Von der Weisheit und vom Brauchtum unserer bäuerlichen Vorfahren. Dieter Kremp
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Gut gedengelt und gesenst
Im Hochsommer ganz früh am Morgen war mein Großvater schon am Sensendengeln. Sein Dengelplatz war unter dem großen Walnussbaum. Beim Schlagen der Sensenblätter – fast im Takt – wurden wir Kinder aus dem Schlag geweckt. Zuerst prüfte Großvater, ob das Sensenblatt noch scharf genug war. „Die Klinge muss so flach wie eine Rasierklinge sein“, sagte mein Großvater. Zuerst drehte er das Sensenblatt mit dem passenden Inbusschlüssel herunter und begann mit dem ersten Arbeitsschritt, dem Vordengeln. Er legte das Sensenblatt mit der Wölbung nach oben auf die Ambossauflage und begann am breiten Ende des Sensenblattes. Zum Dengeln nahm er einen schweren Schlosserhammer, der am stumpfen Ende leicht gewölbt war. Er hielt das Blatt immer gut fest. Beim Vordengeln ragte das Blatt etwa einen Millimeter über die Auflage des Ambosses hinaus. Großvater platzierte einen Schlag dicht neben dem anderen, bis er fast an der Spitze angelangt war. Seine Hammerschläge kamen nur aus dem Handgelenk heraus. Sie schallten weithin ins Dorf hinein.
Dann wurde der zweite und dritte Arbeitsgang mit jeweils leicht verschobenem Sensenblatt durchgeführt und die drei Gänge wiederholt. Mit dem Inbusschlüssel schraubte er das scharfe Blatt wieder fest. Wichtig beim Dengeln war das Wetzen zwischendurch. Dabei fuhr er von beiden Seiten mit der schmalen Seite des nassen Wetzsteins an der Klinge entlang. Nach getaner Arbeit brachte meine Großmutter eine „Butterschmeer“ und schwarzen Zichoriekaffee heraus.
Als es den „Wannerschdaach“ noch gab
Im Ostertal im Saarland spielte früher einmal der „Wannerschdaach“ (Wandertag) eine große Rolle im ländlichen Brauchtum. Der „Wannerschdaach“ war der 27. Dezember, also der Tag nach Weihnachten, im Kirchenjahr der Tag des Apostel und Evangelisten Johannes. An diesem Tag wechselten früher die Knechte und Mägde ihre Stellung auf den Bauernhöfen und verabschiedeten sich mit einem Tanzabend. Es war der „Johannisball“ am Tag nach Weihnachten. In manchen Gegenden bestand früher die weit verbreitete Ehesitte des „Weiberdingete“. Der Ehemann dingte seine Frau am Johannistag für das kommende Jahr, führte sie formvollendet ins Wirtshaus und lud sie zu einem Festessen ein. Sie musste dabei den Wein zahlen, wobei sie damit dem Handel zustimmte und sich symbolisch für weitere zwölf Monate verpflichtete: Sie wurde „gedingt“.
Erklären wir zunächst einmal die Bedeutung der Wörter „Ding“ und „dingen“. Ein „Ding“ (germanisch „thing“) war bei den Germanen ein Ort der Volksversammlung und eine Gerichtsstätte. „Dingen“ bedeutete ursprünglich „zu Dienstleistungen gegen Entgelt verpflichten“ also „in Dienst nehmen“. Vielfach gibt es heute noch alte Flurnamen mit der Bezeichnung „Ding“. Ich selbst habe 1974 auf der Gemarkung Hoof im Ostertal auf der Flur 176 „Auf dem Ding“ gebaut. Hier muss also einst eine Gerichtsstätte gewesen sein.
In den Dörfern des Ostertales war früher einmal der „Wannerschdaach“ für die Bauern, ihre Knechte und Mägde, der wichtigste Tag im Jahr. Wenn ein Bauer eine neue Magd oder einen neuen Knecht dingte, so begann das Dienstverhältnis am Tag nach Weihnachten. Es dauerte in der Regel bis zum 27. Dezember des folgenden Jahres. Wenn beiderseits keine Kündigung erfolgte, so verlängerte sich das Arbeitsverhältnis noch einmal um ein Jahr. Die Ostertaler Bauern gingen wohl beizeiten auf die Suche, um einen neuen Knecht oder eine neue Magd einzustellen. Mit Pferdefuhrwerk, Kutsche, Ochsengespann oder in strengen Wintern mit dem Pferdeschlitten holte der Bauer die neu gedingte Arbeitskraft an deren Wohnort ab. Verkehrsverbindungen in gewohntem Sinne gab es ja schließlich noch keine. Die eingestellten Knechte und Mägde packten ihre wenigen Habseligkeiten ganz einfach in eine Holzkiste.
