77 Fehler und Irrtümer in der Notfallmedizin. Группа авторов

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77 Fehler und Irrtümer in der Notfallmedizin - Группа авторов

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eingedrückt.

      Die noch im Fahrzeug sitzende Beifahrerin ist voll orientiert. Sie hat einen stabilen Kreislauf und eine unauffällige Atmung, allerdings blutet sie stark aus einer klaffenden frontalen Kopfplatzwunde. Ihr linkes Bein ist zwischen Sitz und Armaturenbrett eingeklemmt, ohne dass Verletzungen daran zu erkennen sind.

      Ein dreijähriges Kind, das auf der Rückbank im Kindersitz gesessen hatte, wird bereits von einem Rettungsassistenten betreut. Die körperliche Untersuchung ergibt zunächst keinerlei Auffälligkeiten.

      Der Fahrer des PKWs wird gehend und völlig verzweifelt direkt neben der eingeklemmten Patientin angetroffen. Er kann nur mit sanfter Gewalt von dem Unfallauto weg geschoben werden, da er sich offensichtlich Vorwürfe macht, den Unfall durch einen Streit während der Fahrt verschuldet zu haben.

      Während die Kopfplatzwunde der eingeklemmten Patientin versorgt wird, klagt sie über allmählich zunehmende Kopfschmerzen. Da ihr Ehemann kaum beruhigt werden kann und die Erstmaßnahmen und die Rettung durch die Feuerwehr zunehmend behindert, bittet der genervte Notarzt die Polizei darum, ihn von der unmittelbaren Einsatzstelle zu entfernen.

      Nach 15 Minuten ist die Patientin aus dem Fahrzeug befreit und wird in den RTW gebracht. Zusätzlich zu den Vorbefunden zeigt sich eine Schwellung am Außenknöchel, sodass neben der Kopfplatzwunde nun auch noch der Verdacht auf eine Sprunggelenksfraktur besteht. Die Patientin ist weiterhin stabil und nach wenigen Minuten im Rettungswagen für den Transport vorbereitet.

      Vor Abfahrt des RTW geht der Notarzt noch einmal in den Polizeibus, um den Fahrer des Unfallfahrzeugs über das weitere Vorgehen zu informieren. Er findet ihn blass und gekrümmt neben einem Polizisten, welcher ein Protokoll ausfüllt, sitzend vor. Der sofort gemessene Blutdruck liegt bei 105/65, die Herzfrequenz bei 110/min, die Bauchdecke ist bretthart. Darmgeräusche sind nur spärlich zu hören.

      Der Notarzt legt sofort drei großlumige venöse Zugänge und fordert einen zweiten RTW an. Da bis zu dessen Eintreffen mehr als zehn Minuten vergehen werden, wird die klinisch stabile Beifahrerin zunächst in den Bus der Polizei gebracht und der Patient mit dem Rettungswagen mit Sondersignal in die nächste Klinik gebracht. Dort bestätigt sich der Verdacht einer Milzruptur.

      Hintergrund

      Die Aufmerksamkeit aller Ersthelfer wird bei Verkehrsunfällen mit mehreren Beteiligten oft durch Ersteindrücke wie offensichtliche Frakturen, stark blutende Wunden und die Beteiligung von Kindern gebahnt.

      In besonderem Maße wird dabei die Aufmerksamkeit vor allem eingeklemmten Personen zuteil, während herumlaufende Unfallbeteiligte ohne offensichtlich sichtbare Verletzungen oft vorschnell als „unverletzt“ eingestuft werden.

      Selbst bei nur zwei oder drei Unfallbeteiligten ist eine erste „kleine Triage“ unverzichtbar und die Grundlage für eine ausreichende Nachforderung von Rettungsmitteln.

      Zeitliche Verzögerungen in der Versorgung von Unfallverletzten sind sehr häufig auf organisatorische Fehler wie verspätete Nachforderungen oder verfrühte Abbestellungen von Rettungsmitteln zurückzuführen, die letztendlich in der Verantwortung des zuerst eintreffenden Notarztes liegen.

      Auch bei Unfallbeteiligten, die bei der ersten Sichtung keine wesentlichen Auffälligkeiten aufweisen, sollte in jedem Fall eine adäquate Betreuung durch Fachpersonal sichergestellt werden, um auf eventuelle Verschlechterungen sofort reagieren zu können.

