Man hat's nicht leicht, so als Student. Hans Hüfner
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„Komme nach Hause, da zugelassen zum Lehrgang der Vorstudienanstalt. Unterrichtsbeginn am 6. Januar. Dein Vater Paul Hüfner“2
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RÜCKKEHR IN DIE SOWJETISCHE BESATZUNGSZONE
Diese Weihnachtsüberraschung bescherte mir eine unruhige Nacht, Zweifel kamen auf. Aber im Verlauf der nächsten Tage rang ich mich durch, in die SBZ zurückzukehren. Immerhin war damit das Risiko verbunden, dass die angedrohten Strafen wegen Nichtbefolgens der Arbeitsverpflichtung wirksam werden könnten. Am Silvestertag verließ ich mein Domizil in Ringelstein, um in der Neujahrsnacht zwischen Eichenberg und Arenshausen im Eichsfeld über die Grenze zu gehen. Zweifellos war das ein Zeitpunkt, der das Unternehmen außerordentlich begünstigte. Das neue Jahr wurde eingeläutet, als der Zug in Hedemünden an der Werra einlief, und kurz nach Mitternacht stand ich, zunächst ziemlich einsam, in der Schalterhalle des Bahnhofs Eichenberg, mit den besten Vorsätzen für das neue Jahr und in der Hoffnung auf einen glücklichen Grenzübergang. Offenbar war nicht schwer zu erkennen, welches Vorhaben mich zu so außergewöhnlicher Stunde an diesen Ort verschlagen hatte, denn es dauerte nicht lange, da hatten sich ein paar Schicksalsgenossen zusammengefunden, die wie ich, die Gunst der Neujahrsnacht für ihre Zwecke nutzen wollten.
Es war eine ruhige mondhelle Nacht, der Boden war hart gefroren, stellenweise lag noch etwas Schnee, und wir schienen tatsächlich weit und breit die einzigen Menschen zu sein. Bis Hohengandern, bereits in der Ostzone, marschierten wir an einem Bahndamm entlang, der keine Gleise mehr trug, unbehelligt von Grenzwächtern beider Seiten. Von Arenshausen, der ersten Bahnstation jenseits der Grenze, hofften wir, im Laufe des Tages mit der Eisenbahn weiterzukommen. Aber der Fahrplan besagte, dass an Sonn- und Feiertagen der Zugverkehr ruhe, dass wir demzufolge noch über 26 Stunden warten müssten. Am Neujahrsmorgen gegen 3 Uhr mussten wir diese herbe Enttäuschung hinnehmen. Zum Glück war der Schalterraum des kleinen Bahnhofs nicht abgeschlossen. Es gab dort ein paar Bänke, die zur Nachtruhe einluden, in meinem Gepäck hatte ich eine Wolldecke, und ein Gefährte dieser Nacht fand in den Zäunen benachbarter Grundstücke geeignetes Brennmaterial für den eisernen Ofen, der offenbar gemäß Eisenbahnbau- und Betriebsordnung hier zu stehen hatte. Diese gebündelten Maßnahmen brachten nicht das erhoffte Ergebnis. Ich fror jämmerlich. Deshalb packten wir, als der Morgen graute, unser Gepäck zusammen und machten uns auf den Weg in Richtung Heiligenstadt. Bis dahin waren es immerhin zwölf Kilometer, die wegen meiner umfangreichen Habe mit Schweiß aufgewogen werden mussten. Natürlich gab es an diesem Neujahrstag von Heiligenstadt aus keinen Zugverkehr, weshalb es, uns ausgenommen, auch keine weiteren Fahrgäste und damit auch keine Veranlassung gab, den Warteraum zu heizen. Für ein paar Stunden fanden wir etwas Wärme im Kino. Dort wurde in der Kindervorstellung ein Russenfilm gezeigt: „Admiral Nachimow besiegt die Türken“.
Bahnhof Heiligenstadt, wo mein Vater am Neujahrstag 1948 nächtigte.
Wir ließen es über uns ergehen. Anschließend rückten wir in einer Kneipe ein paar Stühle an den Ofen und tranken dazu, weil es nichts anderes gab, heißen Kinderkaffee. Für die Nacht fanden wir in einem Durchgangslager für Kriegsgefangene eine Bleibe. Hier war gerade ein Transport aus Russland eingetroffen, der in die britische Zone weitergeleitet werden sollte. Ihre Entlassung aus der Gefangenschaft hatten sie offenbar ihrem miserablen Gesundheitszustand zu verdanken. Es waren ausnahmslos bleiche, abgemagerte Gestalten in verschlissenen Uniformen, darunter junge Burschen, nicht älter als wir, mit greisenhaften Gesichtszügen, mit dick angeschwollenen Beinen. Relativ gut genährt und gekleidet, deshalb mit zwiespältigen Gefühlen, stand ich diesem Elend gegenüber. Im Überschwang des Sieges hatten mich die Russen im Mai 1945 nach Hause geschickt und nicht nach Sibirien. Hier hatte ich vor Augen, was mir dadurch erspart geblieben ist.
