Das Unbehagen im Frieden. Peter Fischer
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Das vorliegende Buch geht der Frage nach, ob eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Sättigung nicht auch dazu führen kann, dass wir plötzlich wieder nach rechts abdriften. In anderen Worten: Wir behaupten, dass es Menschen in besonders guten Zeiten so „langweilig“ werden kann, dass sie dann wieder „action“ suchen. Gesellschaftliche Umwälzungen sind dabei ein willkommener Anlass, denn sie sind neu, spannend, aufregend. Man weiß nicht, was am Ende rauskommt. Es kommt einem so vor, als ob es für viele Menschen nach einer langen Phase des Friedens und Wohlstands wieder an der Zeit ist, etwas zu „zündeln“. Wer aktuell in die Welt blickt, sieht so oft einen Rechtsruck und gesellschaftliche Experimente: Trump, Brexit, die AfD. Die Wähler heben dabei Menschen ins Amt, die das negative Potenzial haben, die gesellschaftlichen Verhältnisse radikal zu ändern. Sie gehen das Risiko ein, dass dies alles nicht gut gehen wird. Dennoch: Sie gehen es überall auf der Welt ein. Ähnliche Effekte kennt man auch aus dem psychologischen Labor. Beispielsweise konnten Timothy Wilson und Kollegen (2014) in ihrer Studie eindrucksvoll zeigen, dass sich Menschen lieber einen leichten Schmerz zuführen, als gar keine Ablenkung (sensorischen Input) zu erhalten. In dieser Studie mussten Versuchspersonen 15 Minuten in einer reizarmen Umgebung, sprich ohne Bilder an den Wänden, ohne etwas zum Lesen oder dem Handy, warten. Die einzige Vorgabe bestand darin, sich durch Gedanken an ein frei gewähltes Thema selbst zu beschäftigen und wach zu bleiben. Zusätzlich hatten die Teilnehmer die Möglichkeit sich während dieser Zeit leichte Elektroschocks über eine Elektrode zu verpassen. Das erschreckende Ergebnis: Mehr als zwei Drittel der männlichen Versuchspersonen und jede vierte weibliche Teilnehmerin erteilte sich freiwillig während der Wartezeit mindestens einen leichten Elektroschock.
In dieser Abhandlung wird der Effekt des Wohlstandsübermutes aus verschiedenen psychologischen Perspektiven beleuchtet. Wir werden moderne psychologische Theorien und Erkenntnisse auf diesen Effekt anwenden. Hierdurch wird offensichtlich, dass es insgesamt sehr viele empirische Belege dafür gibt, dass wir Menschen ein großes Problem damit haben, positive Zustände wie Frieden, Wohlstand und Freude langfristig „auszuhalten“. Die hier geschilderten psychologisch-theoretischen Ansätze umfassen sowohl individualpsychologische Erklärungen als auch gruppenpsychologische Erklärungen. Aus unserer Sicht ist dies aktuell einer der seriösesten und hilfreichsten Herangehensweisen an die Vorhersage von menschlichem Verhalten.
Die klassische und moderne Persönlichkeitspsychologie (Individualpsychologie) zeigt, dass in uns allen bestimmte Persönlichkeitseigenschaften stecken. Diese sind zum einen biologisch angelegt und zum anderen in der frühkindlichen (und zum Teil auch späteren) Sozialisation erlernt worden. Das Zusammenspiel von Biologie und Umwelt ergibt das, was wir „Persönlichkeit“ nennen. Alle Menschen sind absolut heterogen in den Ausprägungen und Kombinationen ihrer Persönlichkeitseigenschaften; kein Mensch ist in seiner Persönlichkeit identisch mit einem anderen Menschen (zumindest wäre dies extrem unwahrscheinlich). Allerdings gibt es gewisse gemeinsame Nenner wie zum Beispiel die sogenannten „Big Five“. Nach einer längeren Entwicklungsgeschichte dieses Persönlichkeitsmodells waren es unter anderem Costa und McCrae (1992), die zeigen konnten, dass die DNA menschlicher Persönlichkeit grob in fünf messbare Eigenschaften eingeteilt werden kann: Neurotizismus (emotionale Labilität), Extraversion (Geselligkeit), Offenheit für Erfahrung, Gewissenhaftigkeit und soziale Verträglichkeit (Rücksichtnahme und Empathie).
