Ruanda. Gerd Hankel

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Anstrengung bedarf. Das Bereuen eigener Sünden gehöre ganz besonders dazu, was allerdings erfordere, sie erst einmal als solche anzuerkennen. Ohne das Eingeständnis eigener Fehler, so schlimm sie auch gewesen sein mögen, sei kein Friede möglich. Und wer dies zu Lebzeiten nicht versuche, könne später auch nicht auf die Erlösung im Paradies hoffen.

      Derart eingestimmt, hören die Gefangenen dann der Gefängnisleiterin zu, die in einer kurzen Ansprache darüber informiert, was in den nächsten zwei Stunden zu sehen und zu hören sein wird. Um die Vergangenheit soll es gehen, um Verbrechen, die den Namen Ruandas auf traurige Weise in der ganzen Welt bekannt gemacht hätten und die nun, so sei beschlossen worden, in einer Weise aufgearbeitet werden sollen, die neu sei, und zwar ebenfalls in der ganzen Welt. Mehr wolle sie dazu jetzt nicht sagen, sondern das denen überlassen, die speziell zu diesem Zweck heute gekommen seien. Damit geht sie über zur Begrüßung und Vorstellung der Mitarbeiter von Internews, des Vertreters des Justizministeriums sowie des Gacaca-Beauftragten der Provinz Byumba. Nach jeder Namensnennung klatschen die Gefangenen höflich und auch ich, der ich nach den Worten der Gefängnisleiterin von weit her gekommen bin, um Ruandas Umgang mit der Vergangenheit kennenzulernen, werde mit Applaus bedacht. Die kurze Ansprache schließt mit der Ermahnung, offen zu sein für das, was gleich komme, und keine Scheu zu haben, Fragen zu stellen.

      Dann beginnt der Film. Zu sehen ist zunächst eine Bildersequenz mit Aufnahmen vom Völkermord. Machetenschwingende Männer auf dem Weg zu einem Mordeinsatz; Straßensperren, an denen einzelne Personen aus einer Gruppe von Menschen herausgegriffen und getötet werden; ein fußballfeldgroßer Platz übersät mit Leichen, Männer, Frauen und Kinder grässlich verstümmelt in der Sonne liegend, deren Licht das Rot des Blutes zur dominierenden Farbe macht. Dieses Bild, die Hunderten von Toten auf einem Platz, begleitet die Zuschauer den gesamten Film über. Jedes Mal eingeblendet, wenn ein neues Thema angesprochen oder ein altes wieder aufgegriffen wird. Und jedes Mal ist die Reaktion des Publikum die gleiche: ein Aufstöhnen geht durch die Reihen, einzelne Rufe der Entrüstung sind zu hören, Blicke werden gesenkt und Augen mit Händen verdeckt.

      Am Ende des Rückblicks auf den Völkermord ertönt eine Stimme aus dem Off. Drei Gerichtsbarkeiten, erklärt sie, seien derzeit mit der Ahndung der Völkermordverbrechen befasst. Die Erste sei das internationale Tribunal in Arusha. Es urteile über die, die den Völkermord geplant und organisiert hätten, die ihre hohe Stellung in Staat und Gesellschaft für ihre verbrecherischen Ziele missbraucht hätten und daher als die Hauptverantwortlichen anzusehen seien.

      Die nächste Einstellung zeigt dann den Verhandlungssaal in Arusha. Ein Mann, ein Weißer, sitzt auf der Anklagebank, den Kopf mit einer Mütze bedeckt, und antwortet auf Fragen, die das Gericht ihm stellt. Der Name des Mannes und die ihm später zugedachte Strafe – zwölf Jahre Gefängnis – sind kaum auf der Einblendung am unteren Bildrand gelesen, als die erste Antwort kommt: Er heiße Georges Ruggiu, sei belgischer und italienischer Staatsangehöriger und habe von Anfang Januar 1994 bis Mitte Juli desselben Jahres als Rundfunkjournalist für den ruandischen Radio- und Fernsehsender Radio-Télévision Libre des Mille Collines gearbeitet. Er habe in seinen Sendungen dazu aufgerufen, »Kakerlaken« (inyenzi) – Tutsi und ihre oppositionellen Hutu-Verbündeten – zu töten. »Sich an die Arbeit machen« habe er die von seinen Zuhörern geforderte Handlung genannt. Warum er nach seiner Festnahme 1997 jahrelang seine Unschuld beteuert, sich aber schließlich entschlossen habe, ein umfassendes Geständnis abzulegen, könne er nur so beantworten, dass er lange gebraucht habe, um sich über die Tragweite seines Verhaltens klar zu werden. »Ich habe erkannt«, so Ruggiu an das Gericht und mittels Kamera auch direkt an den Zuschauer gerichtet, »dass es eine direkte Verbindung zwischen dem, was ich gesagt habe, und dem Tod vieler Menschen gab. Ich sah es daher als meine moralische Pflicht an, mich schuldig zu bekennen.« Weil er geständig gewesen sei und die Wahrheit gesagt habe, sei er nur zu einer vergleichsweise milden Strafe verurteilt worden, ergänzt die Stimme aus dem Off.

