Mein kleines DDR-ABC. Arndt Haubold

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Mein kleines DDR-ABC - Arndt Haubold

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eigene Formulierungen wurden nicht geduldet: „Es lebe die DDR und die unverbrüchliche Freundschaft mit der Sowjetunion!“, „Für Frieden und internationale Solidarität!“, „Es lebe die Waffenbrüderschaft mit der ruhmreichen Sowjetarmee!“, „Für eine glückliche Zukunft der Menschheit in Frieden und Sozialismus!“, „Nieder mit den Kapitalisten!“, „Es lebe der Fünfjahrplan!“, „Alle Macht der SED!“, „Für höchste Erträge und vorzeitige Planerfüllung!“ Die Betriebe und die LPG schmückten Lastwagen mit ihren Produkten: Maschinen, Früchte, Produkte. Aufstellung war um neun Uhr auf dem Aufstellplatz, der Zug setzte sich um zehn Uhr in Bewegung, erreichte um elf Uhr sein Ziel im Zentrum, wo eine Kundgebung stattfand. Die Rede dort war für Klein und Groß zum Erbrechen langweilig – die politischen Phrasen der Partei wurden Jahr für Jahr rituell wiederholt. Nach dem Ende dieses offiziellen Teils gab es im Gasthof Freibier und Bockwurst auf Gutschein für die, die an der Demonstration teilgenommen hatten. Allgemein endete der Tag mit kollektivem Besäufnis. Es war das einzige Mal im Jahr, dass ich meinen Vater besoffen nach Hause heimkehren und seinen Rausch ausschlafen sah.

      Die Teilnahme an der Demonstration machte den Kindern der niedrigeren Klassen Spaß, denen der größeren Klassen nicht mehr. Den Erwachsenen machte es insofern Spaß, da es ein arbeitsfreier Tag mit Freibier war und der Möglichkeit, Freunde zu treffen. Überzeugten Kommunisten machte es sicher Freude, aber davon gab es nicht viele. Die meisten nahmen in äußerer Haltung, aber innerer Distanz teil. Es war ein politischer Pflichtgottesdienst. Frei von der Demonstrationspflicht waren die Menschen, die nicht in sozialistische Kollektive integriert waren: Hausfrauen, Rentner, Vorschulkinder, Kranke und Behinderte, dazu notorische Außenseiter wie Zeugen Jehovas, Pfarrer oder andere Querulanten, zu denen später auch meine Eltern gehörten. Die Teilnahmeverweigerung stellte einen Protestakt dar, der als Angriff auf den Staat, den Weltfrieden, die Partei, die Regierung und den Sozialismus interpretiert wurde. Entsprechend hoch war der Psychodruck, der noch durch Kollektivstrafen verstärkt wurde: Eine Brigade, die nicht vollzählig an der Demonstration teilnahm, wurde mit Prämienentzug sanktioniert. Das erhöhte den Ärger, ja Zorn der Kollegen auf eigenbrötlerische Abweichler.

      Die größte Demonstration war natürlich die offizielle in der Hauptstadt, bei der die Bevölkerung an der Ehrentribüne der Staats- und Parteiführung vorbeidefilierte. Dazu wurden Teilnehmer aus dem ganzen Land, die dazu ausgezeichnet worden waren, kostenlos mit Bussen nach Berlin befördert.

      Am 7. Oktober fand in Berlin die jährliche große Militärparade statt, zu der Ehrengäste befreundeter Staaten aus aller Welt eingeladen waren, die auf der Tribüne Platz nahmen.

      Andere Demonstrationen waren verboten. Es gab kein Demonstrationsrecht. Vor Faschingsumzügen etwa hatte die Partei fürchterliche Angst.

      Das Ende der DDR begann mit dem Aufkommen ungenehmigter Demonstrationen kleiner Gruppen oppositioneller Jugendlicher in den 1980er Jahren: zum Liebknecht-Luxemburg-Gedenken am 15. Januar in Berlin, zur Dokfilmwoche in Leipzig im November, zum letzten DDR-Kirchentag im Juli 1989 in Leipzig und dann nach den montäglichen Friedensgebeten in der Leipziger Nikolaikirche im Sommer 1989.

      E WIE EINKAUFEN

      Einkaufen in der DDR hatte wenig zu tun mit dem, was heute „Shopping“ heißt. Es war kein Freizeitvergnügen der Überflussgesellschaft, sondern ein Verzweiflungskampf in der Mangelwirtschaft.

      Es gab nur einen Bruchteil der Läden, die es heute gibt, viele Spezialläden gab es noch nicht, und es gab keine Supermärkte. Es gab allenfalls die Konsum-Kaufhalle mit einem Grundsortiment, die heute einem Minimarkt entspricht. Selten hatte man in einem Laden alles Erwünschte zur Verfügung, zum Fleischer musste man extra gehen, allenfalls gab es Brot und Brötchen in der Kaufhalle. Man kaufte auch nur kleinere Mengen ein, dafür wenigstens aller drei Tage, keinen Wocheneinkauf. Viele Käufer, vor allem ältere Menschen, hatten kein Auto, sie fuhren mit einem Handwagen oder mit dem Fahrrad einkaufen – oder schleppten schwere Taschen vom Laden nach Hause. Einkaufen war Nahrungssuche. Nahm später das Einkaufen mit dem Pkw zu, gab es wieder wenig Parkplätze, denn die Läden in der DDR, auch die Kaufhallen, waren noch nicht an der Peripherie der Städte zu finden, sondern im Zentrum, wo es oft an Parkplätzen fehlte.

