Tatort Märchenwald. Kristina Lohfeldt

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Tatort Märchenwald - Kristina Lohfeldt

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einstige Vergötterung der Menschen, die mich früher furchtsam und mit einer gewissen Faszination verehrten, erheitert mich noch. Die Zeiten haben sich geändert, der Mensch hat sich verselbständigt, und seine einzige Furcht ist nun ein zu kurzer Sommer, eine zu kurze Erntezeit.

      Hie und da brennt eine Kerze in einem der Fenster, die die Kinder des Dorfes in Sicherheit wiegen soll. Ein alter Aberglaube, und keineswegs so wirksam wie erhofft.

      Ich drehe mein Gesicht gen Himmel, so dass sich die feinen Schneeflocken darauf niederlassen. Sie bleiben auf meiner eiskalten Haut liegen. Ich betrachte noch einen Moment die hauchfeinen Gebilde der Eiskristalle, die sich in meinen Wimpern verfangen und sich auf meine stets offenen Augen legen. Dann lasse ich den Kopf nach vorne fallen, so dass sie sich lösen und hinab zu meinen Füßen schweben. Benommen sehe ich ihnen nach. Mein langes, feines Haar weht in dem eisigen Wind umher. Dann richte ich mein silberfarbenes Sakko mit den blauen Knöpfen, knöpfe den Stehkragen bis unters Kinn zu und streiche einige Falten aus dem dicken Stoff meiner Hose. Ich fische ein Paar dünne Lederhandschuhe hervor, die ich sorgfältig überziehe, Finger für Finger das Leder um meine dürren Eishände straffe, und gehe zielstrebig auf die einzige kleine Bar im Dorf zu. Die dunklen Spiegelungen in den Fenstern zeigen mir eine verzerrte Version meines ohnehin verwischten Selbst, bis ich unter den bronzenen Buchstaben über der massiven Holztür stehe. Hrimhune steht dort in kantigen Lettern. Kein Geräusch, kein Licht zeigt mir, dass irgendwo Leben ist. Der Eisriese, was der Name übersetzt bedeutet, scheint, wie der Rest des Dörfchens ebenfalls, noch zu schlafen.

      Ich balle die Hand zur Faust und donnere damit ein paarmal gegen das eisenbeschlagene Holz. Es poltert lauter als ich erwartet habe und ich sehe mich hastig betreten um. Bereits einen Wimpernschlag später wird die Tür nach innen gezogen, und ein zerzauster älterer Mann im schwarzen Hemd und etwas zu weiter lederner Hose steht vor mir. Er wird beinahe verschluckt von der Dunkelheit im Inneren und schafft es sogar, mich für mein lautes Hämmern nicht missbilligend anzusehen. Statt dessen deutet er stumm mit seinem kurzen Zeigefinger, um den sich ein Ring in Form eines Wyverex, eines skandinavischen Schlangendrachens, schlingt, auf einen kleinen Klingelknopf zu meiner Linken.

      „Wir sind hier keine Höhlenmenschen, miin Herre“, klärt er mich auf und seine mandelförmigen, dunkelblauen Augen blitzen kurz auf, als würde er mich erkennen. Ich nicke entschuldigend und strecke ihm meine behandschuhte Rechte zur Begrüßung entgegen. Ich komme mir ein wenig benachteiligt vor, da ich direkt im kalten Morgenlicht stehe und ich von ihm lediglich den einst rötlich blonden Bart, die Haut seiner Arme und seines Gesichtes sehen kann, die sich wie helle Fragmente eines Setzspieles von dem Dunkel im Inneren abheben. Er ergreift meine Hand und schüttelt sie zurückhaltend, während er mich nun misstrauisch mustert. Ich kenne diesen Blick zu gut und kann ihn meist sogar nachvollziehen. Schließlich gelte ich in den neueren Zeiten doch als recht seltsame Erscheinung. Doch einst, vor langer Zeit, wurde ich von weitem erkannt, man wusste meine Taten zu würdigen, meinen Zorn zu fürchten. Allein meine Körpergröße ist beeindruckend und auch sonst sieht nichts an mir gewöhnlich aus. Mein schulterlanges Haar ist zu hell, beinahe Schneefarben, mein Körper ist schlank und drahtig, sehnig und kräftiger als auf den ersten Blick anzunehmen. Ganz zu schweigen von der Sache mit meinen hellgrauen, nahezu weißen, stets offenen Augen.

      Weil sich die Hand des Mannes in meiner wie ein nasser Fisch anfühlt, muss ich an mich halten, um sie nicht sofort wieder loszulassen.

      „Arien Gratt“, stellt er sich vor. Ich hingegen nicke nur knapp.

