Das Attentat auf die Berliner U-Bahn. Horst Bosetzky

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Das Attentat auf die Berliner U-Bahn - Horst Bosetzky

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bitte Order, dass die beiden jungen Herren so lange umsonst mit der Straßenbahn fahren können, wie sie wollen.«

      In jedem Vierteljahr luden die Tschellos alle Freunde und Verwandte zu einem kleinen Konzert in ihre Wohnung ein. Auch Menschen, die klassische Musik eher als Folter denn als Genuss empfanden, beeilten sich, dieser Einladung Folge zu leisten, denn nur der eigene Tod wurde von Ernst Moritz und Auguste als Hinderungsgrund anerkannt, alles andere galt als Affront und führte zum Abbruch der Beziehungen.

      Hermann Mahlgast litt zwar immer gewaltig, wenn Vater Tschello unerbittlich lange »das Wimmerholz bearbeitete«, so sein Ausdruck für das Geigenspiel, doch er folgte seinen Eltern ein jedes Mal ohne Murren, denn vor und nach dem Konzert war immer noch genügend Zeit, mit dem Freund zu spielen.

      Noch immer waren Hermann Mahlgast und Ludolf Tschello unzertrennlich. Was sie wohl derart aneinanderbinden würde, fragten sich viele. Der Hauptgrund war vermutlich, dass sie sich zu einer Einheit ergänzten. Der eine stand für das Solide, Stabile und Verlässliche, der andere für das Leichte und Lockere. Der eine nahm das Leben als Pflichterfüllung, der andere als Spiel, und so kamen sie glänzend voran. Und noch wussten sie nicht, dass in ihrer Dyade ein Konflikt angelegt war, den man nur teuflisch nennen konnte.

      An diesem Abend spielten sie Erfinder. Beide waren dabei, eine elektrische Bahn zu entwickeln, die der von Siemens & Halske um einiges überlegen war.

      »Vor allem brauchen wir nur eine Schiene«, betonte Ludolf Tschello immer wieder. »Und nur zwei Räder für einen Waggon und nicht vier.«

      »Und nur einen Oberleitungsdraht«, ergänzte Hermann Mahlgast.

      Auf die Idee zu ihrer Einradbahn waren sie gekommen, als Ludolf einen großen Kreisel geschenkt bekommen hatte. Zog man den mit einer Schnur auf, lief er einige Minuten lang, ohne ins Trudeln zu geraten. Baute man einen mannshohen Kreisel aus Eisen und sorgte mit Hilfe eines Elektromotors dafür, dass er sich in der Minute Hunderte von Malen drehte, und stellte diesen Kreisel auf einen Wagen, der vorn und hinten genau in der Mitte des Kastens ein Rad hatte, dann, so dachten sie, war es völlig unmöglich, dass dieser Wagen umkippte. Die Schwungmasse hielt ihn in jedem Fall im Gleichgewicht. Die beiden Räder waren konkav, also nach innen gewölbt, und die Schiene konvex, also eine unten auf Stützen ruhende Röhre.

      Ludolf Tschello war für die Zeichnungen und Berechnungen zuständig, Hermann Mahlgast hatte das Handwerkliche zu erledigen. Mit Hilfe zweier etwas verkürzter Garnrollen und Brettchen, die von den Zigarrenkisten seines Vaters stammten, hatte er einen Straßenbahnwagen gebaut. Mangels seitlicher Stützen – die waren erst noch zu konstruieren – kippte das Gefährt im Ruhezustand natürlich immer um, aber Hermann Mahlgast konnte das wenig verdrießen.

      »Pass mal auf, wie der sich in der Horizontalen hält, wenn wir deinen Kreisel erst obendrauf montiert haben.«

      »Hauptsache, du hast die Achse so gebohrt, dass er nicht eiert.« Ludolf Tschello wusste, was Siemens an seinem Halske hatte. Ohne erstklassigen Mechaniker funktionierte nichts.

      Dann hatten sie Grund zum Jubeln, denn ihre Bahn legte, nachdem Hermann Mahlgast sie angeschoben hatte, tatsächlich gute 2,50 Meter auf dem Flur zurück, ehe sie umkippte.

      »Lag das nun am Schwung, dass sie so weit gefahren ist, oder an der Wirkung des Kreisels?«, fragten sie sich, konnten aber nicht weiter experimentieren, da Ludolfs Mutter nun in die Hände klatschte und rief, das Konzert würde beginnen.

      Man nahm Platz und setzte sich in die Pose »Kunstgenuss und Verzückung«. Ernst Moritz Tschello trat ein, verbeugte sich, nahm den Beifall geschmeichelt entgegen und begann, ebenso hingebungsvoll wie professionell die Serenata a un coro di violini von Johann Jakob Walther zu spielen.

