Von Pirna bis Bad Schandau. Gunter Pirntke
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Dieser Mythos gründet sich auf drei Faktoren. Zum einen sind es die Künste, von der Baukunst über die Musik bis zur Malerei, zum anderen ist es die Schönheit der Landschaft, in welche die Stadt Dresden eingebettet ist und zum dritten sind es die vielen Geschichten und Sagen, die mit unserem Buch einher gehen. Das schimmernde Bild von der einzigartigen Kunststadt bildete sich im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts heraus, etwa zwei Generationen, nachdem Dresden tatsächlich zu einer Residenzstadt von europäischer Bedeutung aufgerückt war.
In der Gemäldegalerie hängen die populärsten Bildzeichen dieses Mythos. Es sind die Stadtansichten des italienischen Malers Bernardo Bellotto (1721-1780) – oder kürzer: Canaletto, denn unter diesem Beinamen ist er in die Geschichte der Elbestadt eingegangen. Der in Venedig geborene Bellotto wurde 1747 nach Dresden geholt. Hier schuf er wunderbare Werke von Dresden, Pirna und Königstein.
Die Stadtansichten bestimmen noch heute das Bild Dresdens als Kunststadt. Canaletto malte wie im Traum das Bild vom Florenz an der Elbe.
Der zweite Bestandteil ist die Schönheit der Landschaft. Im späten 18. Jahrhundert vollzog sich die eigentliche Entdeckung des Naturraums dadurch, dass Schriftsteller und Maler den Reiz der Poesie des Elbtals und die Einheit von Stadt und Naturraum wahrnahmen. Der Schriftsteller Johann Paul Friedrich Richter – bekannter als Jean Paul – (1763-1825) schrieb im Mai 1798: „Betrittst Du die Dresdner Brücke, so liegen Paläste wie Städte vor Dir, und neben Dir eine Elbe, die aus einem weiten Reich in das andere flieget; ferne Berge, Ebenen, verlorne Schiffgen [...] und das Getümmel des Lebens ergreifen Dich.“
Abb. 1: Canaletto: Dresden, Neustädter Markt
Die Schwerpunkte der sächsischen Natur haben unterschiedliche Gestalt. Es sind Städte und Landschaften (Pirna, Wehlen, Rathen, Königstein und Bad Schandau; Elbe, Elbsandsteingebirge), Gebäude (Bastei, Festung Königstein und Sonnenstein, Burgen) und Denkmäler (Lutherdenkmal in Bad Schandau, Alte Fähre in Bad Schandau, Historische Raddampfer), also Orte, die man tatsächlich besuchen kann. Es sind historische Persönlichkeiten, die das Zugehörigkeitsgefühl prägen (August der Starke, Gräfin Cosel, Brühl, Böttger), aber auch Produkte und Erzeugnisse der Region. Man nimmt sich historischer Ereignisse an (Schwedenlöcher, Schlacht bei Pirna im Siebenjährigen Krieg), wuchert aber auch in Bildern und Begriffen, die auf den ersten Blick keinen historischen Bezug haben (Sächsischer Dialekt).
Was gibt es für Legenden um Elbflorenz und was ist Wahrheit? Sind es die 365 Kinder des starken August? Jeder normal denkende Mensch weiß, dass diese Behauptung wirklich in das Reich der Fabeln gehört. Aber andere Geschichten könnten wahr sein – oder auch nicht. In seiner weit über 1000-jährigen Geschichte hat Sachsen nicht nur Kriege, Phasen des wirtschaftlichen und künstlerischen Erblühens, erholsame Friedenszeiten oder bittere Hungersnöte durchlebt. Von den Menschen, denen sich das Schicksal dabei glücklich oder verderblich zeigte, erzählt man manchmal heute noch. Dabei hat jede Region ihren eigenen reichen Schatz an örtlichen Legenden.
Jenseits der Elbe – in der Altstadt, soll sich die Geliebte des Grafen Brühl über das Geländer der Brühlschen Terrasse in den Tod gestürzt haben – die Opernsängerin Teresa Albuzzi-Todeschini. Der Sturz der Diva der sächsischen Oper ist freilich nur Legende. Trotzdem soll an jener Stelle noch immer eine Weiße Frau erscheinen. Die Untote eilt aus dem Brühlschen Palast, um sich an Ort und Stelle immer wieder in die Tiefe zu stürzen.