Die Persönlichkeit eines Menschen ist maßgeblich für seine Entscheidungen und sein Verhalten verantwortlich. Ein Ziel der Psychologie besteht darin, Verhaltensweisen zu prognostizieren. Meist geschieht dies dadurch, dass Prognosen aufgrund von Wahrscheinlichkeiten gemacht werden. Ein Studienergebnis einer Meta-Analyse von Wicker aus dem Jahr 1969 etwa zeigt eine teilweise große Spanne zwischen unserer Einstellung zu einer Sache und unserem späteren tatsächlichen Verhalten. Sprich, was Menschen sagen, stimmt nur zu etwa einem Drittel mit dem überein, was sie später auch wirklich tun – und das, obwohl uns allen viel daran gelegen ist, konsistent, vorhersagbar und damit vertrauenswürdig zu erscheinen. Das spezifische Verhalten von Einzelnen lässt sich zwar grundsätzlich schwer vorhersagen, aber immer noch am besten mit den Erkenntnissen der Persönlichkeitspsychologie. Man erinnere sich nur an den Skandal um Cambridge Analytica (2018), denen vorgeworfen wird, dass sie auf Basis von Facebook die Daten (Likes) von Millionen von Nutzer entsprechend der Big Five eingeteilt haben, um damit vorherzusagen, wer potenziell Trump-Wähler sein könnte oder nicht. Entsprechend dieser psychologischen Analyse kann zudem die Einstellung von Wählern durch eine entsprechende Kommunikation manipuliert werden. Mögliche Methoden sind hier zum Beispiel die maßgeschneiderte (Wahl-)Werbung, die den Empfänger in seinem Verhalten beeinflussen soll (Cadwalladr, 2018). Der Psychologe Michal Kosinski und seine Kollegen hatten bereits im Jahr 2013 gezeigt, wie zu diesem Zeitpunkt leicht zugängliche Facebook-Daten dazu verwendet werden können, um Aussagen über Personen zu machen: etwa über deren sexuelle Orientierung, kulturelle Abstammung, Persönlichkeit, Intelligenz oder eben auch ihre politische Orientierung (Kosinski, Stillwell, & Graepel, 2013).
Wie bereits angesprochen, sind Menschen aber nicht nur Individualwesen. Neben unseren Individualausprägungen sind wir auch absolute „Gruppenwesen“, und so leiden wir sehr, wenn wir aus Gruppen ausgeschlossen werden (vgl. Williams, 2001). In einer Vielzahl von Studien konnten ForscherInnen um Kipp Williams zeigen, dass soziale Ausgrenzung desaströs negative Effekte auf das psychologische Wohlbefinden und die soziale Entwicklung von Menschen hat (Williams, 2007). Das geht so weit, dass – wie neurowissenschaftliche Studien belegen – durch das Gefühl des Ausgeschlossenwerdens unser Gehirn ein ähnliches Muster aktiviert, wie beim Empfinden von körperlichem Schmerz (vgl. Eisenberger, Lieberman und Williams, 2003). Oder einfacher gesagt: Sozialer Schmerz „tut ähnlich weh“ wie körperlicher Schmerz. Daraus lässt sich überzeugend ableiten, wie wichtig Gruppen für uns sind. Sie waren und sind in der evolutionären Entwicklung unseres Gehirns ein entscheidender Faktor. In Gruppen lässt es sich wesentlich besser überleben, lassen sich wesentlich größere und ressourcenintensive Projekte bewerkstelligen als durch eine einzelne Person. Die moderne Gruppenpsychologie zeigt in einer Vielzahl von Forschungsschwerpunkten, wie sehr und wie stark wir uns durch wahrgenommene Gruppenmitgliedschaft beeinflussen lassen. Überlegen Sie mal, wie leicht wir uns in Gruppen einteilen lassen: beim Sport, in der Arbeit oder auf einem Fest. Meist reichen schon physische Merkmale wie Haarfarbe oder Augenfarbe (siehe die klassischen Studien von Sherif, 1966; Sherif & Sherif, 1953; siehe auch Haslam, 2004).
Die Vergangenheit hat es bereits bewiesen: Zahlreiche großartige Leistungen der Menschheit konnten nur in Gruppen realisiert werden. Hierfür finden sich unzählige Beispiele, wie etwa die Internationale Raumstation ISS oder auch die Erbauung Roms. Aber auch