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hat verzweiflungslos ein Geschmäckle, wenn ein Totengräber mit „Glück auf“ grüßt. In der erdsgebirgischen Armetei ist „G’auf“ ein (un)rein männlicher Gruß von dessen Benutzung Frauen und Kinder ausgesperrt sind. Jeder Mann ist im ausgeerzten Erdsgebirge ein potenzieller Bergmann. Die einzige noch untertage tätliche (Un)Person im Ort ist der Totengräber. Wer hätte also mehr Recht auf „G’auf“ als der Totengräber? Wenn jemand in Grau beim Graben auf Silber stoßen sollte, dann der Totengräber. Der einzige noch real bergbaulich Tätliche ist der Totengräber. Aber der baut ganz schön ab. Alkoholismus ist eine Krankheit und Krankheit kein Kündigungsgrund. Um so weniger, wenn es sich um eine Berufskrankheit handelt. (Es wäre so leicht, den Totengräber wegzumobben, es müsste sich nur ein Nachfolger finden. Wer den Totengräber wegmobbt, wird der Totengräber werden müssen.) Die Wiederauferstehung ist keine Legende, in Grau ist sie geschehen.

      Was ist mit dem Schädel hier, fragt der Fremde. Der ist ja richtig deformiert. Hat es den gegen einen Blechsarg gedrückt? Wieso ist er nicht zerbrochen?

      Nein, der hat mit einem Brett vor dem Kopf gelebt. Das war hier früher eine verbreitete Unsitte. Sozusagen ein Unschönheitsideal. Solche Schädel sind heutzutage sehr gesucht, nicht nur von den Anthropologen oder Ethnologen.

      Und die lassen sich gut verscherbeln, sagt der Befremdende und grinst.

      Wart Ihr schon mal verschüttet! Bis zu den Rippen lebendig begraben. Der Totengräber fragt das in einem aggressiven Ton, den Befremdenden nunmehr wie den Satan in der dritten UnPerson anredend. Der Küttler ist ein Traumatisierter. Nur das Vorhandensein einer Flasche „Kumpeltod“ hat ihn damals gerettet, als die Kälte und Erstarrung der Erde in ihn hinein zu kriechen begann. Als der Erdboden ihn hat sich gleichmachen wollen. Der Kumpeltod als Retter vor dem Kumpeltod. Nur im Beisein einer solchen Flasche ist es ihm nach dem traumatischen Ereignis noch möglich, sich in eine mehr als hüfttiefe Vertiefung zu begeben und nur oberhalb der 0,5-Promille-IsoBeschwipse. Verbrennung, sonst Auf(unv)erstehung! Alles ist hierzu(unter)lande unterhöhlt, das ganze Erdsgebirge ist anthropo(ver)g(h)en metamorph. Wenn man ein Aquarium auf den Tisch stellt ohne einseitig etwas unterzulegen, ist es auf der optimistischen Seite ganz, auf der pessimistischen nur dreiviertelst voll, sagt der selbst schon dreiviertelst volle Totengräber. Vielleicht gibt es eines Nachts einen Tagesbruch und wo Grau war ist dann eine Pinge. Da hätte man das Erds, die Seltenen Erden, auch gleich im Tagebau abbauen können. „Dlei“ sagt der Totengräber für „gleich“ in seinem erdsgebirgischen Dialekt. Könnt Ihr Euch vorstellen, wie es ist, lebendig begraben zu sein? Er kann aber nicht darüber reden, sonst muss er es sich wieder vor(ent)stellen. Er sei kein Selbstverscharrlatan wie eine (un)gewisse Unperson, welche auch alle Gründe gehabt habe, sich (un)heimlich unauffindbar zu verscharren, wie einen Schatz. Er füllt die Grabvase nach und nimmt einen Schluck Kumpeltod. „Verbrennen! Für Unserkeinen kommt nur Verbrennen in Frage.“ Was für „Keiner“ ist der Totengräber, fragt sich der Befremdete.

      „Wenn du als Hausschwein geboren worden bist, kannst du nicht erwarten, nicht geschlachtet zu werden. Dafür bist du gezüchtet worden. Es ist deine Vorsehung, da kannst du dich noch so vorsehen.“, sagt der Totengräber. Und der Mensch ist unbekanntlich das wichtigste Nutztier des Staates. (Seit wann duzen wir uns, Sie Schweinehirt, antwortet der Fremde nicht.) Fatalismus, sagt er stattdessen. Ja, das ist fatal. Grundentsetzlich ist alles „Un“. Man verdient hier nicht viel, sagte der Totengräber, aber man hat breit gefächerte Nebeneinkünfte. Bei der Berechnung der Entlohnung werden Trinkgelder vorausgesetzt, sonst müsste ein Totengräber eigentlich wie die Bergleute Deputatschnaps bekommen. Früher gab es hier viel Bergbau aber alle ehemaligen Bergleute sind wie der Bergbau selbst schon begraben. Genau genommen bin ich der einzige noch tätliche Bergmann im Ort, grinste der Totengräber. Man könnte auch versagen, ich bin ein Verbergmann. Ich habe hier mein Deputatgrab, auf Vorrat gegraben, das ist auch nicht zu verachten. Mit nicht nur zwanzig Jahren Ruhezeit. „Böse Zungen“ behaupten, das ist der Leibhaftige selbst als Widergänger, der all seine Fehler noch mal wiederholten, sich daran aufgeilen möchte. Der an den Tatort zurückgekehrte Untäter, der sich in einer „Schönheitsfarm“ durch Gesichtstransplantation oder Kopftransplantation eine neue Identität operieren lassen und den Schnurrbart durch den Spitzbart ersetzt hat. Der Fremde aber hatte erfragt, was er wissen wollte und ging, zwei leere Rohre, eine leere Zigarettenschachtel und einen in der selbst ausgehobenen Grube probeliegenden vollen Totengräber zurücklassend. G’auf! Diesmal war es tatsächlich seine eigene Grube, die er auf Verdacht vorausschauend ausgehoben hatte.