      Dann: das einen Übergang ankündigende Leichenfeld, das Aufstöhnen des Publikums, und ein anderer Angeklagter des Arusha-Gerichts wird eingeblendet, Athanase Seromba, ein Ruander. Er war, so erfahren wir, im April 1994 katholischer Geistlicher und Priester in der Gemeinde Nyange in der Provinz Kibuye. Dort soll er, wie das Gericht ihm anhand der Anklageschrift vorhält, verantwortlich oder zumindest mitverantwortlich sein für den Tod von weit mehr als tausend Tutsi, die sich vor den feindseligen Hutu-Milizen in die Gemeindekirche geflüchtet hatten. Da die Milizen wegen der soliden Türen und des dicken Mauerwerks der Kirche nicht an die Flüchtlinge herankommen und deshalb, mehr zufällig, nur Einzelne töten konnten, habe Seromba, so erfahren wir weiter, einen Bulldozer bestellt, um die Kirche zu zerstören. Allein durch das einstürzende Dach seien schon sehr viele getötet worden, doch die Milzen hätten nun freie Bahn gehabt und die Überlebenden im Innern der Kirche mit Gewehren, Keulen und Macheten umgebracht. Nur wenige hätten, versteckt unter Leichenbergen, das Massaker überlebt.

      Ob er sich schuldig bekenne, fragt ihn die Richterin. »Nicht schuldig«, lautet die spontane Antwort Serombas, und sie ist noch nicht ganz verklungen, da zeigt die Kamera Bilder von einer zerstörten Kirche, in die die Stimme eines Mannes hineinspricht, der beschreibt, wie er mit einem Bulldozer die Kirche zerstören und später die Leichen in eine Grube schieben musste. Als die Kamera den Mann ins Bild nimmt, ist ein Gefangener in rosafarbener Gefängniskleidung zu sehen, der, während er im Gefängnis von Kibuye spricht, von weiteren Gefangenen umgeben ist, die wie er wegen des Massakers in der Kirche von Nyange bereits verurteilt worden sind und jetzt übereinstimmend aussagen, dass es der Priester Athanase Seromba gewesen sei, der damals, im April 1994, darauf bestanden habe, einen Bulldozer einzusetzen. Auch ein Überlebender kommt zu Wort. »Ich habe den Priester Seromba gesehen, als die Kirche zerstört wurde«, sagt er, um sich nach kurzer Überlegung verwundert zu fragen: »Wie kann er behaupten, dass er unschuldig ist?«

      Schnitt. Wieder das Leichenfeld, wieder das Aufstöhnen der Zuschauer. Dann der Gerichtssaal von Nyanza, einer ruandischen Stadt südlich von Kigali. Das Strafgericht verhandelt gegen fast ein Dutzend Angeklagte, allen werden Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Es ist der Moment der Urteilsverkündung. Die Angeklagten stehen vor der Richterbank, es sind Männer zwischen 30 und 60 Jahren. Direkt hinter ihnen sitzen dicht gedrängt die Zuhörer, die jedes Wort des Vorsitzenden Richters aufmerksam zu verfolgen scheinen. Fünfmal die Todesstrafe, Freiheitsstrafen von sechs Jahren bis lebenslänglich, dreimal Freispruch verkündet er, und außerdem haben die Verurteilten hohe Schadensersatzleistungen an die Opfer bzw. Überlebenden zu leisten. »Das Gericht hat alles in allem ein gutes Urteil gefällt«, meint ein Mann, als er nach der Verhandlung nach seiner Meinung gefragt wird. Und weiter: »Mehr konnten die Richter nicht machen, auch wenn noch viele Fragen offen bleiben.« Was für Fragen das sind, erklären andere. »Die Angeklagten haben nicht die ganze Wahrheit gesagt. Ich weiß, dass einer, der nur sechs Jahre bekommen hat, einen Mord begangen hat. Ich habe es selbst gesehen«, gibt jemand zu bedenken. Ein anderer wirft ein: »Gerechtigkeit? Nein, die gibt es hier nicht für uns Überlebende. Die Strafen sind viel zu niedrig. Was wirklich passiert ist, hat das Gericht nicht aufdecken können.« Eine Frau schließlich bringt das verbreitete Unbehagen auf den Punkt: »Wir hätten die Täter selbst befragen müssen. Dann hätten sie sich nicht, unterstützt von ihren Anwälten, herausreden können.«

      Wahrheit, Gerechtigkeit, Strafe – drei Begriffe, die für ihre volle Bedeutung, auch und vor allem für den Versöhnungsprozess, offensichtlich eine andere Form der Justiz benötigen. Das ist die Folgerung, die sich allen Zuschauern geradezu aufzwingt. Welche Form der Justiz das sein könnte, daran lässt der Film keinen Zweifel. Es ist die Gacaca-Justiz. Damit nähert sich die Veranstaltung ihrer eigentlichen Botschaft. Getreu der verbreiteten pädagogischen Grundregel, die Adressaten einer Botschaft »dort abzuholen, wo sie stehen«, beginnt die nächste Filmsequenz mit Aufnahmen von Gefangenen, die wie die meisten Zuschauer im Lagerraum Zivilkleidung tragen. Wir hören wieder die Stimme aus dem Off, die nun von der Religion spricht, die beiden, Tätern wie Opfern, bei der Aufklärung der vergangenen Verbrechen hilft. Den Tätern, indem sie es ihnen zur Gewissenspflicht macht, die Völkermordtaten zu gestehen und die Opfer um Verzeihung zu bitten. Den Opfern, indem sie ihnen

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