      Fehler und Gefahren

       Verzögerte Diagnosestellung, da die Aufmerksamkeit durch offensichtliche Frakturen, stark blutende Wunden oder die Beteiligung von Kindern gebunden wurde.

       Wegen der fehlenden Aufmerksamkeit gegenüber allen Unfallbeteiligten kommt es zu organisatorischen Verzögerungen im Einsatzablauf.

       Häufig falsche Festlegung der Transportpriorität.

       Gefahr der Verlagerung des „Chaos“ in die aufnehmende Zielklinik.

      Fehlervermeidung

       Alle Unfallbeteiligten sind Patienten.

       Keine individualmedizinischen Maßnahmen vor kompletter Sichtung aller Unfallbeteiligten.

       Auch bei wenigen Unfallbeteiligten immer eine erste Triage durchführen, Prioritäten setzen und für ausreichende Nachforderung von Rettungsmitteln sorgen.

       Keine voreilige Abbestellung von anfahrenden Rettungsmitteln.

       Nachforderung von Rettungsmitteln erst nach kompletter Sichtung.

       Die erste Sichtung hat nie den Anspruch, definitive Diagnosen zu stellen, sie dient lediglich zur Festlegung der organisatorischen Entscheidungen und der ersten Behandlungsprioritäten.

       Nach einer solchen Sichtung muss die Situation deshalb also immer noch als „dynamisch“ verstanden und gegebenenfalls flexibel auf sie reagiert werden.

       Man sollte sich niemals durch aufgeregte Patienten von den eigenen Prinzipien abbringen lassen.

      Die Besatzung eines Rettungswagens wird zu einer 35-jährigen Patientin entsandt, deren Angehörige den Rettungsdienst wegen starker Atemnot bei extremer Unruhe riefen.

      Die Besatzung des RTW trifft auf eine agitierte Patientin, die kaum ansprechbar am Küchentisch sitzt und nach Luft ringt. Die Haut ist kühl, die Atemfrequenz beträgt 36/min. Ein Blutdruck kann aufgrund der Unruhe der Patientin nicht gemessen werden. Ein schneller, flacher Puls ist an der Arteria radialis tastbar.

      Die Angehörigen sind ebenso beunruhigt wie die Patientin selbst und drängen Rettungssanitäter und -assistenten, endlich Hilfe zu leisten. Die Rettungsdienstmitarbeiter stellen die Diagnose „Hyperventilation“ und versuchen nun, die aufgeregte Situation in der Küche der Erdgeschosswohnung dadurch zu entschärfen, dass sie die Patientin unter den Achseln fassend vom Küchenstuhl hochziehen und langsam gehend in den auf dem Hof bereitstehenden Rettungswagen bringen. Hier applizieren sie eine Gesichtsmaske als Rückatemmaske und drücken diese Maske mit sanfter Kraft und unter beruhigendem Zuspruch auf das Gesicht der Patientin. Der zweite Mitarbeiter legt ein Pulsoxymeter an. Dieses gibt jedoch wegen der kühlen Peripherie der Patientin kein Signal.

      Weil sich die Atemnot der Patientin nicht legt und sie zudem zyanotisch wird, alarmieren die Einsatzkräfte den Notarzt nach. Wenige Minuten später erleidet die Patientin einen Herz- und Atemstillstand, und die Rettungsdienstmitarbeiter beginnen mit der Wiederbelebung.

      Der etwa zehn Minuten nach der Alarmierung eintreffende Notarzt findet eine intubierte Patientin vor, die nach Gabe von 2 x 1 mg Adrenalin einen tachykarden supraventrikulären Rhythmus aufzeigt.

      Zwischenzeitlich geben die Angehörigen auf Nachfrage einen insulinpflichtigen Diabetes mellitus an. Es sei jedoch in den letzten Monaten zu keiner Besonderheit gekommen.

      Die Kapnometrie ergibt einen Wert von 62 mmHg bei einem Atemminutenvolumen von 8 l/ min, und der arterielle Blutdruck beträgt nunmehr 90/50 mmHg. Bei der Blutzuckermessung zeigt das Gerät den Wert „High“, liegt also jenseits der für das Gerät bestimmbaren Grenze von 600 mg/dl.

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