Auf der Brühlschen Terrasse gibt es eine weitere Geschichte: Hier soll August der Starke einen Fingerabdruck im Geländer hinterlassen haben. Leider nur Fiktion, denn das erste Geländer wurde hier erst 1744 angebracht. Da war August der Starke aber schon elf Jahre tot.
Die nächste Sagengestalt ist ein kleiner Stein mit einer menschlichen Figur. Das Brückenmännchen soll den Erbauer der ersten steinernen Brücke darstellen – den Italiener Matten Ficcio, von den Dresdnern despektierlich nur Matz Votze genannt Die Plastik mit der wohl deshalb recht tief unter die Augen gezogenen Mütze prangte einst am fünften Pfeiler der Steinernen Brücke. Im Jahre 1813 sprengten sie Napoleons Truppen in die Luft. Der kleine Italiener versank dabei in den Elbfluten.
Heute hängt eine Kopie am ersten Pfeiler auf der Altstadtseite der Augustus-Brücke.
Dann geht es in die Neustadt. Ihrem Namen verdankt sie allerdings einer Tragödie. Am 6. August 1685 tobte hier ein verheerender Brand und August der Starke veranlasste, dass sie als Neue Königstadt wieder neu aufgebaut wurde. Am Gebäude gegenüber vom heutigen Blockhaus „blieb das Feuer einst abrupt stehen“. Hofbildhauer Balthasar Permoser schuf hier zur Mahnung den Teufel leibhaftig, den Todesengel mit Sense und Stundenglas als Fassadenfigur für die zweite Etage. Als Mieter in dem Haus wohnte damals auch Hofnarr Joseph Fröhlich. Doch weil er zu viel Lärm machte, setzte ihn sein Vermieter vor die Tür.
Fröhlich blieb seinen Hauswirt nichts schuldig und baute sein „Narrenhäusel“ frech mitten in die freie Aussicht seines vormaligen Vermieters. Der setzte daraufhin seinerseits den Teufel an Fröhlichs Haus, der darüber so erschrak, dass er tot umfiel. Auch das nur eine Sage, denn Fröhlich starb bekanntlich 1757 in Marienmont hei Warschau, nachdem er bei Ausbruch des Siebenjährigen Krieges aus Dresden geflüchtet war.
Viele Mythen ranken sich auch um die Mordgrundbrücke im Stadtteil Loschwitz. Namensgeber ist auch hier wieder eine Sage. Ende des 13. Jahrhunderts residierten genau am Hang die Geschlechter der Familien Clohmen und von Birken, ihre Grundstücke trennte nur der tiefe Grund des Hanges. Kein Hindernis für die schöne 19-jährige Elsbeth Clohmen und ihren Nachbarn, den gleichfalls schöne Benno von Birken, sich der Liebe hinzugeben. Benno hielt bei Elsbeths Vater um ihre Hand an und die Bitte wurde erfüllt. Doch der Verspruch wurde alsbald gebrochen. Aus Böhmen nährte sich Graf Lodomar Kinsky, der sich im Auftrag des böhmischen Königs Wenzel nach Dresden aufgemacht hat. Nach Landkäufen seines Herrn im Dresdner Umland sollte er auch die Herzen der Dresdner für den König der Böhmen gewinnen. Wie es sich so traf, begegnete er Elsbeth. Lodomar sprach mit EIsbeths Vater und diesem gefiel die Idee, durch eine Heirat mit einer Ortsansässigen König Wenzel populär zu machen. Er gab also schnell seine Zustimmung und auch der Heiratssegen wurde schnell gesprochen.
In einer stürmischen Nacht sahen sich der abgeschossene Liebhaber Benno und seine Elsbeth ein letztes Mal. Benno war den steilen Hang zum Haus seiner Liebsten empor geklettert. Elsbeth stürzte weiß gekleidet wie ein Engel in seine starken Arme. Beide flüchteten den Abgrund hinab. Da erschall ein lautes „Halt!“ und der gehörnte Lodomar stand vor dem fliehenden Pärchen. Benno ergriff sein Schwert und versenkte dessen Spitze in dem Böhmen.
Elsbeth ergriff den Geliebten und sie suchten gemeinsam den Freitod. Elsbeth erdolchte sie sich mit eben demselben Schwert, übergab es wankend an Benno, so dass er sich selbst richten konnte.
Vater Clohmen, der