      Der Totengräber Küttler galt im Dorf als der Kaste der Unberührbaren zu(un)gehörig. Zweifellos ein Trottel, aber kein Dorftrottel, (ab)sondern von der beunlustigenden Unart. Niemand gab ihm die Hand, höchstens Lebensmüde, angehende Selbstmörder. Die Leute sagen, er ziehe mit seiner Knochenhand den, der sie berühre, hinunter ins Grab. Sie sagen, der Totengräber habe immer auf Verdacht gegraben, (un)rein perspektivisch. Und sobald er eine Grube fertig habe, müsse ihm jemand durch Handreichung aus der Grube helfen und mit ihm den Platz tauschen. Man fragt sich unwillkürlich, gräbt er auf Vorrat, weil immer gestorben wird, oder wird gestorben weil er gräbt? Untergräbt er die Unsterblichkeit? Würde sich Unsterblichkeit einstellen, wenn er das Grabgraben einstellt? Man sagt ihm auch (un)gewisse, nicht an- beziehungsloser weise unaussprechbare Angewohnheiten nach, Unsäglichkeiten. Das ist ihm einmal beinahe zum Verhängnis geworden, denn es hat ihm bei einem Unfall niemand aus der einstürzenden Grabgrube heraus helfen wollen. Angeblich deswegen hat er immer zu flache und zu breite Gruben gegraben, in Wirklichkeit aber weil er nach Kubikmetern ausgehobenes Erdreich bezahlt wurde. Das soll ein Grab sein?, haben die Leute gelästert. Der sticht ja fast nur die Rasensode ab, kommt nicht bis unter die Muttererde. Das sind Gräber für Dampfwalzenopfer, für bis auf Papierstärke ausgewalzte Straßenverkehrsopfer, für Arbeitsunfälle aus der Papiermaschine, lästern die Blasphemiker. Die Muttererde ginge hier sehr tief hinunter, verteidigt sich der Totengräber, weil nach jahrhundertelangem Untergraben von Leichen der Boden bis in mehrere Meter Tiefe durch Humusanreicherung dunkel verfärbt sei. Bestiophilie, Gnomophilie, Substitutophilie, Phantomophilie und –völlerei wird dem Küttler unterstellt, ohne dass sich jemand etwas Genaues darunter vorentstellen kann. Damit kann nicht nur die relativ harmlose Geschichte mit den Grabvasen gemeint sein. Da niemand Konkretes weiß sind der Phantasie keine Grenzen durch „Realitätlichkeiten“ gesetzt. Der Küttler verhökere die ausgegrabenen Gebeine an eine Knochenmühle und die Schädel an die Freimaurer, um sich dafür Schnaps zu kaufen. Unerträglich die Vorstellung, dass die Knochen zu Düngemitteln verarbeitet würden, und man äße quasi seine Ahnen, ohne es zu ahnen. Bei dem Gedanken käme man sich wie ein Kannibale vor. Da könne man ja auch gleich auf dem Gottsacker Kartoffeln anbauen. Die Kartoffel war ja ursprünglich eine Zierpflanze bevor ihre Eignung zur Herstellung von Erdapfelschnaps entdeckt wurde. Ob(un)wohl der Totengräber der einzige war, der in Grau noch „Bergbau“ betreibt, hatte er keinen Anspruch auf Deputatschnaps. Zur Verharmlosung seiner Untaten hatte sich der Küttler UnTäterwissen angelesen, das er bei Ungelegenheit pietätlos zitierte. Haben Sie nicht den Sternburg gelesen? Max Speck von Sternburgs „Landwirthschaftliche Beschreibung des Rittergutes Lützschena … (1842)“ über Knochendüngung und eine in Lützschena aufgestellte Knochenmühle: „Die Fabrikation wurde eifrig betrieben, das Resultat war ein günstiges. Die Knochenlieferungen wurden meist von armen Leuten besorgt, die sie in Grau s Umgegend, wo in dem Jahre 1813 viele Tausende der gefallenen Krieger begraben, und kaum einige Fuss tief in die Erde eingescharrt worden waren, in ansehnlicher Quantität sammelten.“ Eine Knochenmühle errichten, das zahlt sich heim! Spötter in Densche behaupten blasphemisch, der Wortstamm der Unworte Grauen und Grausen ließe sich auf den (Ab)Ortsnamen des unrühmlichen Kaffs Grau zurückverfolgen. So sei auch die Legende entstanden, von einem, der sich auszog, um das Grauen zu lehren. Den „Grauen“ Frauen wird von den Denschern verübelnst nachgesagt, sie paarten sich ungelegentlich mit Tieren. Um der Inzucht zu entgehen, pflanzten sich derunart parthenogenetisch fort, wobei das tierische Fremdsperma nur die Eientwicklung anrege und dabei aber keine Verschmelzung der Gene, kein Chromosomen-Austausch zuschande komme, weswegen es in Grau einen deutlichen Überhang

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