Mein kleines DDR-ABC. Arndt Haubold

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Mein kleines DDR-ABC - Arndt Haubold

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für DDR-Leser war, war Bückware, die unter dem Ladentisch gehandelt wurde. Zeitungsläden waren Räume gähnender Leere, die nur durch Tabakwaren oder Lottoannahme so etwas wie öffentliche Läden wurden. Um beliebte Zeitschriften wie „Das Magazin“ oder den „Eulenspiegel“ kaufen zu können, musste man mit der Verkäuferin gut bekannt sein, denn sie wurden nur auf konspirative Rückfrage für erlesene Kunden unter dem Ladentisch herausgereicht. Auf den Bahnhöfen gab es keine Zeitschriftenhandlungen, sondern nur kleine Zeitschriftenkioske. Das Angebot war nur ein Bruchteil des heutigen.

      Die Langeweile des Einkaufens wurde auch durch die Einheitspreise („Einzelhandelsverkaufspreis“ – EVP – war auf jedem Artikel aufgedruckt) verstärkt. Es gab weder Saisonschlussverkäufe noch Angebote noch Rabatte – über vier Jahrzehnte hatte jede Ware ihren Preis, den das Amt für Preisbildung der DDR für richtig befand. Er hatte weder mit Angebot und Nachfrage noch mit dem Herstellungswert etwas zu tun, sondern war politisch motiviert. Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs (auch Schulsachen), Mieten und Fahrpreise der öffentlichen Verkehrsmittel mussten billig sein und wurden deshalb hoch subventioniert, technische Geräte, Luxusgüter (dazu zählte auch der Kaffee) und Kleidung hingegen waren oft wesentlich teurer als heute. Das galt nicht für einfache Kinderkleidung.

      Um bewusst einzukaufen, gab es keine Möglichkeiten. Weder waren Bio-Produkte noch fair gehandelte Waren bekannt, auch regionale Produkte gab es nur außerhalb des staatlichen Handels beim Bauern zu kaufen, sofern man die DDR-Herkunft vieler Güter nicht als regional bezeichnen wollte Natürlich gab es keine Kleidung aus Bangladesch, keine Tomaten aus Spanien, keine Weine aus Frankreich zu kaufen. Viele Waren stammten aus dem „Ostblock“ – Weine, Obst und Gemüse aus Bulgarien, Rumänien und Ungarn, Schreib- und Spielwaren aus der Tschechoslowakei, Handtücher, Reis und Tee aus China, Apfelsinen aus Kuba. Aus der Sowjetunion gab es im Einzelhandel fast nichts zu kaufen, auch kaum etwas aus Polen. Das gänzliche Wegbrechen dieses Ostmarktes – etwa bei Gemüse wie ungarische Paprika – kann man heute durchaus bedauern.

      Einkaufsfahrten unternahmen viele, vor allem aus dem Süden der DDR, in ihrer Endzeit gelegentlich in die Tschechoslowakei. Dort gab es eine größere Fülle und zum Teil bessere Qualität an Sport- und Haushaltswaren und Heimwerkerbedarf. Jedoch bestand dort die Schwierigkeit, ausreichend DDR-Mark in tschechoslowakische Kronen tauschen zu können.

      Technische Geräte einzukaufen, war noch komplizierter als Waren des täglichen Bedarfs. Einen bestimmten guten Staubsauger oder Plattenspieler musste man oft bestellen und erhielt ihn erst nach längerer Wartezeit. Der Einkauf eines Pkws war ein Abenteuer. Doch dazu später.

      Das Einkaufen in der DDR glich insgesamt eher der Urgesellschaft, es war von Jagen und Sammeln bestimmt und von Naturalientausch statt von Geldwirtschaft.