      Er mustert mich mit eigenartigem Blick, beinahe, als wüsste er, wer ich bin. Sein Atem fließt in kleinen Wölkchen aus seinem offenen Mund. Das Seltsamste an mir ist wohl meine Haut, die er höflicherweise nicht unverhohlen anstarrt. Sie ist von kalkiger Fahlheit und so dünn, dass man die Adern wie Flüsse darunter sehen kann. Gleich hellgrauen Furten schlängeln sie sich an meinen Schläfen und am Kinn hinab zum Hals, wo sie unter dem dicken Kragen meines Mantels verschwinden. Sie zeichnen mich wie eine konfuse Landkarte und haben beinahe die gleiche Farbe wie meine Augen. Graues Eis, leblos und gebrochen. Gebrochen wie mein Herz, dessen spitze Kanten mich auch nach so vielen Jahren immer noch schneiden und in die Brust stechen. Das kommt mit der Zeit, und bald werde ich ersetzt werden. Denn wenn das Herz gefriert, ist das eigene Ableben nicht mehr fern. Ich wandle auch schon zu lange umher, als dass ich meinen Thron nicht bald abtreten könnte, an wen oder was auch immer mir dann nachfolgen wird.

      Einst erzählte man sich in den Dörfern und Städten in ganz Skandinavien die Mär, dass der Eiskönig in der rauesten Winternacht zu den Sündern kommt, um die Menschenkinder zu stehlen und mit sich in seinen Eispalast zu nehmen. Keine Seele weiß, wo dieser Eispalast verborgen liegt, und auf ihren Reisen durch die Bergketten Schwedens, über die Hügel Norwegens, an den endlosen Flachküsten Lapplands, in den Gletschern Finnlands und gar an den vereisten Kliffen Islands, erfroren alle, die je nach dem Eiskönig zu suchen gewagt hatten.

      Die Frauen sangen ein Lied, das ungefähr so übersetzt werden kann:

      Candle, candle, are the children save now, as they were long ago? Candle, candle, guide us and protect us, from those in darkness… Kerze, Kerzenlicht, sind uns 're Kinder nun sicher, wie sie es einst gewesen? Kerze, Kerzenschein, beschütze uns, vor dem, was im Dunkel wartet

      Sie sangen dieses Lied die ganze Nacht hindurch, unwissend, dass sie mein eisiges Herz damit nicht berühren konnten. Einzig Flammen, wie die der Kerzen in den Fenstern, mögen es für mich unbequem machen zu ihnen zu kommen und ihnen zu stehlen, was für sie das Kostbarste ist. Doch sie halten mich nicht davon ab. Noch heute steht das Licht der Kerze als Symbol des Kampfes gegen die Dunkelheit und die Vertreibung geheimnisvoller Kräfte. Ihr Licht erhellt die Nacht und lässt die Dinge in einer warmen Gestalt erscheinen. Geht eine Kerze von selbst aus, ist das Haus jedoch ungeschützt, das Kind verloren. Dieser Glaube schürt meine Existenz bis heute. Die Existenz des Eiskönigs. Und ich habe nur mehr einen letzten Wunsch.

      Wehmütig blicke ich über meine Schulter und durch die gefrorene Fensterscheibe hinaus. Dort, hinter dem Schneeweiß des Dörfchens, liegt mein eisiges Reich. Ein Gigant von einem Palast, erbaut aus Träumen, Böen, Tränen und Kinderlachen. Ich liebte es einst, wenn sie auf ihren Hintern über die glatten Böden schlitterten, sich mit fluffigen Schneebällen bewarfen, und Eisgebilde aus den Pfeilern formten. Bis das Lachen zum Wimmern und schließlich zum Zähneklappern wurde, erstarb, und jeder noch so winzige Laut in den unendlichen Hallen verklang.

      Im Inneren des Hrimhune entzündet Arien inzwischen einige Lichter und reißt mich somit äußerst angenehm aus meinen düsteren Gedanken. Als er ein kleines Feuer im Kamin entfacht, erblicke ich rustikale Kerzenleuchter, die jede wilde Zeche auf wundersame Weise überstanden zu haben scheinen, und die Wände in vollständigem Zustand schmücken.

      „Ein Feuer ist nicht nötig“, werfe ich ein, doch es brennt bereits und erwärmt den Eisriesen schnell. Arien wirft mir einen seltsamen Blick zu und verschwindet dann hinter der Bar. Ich sehe mich weiter in dem Dämmerlicht um. Das ein oder andere Elchgeweih mit nett eingebundenen hellblauen Schleifen fällt mir auf, ein liebevoll höhnischer Ruf an die Jagdfreude der Nordmänner der alten Tage.

      „Woher kommst du denn um diese Tageszeit, miin Herre?“ klingt seine Stimme von irgendwoher.

      „Kalvó“, gebe ich zurück.

      „Kalvó? Du meinst das in Dänemark?“ Er klingt überrascht. „Ganz schön schnell unterwegs gewesen bist du dann, miin Herre.“

      „Ebenjenes. Dort gab es ein Eisfest.“

      „Ein was?“, höre ich Ariens Stimme.

      „Sie stellen dort Eisskulpturen aus. Sehr hübsch.“

      Arien taucht wieder auf, die Arme voll beladen mit Schnapsflaschen.

      „Gut,

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