzepte und Ideen werden wir in Österreich mit Amazon-Bashing diese Entwicklung nicht aufhalten. Was wir tun können, um die vorherrschende Marktposition einzudämmen und ein größeres Stück vom süßen Kuchen Online-Handel mitnaschen zu können? Das Erfolgskonzept kopieren, weiterentwickeln, etwas Österreichisches daraus machen!

      Amazon zählt neben Apple, Microsoft, Google und Alibaba zu den umsatzstärksten Unternehmen der Welt. Sie alle sind Plattformunternehmen. Österreichische Unternehmen können davon genauso profitieren. Eine Partizipation an der Plattformwirtschaft birgt enorme Potenziale für die heimischen Betriebe. Aktuell wird lediglich 1 Prozent der Umsätze über Online-Marktplätze in Österreich erwirtschaftet. Das entspricht gerade mal sieben bis acht Milliarden Euro. Um allein zu den europäischen Vorreitern aufzuschließen, müsste sich der Umsatzanteil über Plattformen in Österreich verdoppeln. Wir haben massiven Aufholbedarf in der Plattform-Ökonomie. Das betrifft KMUs genauso wie Konzerne und Großunternehmen. Es gibt in unserem Land nur ganz, ganz wenige Beispiele erfolgreicher Plattformen. „George“ der Erste Bank Group zählt dazu. Aber dazu später im Detail. Und das betrifft nicht nur konsumentenorientierte (B2C)-Unternehmen, wie heute noch viele glauben. Der nächste Trend sind geschäftsorientierte (B2B)-Plattformen. Weil die Einkäufer in den Unternehmen dieselben Personen sind, die in ihrer perfekten B2C-Welt shoppen. Sie haben im Business-Umfeld die gleichen Ansprüche in Sachen Customer Experience wie im privaten. Daran gilt es sich zu orientieren. Der Manager, der in seinem Privatleben komfortabel mit einem Click und Same-Day-Delivery einkauft, will nicht ein Fax schicken oder ein von Hand unterschriebenes PDF einscannen.

      In der Plattformwirtschaft gibt es – wie überall anders auch – nicht nur eine Antwort, kein „One size fits all“. Darum gilt es, individuelle Plattformstrategien zu entwickeln. Ein Anschluss an eine bestehende Plattform kann für das eine Unternehmen der richtige Weg sein. Man kann zum Beispiel eine Billigschiene auf einer herkömmlichen B2C-Plattform vermarkten und für die High-End-Produkte einen anderen Weg wählen. Ebenso besteht eine Option darin, über eine eigene Plattform nachzudenken – nicht als Konkurrenz zum Riesen Amazon, sondern in definierten Nischen. Und schlussendlich gibt es geschlossene Plattformen – insbesondere im B2B-Bereich. Diese sind dann passend, wenn man eine geschlossene Gruppe von Zielkunden hat. Ein überaus interessanter Aspekt der Plattform-Ökonomie ist die Offenheit. Will ich meine Leistungen mit Angeboten Dritter erweitern? Mein Portfolio wächst, aber meine Partner haben damit Zugang zu meinen Kunden – definitiv eine komplexe strategische Entscheidung.

      Manager müssen sich heute die Frage stellen: Wie und welche Plattform kann mich weiterbringen, um meinen Umsatzanteil und meine Wertschöpfung zu erhöhen? Dazu gilt es eine Strategie zu entwickeln und diese rasch und präzise umzusetzen. Wir müssen jetzt Geschwindigkeit aufnehmen, damit Europa und Österreich von der Plattformwirtschaft nicht überrollt wird. Ein erstes Ziel, ein Etappenziel auf dem Weg zum Plattform-Champion ist, innerhalb von zwei bis drei Jahren 20 bis 30 Prozent der Umsätze im Kerngeschäft online via Plattform zu erwirtschaften, sofern das von Produkt und Dienstleistung her möglich ist. Plattformen sind ein Game Changer – im Consumer-Bereich und demnächst im Business-Bereich. Die Plattform-Strategie wird bald, sehr bald entscheiden, wo Ökonomien und Unternehmen stehen.

       DATENSCHUTZ ALS WACHSTUMSKILLER?

