Nach Verdun. Jan Eik
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«Jenau wie daheim in Astpreißen», stellte der Riesenkerl Böwert mit seiner gewohnten stoischen Ruhe fest, während Heinrich Pietsch vergeblich nach begehbaren Stellen im aufgeweichten Grund fahndete. Als Großstädter war er es nicht gewohnt, bei jedem Schritt ins Bodenlose zu versinken - in Stiefeln aus Ersatzleder und mit Holzsohle. Dieser ganze Krieg stank ihm zum Himmel. Wenn er eine Möglichkeit gesehen hätte zu desertieren, hätte er es getan. Doch wohin sollte man sich in dieser zerschossenen Ödnis wenden? Und wie würden die Kameraden reagieren?
Der kleine Ludwig mit der verstimmten Mundharmonika würde vermutlich gar nichts merken, aber sein hasserfüllter Rivale Clement, Primgeiger in einem Berliner Vorstadt-Theater, hatte seine Heimtücke und seine ruhige Hand beim Zielen mehr als einmal bewiesen. Und Seifert, das Oberarschloch, würde in Geschrei ausbrechen, noch bevor er zehn Schritte getan hätte.
Der einzige aufgeweckte Kerl, mit dessen Verständnis er wohl rechnen könnte, schien ihm sein Vornamensvetter und Altersgenosse Schimaniak zu sein, mit dem er sich ein wenig angefreundet hatte. Straßenbahnschaffner war der, irgendwo in einem Kaff östlich von Berlin, und in seinem ganzen Auftreten eben ein richtiger Kleinstädter und Mucker, zu keiner Widerrede bereit. Nicht etwa, dass Pietsch zu besonderer Widersetzlichkeit neigte. Das konnte er sich in seinem Beruf gar nicht leisten. Als Verkäufer von Herrenkonfektion in einem der ersten Berliner Ausstattungshäuser war er es gewohnt, gegenüber Kunden und Vorgesetzten Diskretion und Distinktion an den Tag zu legen.
Beim Spieß Marschallek kam er mit diesem Verhalten auch einigermaßen durch. Das war ein richtiger Beamter, und solange man den Korrekten spielte, ging alles gut. Nur bei von Zabelsdorff half das alles nichts. Wie er es auch immer anfing - der verfluchte Kompaniechef hatte ihn auf dem Kieker. Irgendetwas fand er immer auszusetzen an dem «Koofmich», wie er Pietsch allzu gerne titulierte. Pietsch war kein Koofmich! Pietsch war Herrenkonfektionär. Das Beharren auf dieser Berufsbezeichnung hatte ihm allerdings nur vier Stunden Exerzierübung im Schlamm eingebracht. Das würde er dem Oberleutnant eines Tages heimzahlen!
Dem Mistkerl von Kompaniechef hatte er auch sein elegantes Menjou-Bärtchen opfern müssen. «Undeutsche Rotzbremse», hatte von Zabelsdorff gehöhnt. Als wären der Kaiser und Hindenburg kahlgesichtig!
Gemeinsam mit dem jungen Leutnant von Hiebenthal, auf den Zabelsdorff aus Sicht der Mannschaften einen ausgesprochen ungünstigen Einfluss ausübte, hatte ebendieser das einzige bewohnbare Gebäude in Chaumont für sich requiriert und residierte darin, als handle es sich um das kaiserliche Schloss. Natürlich hatte sich auch Leutnant d. R. Wittkopp dort einquartiert. Und betrübt feststellen müssen, dass hier nach anderthalb Kriegsjahren selbst für einen bescheidenen Sammler von Kunst und Antiquitäten nichts mehr zu holen war. Vorbei die schönen Zeiten in Belgien und im Lothringischen, wo er manches schöne Stück erbeutet hatte.
In der Nacht zum 12. Februar rückte die Kompanie bei strömendem Regen bis in die vordersten Stellungen vor. Am Morgen erwarteten sie jede Minute das Angriffssignal. Doch es blieb an diesem Tag aus - und in den nächsten neun Tagen ebenfalls. Erst am
21. Februar setzte sich die Armee mit ihrer geballten Feuerkraft in Bewegung.
Es wurden furchtbare Tage und Nächte. Die Nässe und der kalkige Schlamm verwandelten die Kompanie innerhalb von Stunden in eine Truppe weißgrauer Gestalten, die sich vergeblich in dem aufgeweichten Boden festzukrallen versuchten. Nachdem sie die Unterstände der eigenen und der französischen Frontlinie hinter sich gelassen hatten, suchten die Männer hinter jedem Baumrest, hinter jeder Bodenwelle Schutz, immer wieder angetrieben von dem Befehl: «Vorwärts! Vorwärts!»