      Viele Produkte waren weniger haltbar als heute, weshalb man sie nicht länger bevorraten konnte. Ein Kasten Bier im Sommer verdarb vielleicht schon nach einer Woche, die Milch hielt sich nicht länger als drei Tage, auch nicht im Kühlschrank. Am Sonnabend bildeten sich lange Warteschlangen vor den Bäckerläden, weil die Kunden, die werktags zeitig zur Arbeit gingen, an diesem einzigen Tag der Woche frische Brötchen von einem richtigen Bäcker mit ihrer Familie essen wollten. Der Bäcker gab es einfach zu wenige, obwohl dies der Handwerksberuf war, den die DDR am meisten von politischem Druck verschonte.

      Man konnte auch nicht nach Wunsch oder Bedarf einkaufen, sondern musste sich nach den aktuellen Angeboten richten und gegebenenfalls Vorräte horten. Gab es gerade Tomatenmark, musste man mehrere Flaschen kaufen, denn dann gab es ein Vierteljahr lang nie wieder Tomatenmark. Ein erfahrener Käufer mit guten Kontakten zum Verkaufspersonal erhielt geheime Tipps: „Morgen um neun Uhr wird diese Ware angeliefert, kommen Sie um diese Zeit in den Laden, am Nachmittag ist es schon wieder ausverkauft – oder ich reserviere Ihnen etwas unter dem Ladentisch!“

      Die Verpackung der Waren war nicht für verwöhnte Kunden gedacht, die keinen Beutel bei sich führten. Es gab auch an der Kasse weder Plastebeutel noch Papiertüten oder Klappkisten. Dafür hatte der Kunde selbst zu sorgen. Die Verpackung der Waren war denkbar einfach. Das meiste war in Papiertüten verpackt, viele Waren gab es noch lose, und sie wurden erst in Ölpapier, danach in Zeitungs- oder Einschlagpapier eingewickelt, zum Beispiel Sauerkraut oder Fischsalat. Obst und Gemüse wurden lose in die Einkaufstasche gesteckt. Es fiel wenig Verpackungsmüll an. Für den Transport der eingekauften Waren benutzten Familien gern den Kinder- oder Sportwagen, in dessen Netz und Bodenkorb alles hineinpasste. Apropos Netz – das Dederonnetz war eines der beliebtesten Transportsysteme. Es passte in die Jackentasche und dehnte sich bei Bedarf um ein Vielfaches aus. Allerdings konnte man eine Zahnbürste oder eine Stange „Pfeffi“ unterwegs auch schnell verlieren.

      Das Einkaufen kostete manchmal weniger, manchmal aber auch mehr Zeit. Preisvergleiche entfielen gänzlich. Die Suche nach Alternativen konnte sinnlos oder sinnvoll sein. Gab es den gewünschten Artikel in dem Laden, den man dafür angefahren hatte, nicht, war entweder zu erwarten, dass es ihn nirgendwo gab – oder dass er doch im Umkreis von hundert Kilometern in einem anderen Geschäft noch zu finden war.

      In den meisten Bezirkshauptstädten und etlichen anderen größeren Städten gab es zwei Kaufhausketten: „Centrum“-Warenhäuser mit dem umfangreichsten Kleidungsangebot und „konsument“-Warenhäuser der Konsumgenossenschaft mit deutlich geringerem Sortiment. Man musste bei jeder Kleidungssuche zunächst davon ausgehen, dass es entweder die gewünschte Farbe, Form oder Größe nicht gab, und ein erster Einkaufsversuch führte oft noch nicht zum Erfolg. In den 1970er Jahren wurden in den Bezirksstädten Jugendmode-Läden eröffnet, die etwas mehr auf die Bedürfnisse junger Käufer eingestellt waren. Aus heutiger Sicht waren auch sie Wüsten der Langeweile.

      Baumärkte waren gänzlich unbekannt, und ihre Entdeckung gehörte zu den eindrucksvollsten Erlebnissen für DDR-Bürger nach der Wende. Ich sollte für einen Bekannten ein Ersatzteil für einen Wasserhahn von einer Westreise mitbringen, aber ich scheiterte an der Fülle der Angebote im Baumarkt und war völlig ratlos und verwirrt. Baumaterialien kaufte man in einer Genossenschaftshandlung ein. Man begab sich ins Büro, bezahlte die Ware, sofern sie vorrätig war, erhielt einen Zettel und suchte dann im Betriebsgelände die Ausgabestelle. Ersatzteile für Klempner- oder Elektrikerarbeiten gab es kaum im Handel zu kaufen, man musste zum Handwerker betteln (oder ihn bestechen) gehen, denn der hatte aufgrund der knappen Warendecke kein Interesse, von der Mangelware noch etwas abzugeben. Hier und da gab es weithin bekannte Geschäfte für „Heimwerkerbedarf“, wo man gelegentlich das Gewünschte fand.

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