      Daten sind das „neue Gold“ oder das „neue Erdöl“ – diese und ähnliche Vergleiche haben eines gemeinsam: Sie hinken. Denn Daten sind nicht nur als Rohstoff zu sehen. Jener Teil, der persönliche Daten sind, ist Teil von uns beziehungsweise unserer technologischen Identität. Das macht sie besonders wertvoll und das bedeutet für jene, die sie nutzen, Verantwortung zu übernehmen.

      Die Technologie-Skepsis kommt bei der Datenschutz-Thematik besonders zu tragen. Österreich hat eine besondere Beziehung zum Datenschutz. Der weltweit führende Datenschützer, Max Schrems, ist Österreicher. Seine Arbeit wird gern als Kampf Davids gegen Goliath Mark Zuckerberg gefeiert. Nicht, dass man alles gutheißen muss, was Mark Zuckerberg tut, aber die zutiefst skeptische rückschrittliche Einstellung der Datennutzung gegenüber wird uns nicht voranbringen und kann uns in unserer Entwicklung in vielerlei Hinsicht hemmen. Datennutzung ist Realität. Sie wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zunehmen – um das zu wissen, muss man kein Prophet sein. Sie blind zu bekämpfen ist kontraproduktiv, sinnlos und unserer Wirtschaft, dem Wohlstand sowie der Gesellschaft und damit den Menschen gegenüber verantwortungslos. Es gilt sie vielmehr verantwortungsbewusst zu nutzen.

      Datenschutz wird in Europa vornehmlich aus der Konsumenten-Perspektive wahrgenommen. Der Grundgedanke der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), dem Kunden die Hoheit über die Daten zu geben, ist dabei grundsätzlich lobenswert und durchaus nachvollziehbar. Wenn aber Unternehmen ernsthaft überlegen müssen, ob sie E-Mail als Kommunikationskanal zum Kunden nicht sperren müssten, weil es den Datenschutz verletzt, dann ist die Umsetzung eine ernsthaft zu hinterfragende Katastrophe. Das Geburtstags-E-Mail darf nicht von der Marketing-Abteilung verschickt werden; und die absurdeste Diskussion in der Datenschutz-Euphorie war wohl jene, in der es darum ging, ob die Sprechanlagen bei den Wiener Gemeindebauten die Namen tragen dürfen oder nur nummeriert werden sollen.

      Die große Problematik der Datenschutz-Grundverordnung ist allerdings die Rechtsunsicherheit. Es geht nicht klar hervor, was erlaubt ist und was nicht. Unternehmen müssen sich entscheiden, ob sie im Graubereich agieren oder viel Zeit und Geld investieren, um besonders vorsichtig zu sein und jedes neue IT-Projekt auf den Datenschutz hin rechtlich zu prüfen. Diese unklare Situation und der starke Datenschutz sind ein Wettbewerbsnachteil, den sich Europa den USA gegenüber freiwillig auf Jahrzehnte einhandelt. Wir errichten damit neue Grenzen und erschweren Wirtschaftswachstum und Innovationskraft. Wir dürfen aus dem Datenschutz keinen Wachstumskiller machen. Die nationalen Regeln, Gesetze und Vorschriften sind oft gut gemeint, aber das kann auch – wie so oft – zum Gegenteil von gut werden. Mehr als 100 Länder weltweit haben in den letzten 20 Jahren nationale Datenschutzgesetze erlassen. Aber unsere Wirtschaft, die digitale Wirtschaft der Zukunft, basiert auf der Nutzung von Daten. Diese Gesetze behindern den freien Fluss von Daten, von IT-Produkten, IT-Dienstleistungen und den bei uns dringend benötigten IT-Fachkräften. Wir brauchen eine Balance zwischen notwendiger Regulierung und erforderlicher Freiheit – keine Schieflage.

      Konkret bedarf es einer harmonisierten Gesetzgebung in der EU, denn jedes Land interpretiert die europäische Grundlage in Details unterschiedlich. Vor allem benötigt es auch Verordnungen, die aufbauend auf einer europäischen und nationalen Datenstrategie explizit rechtssicheren Raum schaffen und zum Beispiel die Frage der Datennutzung in Europa klären.

      Generell muss unser Zugang zu Daten sich am Nutzen orientieren: Was bringt die Datenverwendung, was kann ich damit erreichen? Und dann natürlich die Abwägung der Risiken und Gefahren, die dem entgegenstehen. Leider betrachten wir im Moment fast ausschließlich die Risiko-Perspektive, und viel zu selten wird der Nutzen in den Vordergrund gestellt

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