Am 2. Januar 1948 früh 4 Uhr fuhr der erste Zug ab Heiligenstadt in Richtung Sangerhausen. Dort mussten wir bis zur Weiterfahrt wieder neun Stunden warten. Wartezeit war Zeit für Gespräche. Die Warteräume in den Bahnhöfen waren überfüllt mit Reisenden. Es waren keine Vergnügungsreisenden und viele von ihnen hätten Abenteuerliches erzählen können.
Neben mir saß ein ehemaliger Landser. Er kam direkt aus Italien, war dort aus amerikanischer Gefangenschaft geflohen und wollte nun nach Hause. Ich musste wieder an die Gefangenen denken, die aus Russland kamen, mit denen ich gestern in Heiligenstadt gesprochen hatte. Ein junger Mann borgte sich bei mir 20 Mark, um eine Fahrkarte für die Heimfahrt bezahlen zu können. Ich wusste, dass ich das Geld nie wieder sehen würde. In Halle wieder Warten auf den Anschluss, dann in dreistündiger Fahrt in einem hoffnungslos überfüllten Zug nach Leipzig. Etwa 60 Stunden war ich unterwegs, als ich in den Morgenstunden des 3. Januar 1948 wieder zu Hause war.
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UNTERRICHT NACH FÜNFJÄHRIGER PAUSE
Der Lehrgang hatte bereits im September begonnen. Ich musste also den Unterrichtsstoff von vier Monaten nachholen. Zunächst gab es auch einige Anlaufschwierigkeiten. Nach relativ kurzer Zeit hatte ich aber den Anschluss geschafft. Das war einmal den ausgezeichneten Lehrkräften zu danken, zum anderen erwies sich das Fundament, das vor Jahren auf St. Augustin gelegt wurde, als sehr solide und tragfähig, und drittens war ich ja auch mit dem Vorsatz hier eingestiegen, die Zeit zu nutzen.
Neben den allgemeinen Unterrichtsfächern gab es an der Vorstudienanstalt auch eine Vorlesung „Einführung in die Geschichte und Volkswirtschaft“, durch die ich mit den philosophischen Grundlagen des Marxismus, mit dem Kommunistischen Manifest und der marxistischen Politökonomie bekannt gemacht wurde. Der Dozent, ein gewisser Dr. Sch., hatte die Gabe, diesen Stoff interessant zu gestalten und in einer lockeren Form seinen Zuhörern verständlich zu machen. Ich denke zuweilen heute noch oder wieder daran, nachdem wir in den letzten Jahren Gelegenheit hatten, das Für und Wider der globalen Marktwirtschaft kennen zu lernen.
Bescheinigung über den Beitrag des Autors beim Neuaufbau des Landes
In meiner Klasse strebten mit mir noch etwa 25 weitere, ausnahmslos männliche Personen, das gleiche Ziel an, nach bestandener Prüfung an einer Hochschule zu studieren. Fast alle waren noch Soldat gewesen, und fast alle waren jetzt Mitglied einer Partei, der Partei. Ein paar Scharfmacher waren auch darunter.
Unter dem 2. Juni 1948 findet sich in meinem Kalender eine Notiz: „Man spricht mit mir“. „Man“, das waren jene Scharfmacher, die aus mir unbekannten Gründen irgendetwas gegen mich hatten, wahrscheinlich, weil ich mich nicht entschließen konnte, einer Partei und noch nicht einmal der FDJ beizutreten. Zuvor hatte der als Klassenleiter eingesetzte Dozent, ein gewisser Dr. H., bereits versucht, mich dazu zu bewegen, die Vorstudienanstalt freiwillig zu verlassen. Wahrscheinlich war auch das auf Betreiben der „Scharfmacher“ geschehen. Weil ich aber in allen Fächern gute Leistungen vorweisen konnte, in Mathe hatte ich sogar eine 1, fand sich kein Vorwand, mich von der weiteren Teilnahme am Lehrgang auszuschließen. Als im August die letzten Prüfungen stattfanden, war bereits geklärt, dass ich mit dem Beginn des Wintersemesters 1948/49 ein Studium an der Architektur-Abteilung der Technischen Hochschule Dresden aufnehmen würde. Wegen der nicht befolgten Arbeitsverpflichtung gab es nach meiner Rückkehr