      F WIE FREIKÖRPERKULTUR

      Offiziell war die DDR prüde. Der sozialistische Mensch war zur Arbeit bestimmt, zur Verteidigung der Heimat, zur Nachwuchserzeugung, nicht zur zwecklosen Lebensfreude. Alles „Freie“ hatte den Geruch der Konterrevolution. Pornografie war ebenso verboten wie Prostitution. Natürlich gab es beides unter der Hand, aber man brauchte Geld oder gute Beziehungen, um sie zu genießen. Zur Leipziger Messe blühte selbstverständlich das horizontale Gewerbe im Dienst des sozialistischen Vaterlands und brachte die begehrten Devisen. Manche flotten Feger fuhren auch gern nach Ungarn oder in die Tschechoslowakei und ließen sich dort im Urlaub von Westdeutschen verwöhnen, indem sie sie verwöhnten. Die Partei hatte nie alles im Griff. Aber für den einfachen Arbeiter und Bauern gab es nur den monatlichen Republik-Nackedei – ein einziges Aktfoto in der Zeitschrift „Das Magazin“, die natürlich auch nicht am Kiosk frei verkäuflich, sondern durch eine begrenzte Zahl von Abonnements kontingentiert war. Hinzu kam später ein zweites Nacktfoto im „Eulenspiegel“, selten hatte auch die „Armee-Rundschau“ ein Aktfoto oder das Jugendmagazin „Neues Leben“. Ansonsten strotzten die Titelseiten der DDR-Zeitschriften von prallen Helden bei der Planerfüllung, von Neubauviertel-Erlebniswelten oder von sexy sozialistischen Staatsbesuchen. Inge von Wangenheims Roman „Die Entgleisung“ hatte zum Inhalt, dass ein Eisenbahnwaggon auf dem Weg aus der DDR nach der BRD unglücklich entgleiste und seine verbotene Fracht – Pornografiehefte, die in der DDR, obwohl hier verboten, für die BRD gedruckt worden waren – auf die Wiese ergoss, was zu schweren Turbulenzen führte. Im Übrigen gab es in der DDR vieles nur einmal: den monatlichen Nackedei, das Aufklärungsbuch „Mann und Frau intim“, den Bildband „Aktfotografie“ von Klaus Ender. Gelegentlich konnte man Aktfotografien per Anzeige in der Zeitung käuflich erwerben – sie waren dann als „tschechische Märchenfilme“ oder „Naturfotografien“ getarnt.

      Natürlich gab es im Sozialismus auch Mann und Frau, und die Kinder wurden wie in der Urgesellschaft und wie im Kapitalismus gezeugt. Die Gesellschaft der DDR stand unter sexuellem Druck und suchte sich ihre Ventile. Sie fand sie in der Freikörperkultur. Diese war nie verboten worden, aber sie war zunächst ein Randphänomen. Die Moritzburger Teiche, der Ostseestrand auf dem Darß und ähnliche Badestellen waren Geheimtipps. Erst in den 1980er Jahren erschien ein FKK-Führer zu all diesen Stränden, nachdem sie sich ausgeweitet und ein immer breiteres Publikum gefunden hatten: die Kiesgruben in Luppa bei Oschatz, in Naunhof bei Leipzig, in Pahna bei Frohburg und eine wachsende Anzahl von Strandabschnitten an der Ostseeküste. Dort entfaltete sich ein gemäßigt-wildes Leben. Nicht jugendgefährdend wie am französischen Cap d’Agde, aber doch eine kleine Welt ohne FDJ-Bluse, ohne sozialistische Losungen, eine Welt, die Lenin nicht geplant hatte – ein Stück Freiheit. Da wurden abends Lieder zur Gitarre gesungen, da gab es Lagerfeuer, die nicht bei der Freiwilligen Feuerwehr angemeldet waren, da regelte sich alles von der Basis her – der staatliche Überbau musste lediglich für den geordneten Pkw-Parkplatz sorgen (womit er genug zu tun hatte). Hier begegneten sich der Parteisekretär und der Pfarrer incognito.

      Gemessen an der Bevölkerungszahl waren diese DDR-Paradiese stärker besucht als die entsprechenden Areale in der alten BRD. Vielleicht lag es ja auch daran, dass es im Westen mehr schicke, modische Badeanzüge gab, die die weibliche Welt Parade tragen wollte, während die schlichteren DDR-Kostüme aus Malimo weniger Reiz hatten als das, was die Natur den Frauen schenkte. Jedenfalls war die DDR auf diesem Gebiet führend, vielleicht sogar Weltspitze – und sie hatte etwas, das es im gesamten sozialistischen Lager nicht noch einmal gab. Im Zuge der Freikörperkultur bürgerten sich dann im letzten Jahrzehnt der DDR auch gemischte Familiensaunen ein. Auch in einzelnen DEFA-Filmen wurden, nachdem die DDR ideologisch gefestigt schien, gelegentlich züchtige, aber doch verlockende Busen enthüllt. Und im Theater Karl-Marx-Stadt begann mit der Inszenierung von Goethes „Faust I“ 1975 das, was einem heute das Leipziger Schauspiel vergällt: der Auftritt entblößter Körper – jedoch noch nicht in regelmäßigen Kopulationsszenen, sondern indem für eine Minute drei junge Hexen barbusig in der Walpurgisnacht durch die Reihen sprangen. Die Vorstellung im großen Saal der Stadthalle war immer ausverkauft „Die nackte Republik“ – das war die DDR.

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