Eine endlos lange Woche war vergangen, und noch immer lagen sie im Dreck, kaum ein Dutzend Kilometer von ihrem Ausgangspunkt entfernt, wo sie ihr Gepäck zurückgelassen hatten. Klarte es einmal auf, erahnte man rechts das Flusstal der Marne. Von Süden her flogen im Minutenabstand die schweren Geschosse der französischen Artillerie heran, hinter ihnen antworteten die 38er und die 42er der Dicken Bertha.
Die Mannschaftsstärke der Kompanie war auf knapp die Hälfte geschrumpft. Dem kleinen Ludwig hatte ein Granatsplitter den Hals zerfetzt. Ungerührt hatte Böwert am Abend dessen Verpflegung in Empfang genommen und vollständig vertilgt.
Die versprochene Ablösung ließ ebenso auf sich warten wie an den meisten Tagen das Essen. Gerade hatte man ihnen ein paar zusätzliche Notrationen bewilligt. Böwert wurde immer aufsässiger, und Heinrich Pietsch stand ihm kaum nach mit seinem wortlosen Widerstand gegen alles, was von Zabelsdorff anordnete. Selbst der friedliche Schimaniak begann allmählich zu rebellieren.
Von Zabelsdorff, von irgendeinem wirren Papier angestiftet, begann von Stoßtruppunternehmungen zu faseln, für die er die Männer bereits in Chaumont auszubilden versucht hatte: «Nur der rücksichtslose Drang jedes einzelnen Soldaten nach vorn in Verbindung mit der hervorstechenden Kampfkraft eines Stoßtrupps schafft den Erfolg! Die Hauptaufgabe eines solchen Stoßtrupps besteht in der Wegnahme vorgeschobener Sappen, Flankierungsanlagen, Maschinengewehrstellungen und verteidigter Unterstände sowie im Aufrollen von Gräben.»
Eines Abends war es dann so weit. Der feindliche Beschuss hatte ein wenig nachgelassen. Sie hofften, in einem zerschossenen französischen Unterstand, in dem ein grauenvoller Verwesungsgeruch hing, etwas Ruhe zu finden, als die Essenholer eintrafen, begleitet von dem tiefgebückt schleichenden Oberleutnant.
Der ließ ihnen keine Zeit für eine ruhige Mahlzeit. «Männer!», sagte er mit unterdrückter Stimme. «Es ist so weit! In einem kühnen Stoßtruppunternehmen werden wir die vom Feind gehaltene Höhe 317 nehmen, die uns den Weg zur Marne versperrt.»
«Herr Oberleutnant, dort is äin dickes MG-Nest!», wandte Böwert ein. Er war der Einzige, der schon kaute.
«Na eben, Böwert! Und Sie mit Ihrer Kraft werden es ausräuchern!»
Böwert sah Pietsch an und der ihn.
«Es ist so gut wie keine Deckung vorhanden», wagte Schimaniak anzumerken. Die Höhe vor dem Talou-Rücken, die sich kaum gegen den dunklen Himmel abzeichnete, lag kahl und nur von einem schütteren Rest zerschossener Baumstümpfe umgeben vor ihnen. Sie kannten das Gelände. Die Flieger hatten sogar Luftaufnahmen geliefert.
«Sie können ja warten, bis man Ihnen eine eigene Brustwehr errichtet!», fuhr von Zabelsdorff Schimaniak an. «Ich verbitte mir alle Widerreden!»
Er gönnte ihnen kaum Zeit zum Essen und setzte seine Einweisung währenddessen fort. «Ausrüstung des Stoßtrupps: Patronen in Rocktaschen oder Brotbeutel, möglichst viele Handgranaten. Zwei Sandsäcke mit je drei, vier Handgranaten um den Hals, Drahtschere am Koppel, Gewehr ohne Seitengewehr umgehängt auf dem Rücken, Pionierschanzzeug im Futteral am Koppel, dazu weitere Handgranaten. Angriff frontal oder noch besser von der Flanke her im Graben, entsprechend ‹Stoßtrupp im Angriff›! Böwert als bester Werfer voran. Dazu Seifert, damit ein bisschen patriotische Stimmung aufkommt. Schimaniak darf meinetwegen noch den Kanisterdeckel als Schutzschild mitnehmen. Dazu Clement, der ja angeblich immer die erste Geige gespielt hat.»
«Nur wir viere, Herr Oberleitnant?», erkundigte sich Böwert ungläubig.
«Warten Sie gefälligst ab!», donnerte der zurück. «Grundsatz ist, zur Vermeidung unnötiger Verluste und gegenseitiger Behinderung, einen Trupp nur so stark zu machen, wie es zur Erreichung der gestellten Aufgabe notwendig ist. Verstanden?»
Er nannte einen weiteren