      Als genügend geklatscht worden war, setzte er zu einer kleinen Rede an: »Für die zweite Darbietung dieses Abends, liebe Freunde des Hauses, liebe Anverwandte, haben meine Frau Gemahlin und ich keine Kosten und Mühen gescheut, um bei den Göttern ein Wesen loszueisen, das ihr absoluter Liebling ist und das sie mit einer Stimme ausgestattet haben, wie sie seit Jenny Lind, der schwedischen Nachtigall, keiner Frau mehr geschenkt ward. Nun …«

      Weiter kam er nicht, denn in diesem Moment stürmte eine überaus korpulente ältere Dame in den kleinen Konzertsaal, ein Dragoner, wie die Berliner sagten. Und sofort legte sie los.

      »Warum werde ich denn nicht eingeladen, wenn hier ein Konzert stattfindet? Das ist ja eine Gemeinheit ersten Grades! Wenn ich nicht durch Zufall gerade vorbeigekommen wäre, dann … Ernst Moritz, hol mir gefälligst einen Sessel!«

      Derjenige, der neu war bei den Tschellos, schwieg betreten, zumal der Hausherr nun devot herumwieselte wie ein Oberkellner in einem Grand Hotel, während die Kundigen nur bedeutungsvoll schmunzelten. Sie kannten die Dame, die da wieder einmal ihren großen Auftritt hatte: Es war Emilie Ludewig, geborene Tschello, die Erbtante aus Wassersuppe am Hohennauener See. Sie hatte einen Fabrikanten aus Rathenow geheiratet und war, als der vom Herrn heimgeholt wurde in die Ewigkeit, eine reiche Frau geworden. Da sie in ihrem Testament ihren Neffen Ernst Moritz und dessen Sohn Ludolf zu ihren Erben eingesetzt hatte, konnte sie sich bei ihren Besuchen in Berlin buchstäblich alles erlauben. Sie plumpste in den Sessel, den ihr der Neffe herangeschoben hatte.

      Sie sah ihn an. »Und …?«

      »Ja, Tante Emilie?«, fragte Ernst Moritz Tschello schmelzend wie ein Bariton.

      »Guck nicht so wie ein Schoßhündchen.« Sie lachte schrill auf. »Hol mir was zu trinken! Aber was Vernünftiges. Dass ich in Wassersuppe geboren bin, heißt ja nicht, dass ich nur Wasser trinke.«

      Schon war Ludolf Tschello mit einem Glas Sekt zur Stelle.

      »Zum Wohl, liebe Tante Emilie.«

      »Danke.« Sie leerte das Glas mit einem Zug und rülpste ungeniert.

      Auguste Tschello zuckte zusammen, denn sie wusste, dass Tante Emilie unter dem litt, was die Ärzte schamhaft als Flatulenz bezeichneten. Hoffentlich hatte sie nicht wieder Erbsen gegessen wie bei ihrem letzten Besuch.

      »Dürfen wir fortfahren?«, fragte Ernst Moritz Tschello.

      »Wohin denn?« Sie lachte schallend über ihren nicht eben originellen Scherz.

      Ihr Neffe musste ernst bleiben. »Ins Land der Träume, liebe Tante.«

      »Gut, sehr gut. Aber spielst du heute bitte mal das Instrument, das nach dir benannt worden ist?« Jetzt lachte sie so dröhnend, dass der empfindsamen Dichterin neben ihr das Trommelfell zu platzen drohte.

      »Wir haben leider kein Cello zur Hand«, bekannte ihr Neffe und senkte den Blick. »Aber wenn ich dir zu Ehren ein kleines Stück von Mozart auf der Geige …«

      »Ja, ich bitte darum.«

      Während sich Ernst Moritz Tschello mühte, sein Bestes zu geben, schloss Tante Emilie die Augen und ließ in regelmäßigen Abständen leise einen entfleuchen. Als ihr Neffe die Extradarbietung ihr zu Ehren beendet hatte, erwachte sie und klatschte begeistert.

      Ernst Moritz Tschello begann nun von vorn: »Für die zweite Darbietung dieses Abends, liebe Freunde des Hauses, liebe Anverwandte, liebste Tante Emilie, haben meine Frau Gemahlin und ich keine Kosten und Mühen gescheut, um bei den Göttern ein Wesen loszueisen, das ihr absoluter Liebling ist und das sie mit einer Stimme ausgestattet haben, wie sie seit Jenny Lind, der schwedischen Nachtigall, keiner Frau mehr geschenkt ward. Nun, eine Frau ist unsere Cécile noch nicht, aber sie singt und tanzt bereits jetzt so hinreißend,

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