Die Tage vor dem „Wannerschdaach“ warteten die Dorfbewohner gespannt auf die verschiedenen Neuankömmlinge, die ins Dorf kommen sollten. Mägde und Knechte, die bei ihren Bauern bleiben konnten, kamen allerdings auch nicht ungeschoren davon. Sie mussten der heimischen Dorfjugend Schnaps, Bier und Wein spendieren, wobei gerade der Wein am Johannistag im Hinblick auf das kommende Jahr als segensreich galt. Die neu angekommenen Mägde und Knechte brachten frisches Blut in die Dörfer, fand doch so mancher in den folgenden Jahren hier seinen Ehepartner.
Den „Wannerschdaach“ feiert man auch heute noch im Ostertal, wenn auch in ganz anderer Form. Vereine und Gruppen unternehmen ausgedehnte Wanderungen über die Gemarkungen und die Dörfer. Immerhin haben viele zwischen Weihnachten und Neujahr frei und somit Zeit, die nähere Umgebung auf Schusters Rappen zu erkunden, um dann zum Abschluss des Marsches gemütlich in einer Gastwirtschaft einzukehren.
Schalmeien am Kuckuckstag
Wunderschöne Erinnerungen an meine frühe Kindheit sind mit dem Ruf des Kuckucks verbunden. Bei uns im Dorf war der 15. April der „Kuckuckstag“. Er wurde auf dem Land als Familienwandertag genutzt. Mit meinen Großeltern machte ich einen Waldspaziergang, um den scheuen Waldvogel das erstemal zu hören. Allerlei Aberglaube rankte sich um den ersten Ruf des Kuckucks. Hatten wir kein Geld in der Geldbörse, so blieb man das ganze Jahr über pleite. Wir Kinder aber durften einen Glückspfennig in der Hosentasche tragen. Großvater glaubte daran, so viele Jahre noch zu leben, wie man den Kuckuck rufen hörte. Dabei schnitzte Großvater Schalmeien, Flöten aus Hasel- oder Weidenrinde, die jetzt wieder voll im Saft stand und sich leicht mit dem Taschenmesser abschälen ließ. Mit den Schalmeien ahmten die Kinder den Ruf des Kuckucks nach: „Kuck-kuck, Kuck-kuck …!“ Das erste „Kuckucksbrot“ wurde an diesem Tag im Wald gegessen, die herbsäuerlichen Blätter des Waldsauerklees. Daheim bereitete Großmutter einen erfrischenden Salat aus Sauerklee.
Nachdem wir genug geflötet hatten, pflückten wir die ersten Veilchen im Wald. Als Frühlingssymbol stellte Großmutter einen duftenden Veilchenstrauß in die „gudd Stubb“ („Gute Stube“). Aus den Veilchenblüten stellte sie eine köstliche Frühlingsbowle her.
Zur gleichen Zeit wie der Kuckuck kamen auch die Schwalben aus ihrem Winterquartier im fernen Afrika wieder zurück. Darauf warteten wir immer sehnsüchtig, galten doch die Schwalben auf den Dörfern als Symbol für Gesundheit und ein glückliches Familienleben. Im Stallgebäude unseres benachbarten Bauernhauses nisteten alljährlich um die zwanzig Hausschwalben, unter dem Dachfirst etwa zehn Mehlschwalben. Bei uns unterm Dachfirst nisteten sechs Schwalbenpärchen. Im Frühjahr 1947 blieben die Schwalben bei uns aus. Der Grund war, das die Vögel in dem sehr trockenen Frühling in unserer Nähe keinen feuchten Lehm zum Ausbessern ihrer Nester fanden. Und im gleichen Jahr starb dann meine Urgroßmutter im Alter von 98 Jahren.
Im sommerlichen Schwirrflug der Schwalben über das Dorf konnte mein Großvater das Wetter ablesen. Flogen die Schwalben hoch in der Luft, dann sollte es schönes Wetter geben; „fischten“ die Schwalben über dem Weiher, dann sprach er von Regenwetter. Und da war schon was Wahres dran.
Das Brauchtum des Maisingens
Ich erinnere mich an meine frühe Kindheit, als ich mit meiner Mutter alljährlich am 1. Mai den weiten Weg von Steinbach nach Werschweiler ging, um dort den uralten Brauch des Maisingens mitzuerleben, der noch heute im Dorf gepflegt wird. Mit diesem alten Brauch wird der Frühling eingeläutet und herzlich begrüßt. Schon vier bis fünf Wochen vor dem großen Tag beginnen die ältesten Schulmädchen mit den Vorbereitungen. Mittels „Mund-zu Mundpropaganda“ werden die jüngeren Mädchen zum Einstudieren von Liedern eingeladen. Zwei- bis dreimal pro Woche werden fleißig Frühlingslieder und Maienlieder eingeübt. Von „Jetzt fängt das schöne Frühjahr an …“ über „Komm lieber Mai und mache …“ und „Alle Vögel sind schon da …“ bis „Der Mai ist