ROSAROT war ihre Brille … Die Fortsetzung. Anabella Freimann

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ROSAROT war ihre Brille … Die Fortsetzung - Anabella Freimann

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als elegant absolvierte ich mein Programm und bekam doch noch gute Noten dafür.

      Zum endgültigen Loslassen aber verhalf mir unser Schuldirektor. Das kam so: Der von mir so heftig Angehimmelte kam häufig zu spät zum Unterricht. Eines Tages holte mich mein Lehrer mit folgenden Worten aus dem Unterricht: „Du willst doch Lehrerin werden, jetzt kannst du schon mal einen kleinen Schnupperkurs machen. Werfe auch mal bei der Gelegenheit einen Blick ins Klassenbuch.“ Damit steckte er mich in die Klasse, die Herr Prokop führte. Ich setzte mich an den Lehrertisch, und wenn ich es recht bedenke, waren das eigentlich die wirklich allerersten Minuten meiner Lehrerinnenlaufbahn.

      Die Kinder kannten mich von den Pausen auf dem Schulhof. Sie waren ganz still und schauten mich erwartungsvoll an. Ich war sehr aufgeregt und ich hatte Angst, mich vor den Kindern zu blamieren. Meine Angst erwies sich als unbegründet.

      Im Klassenbuch stand, dass jetzt Lesen geübt werden sollte. Ich schlug das Lesebuch auf, wählte eine Geschichte aus und bat sie, diese aufmerksam zu lesen. In der Zwischenzeit blätterte ich ein wenig im Klassenbuch und fand – oh Schande – eine ganze Reihe Rechtschreibfehler. Das konnte ich ihm nicht verzeihen, so wie ich auch bei Briefen meiner Verehrer immer zuerst die Fehler entdeckte und manchmal sogar mit Korrektur zurücksendete.

      Mitten im Nacherzählen und im Fragen beantworten ging die Tür auf und „Er“ erschien. Er sagte nicht etwa Dankeschön zu mir, sondern schaute durch mich hindurch. Ich schien für ihn nicht zu existieren! War es ihm denn gar nicht peinlich, dass ihn eine Schülerin vertreten musste? Wohl doch nicht. Von dieser Minute an starb meine Schwärmerei. Die Kinder winkten mir zu, als ich den Raum verließ. Und wer kam mir entgegen? Unser Schuldirektor.

      Ich wurde später wirklich Lehrerin, wenn auch mit Hindernissen. Oft musste ich an diese Begebenheit zurückdenken. Und dann war in meinem Kopf immer ein ‚Schade‘, denn ich sah ihn nie wieder und hätte ihm gern tüchtig den Kopf waschen. wollen.

       Nichts im Leben muss man fürchten.

       Man muss es nur verstehen.

       (Marie Curie)

       DER TOD GEHÖRT ZUM LEBEN

      Meine erste Begegnung mit dem Tod erlebte ich mit der Beerdigung meiner geliebten Oma Milda. Ich war acht Jahre alt und ich fragte mich, was die Großmutter in diesem engen Kasten sollte, der dann auch noch vergraben wurde. Die andere Ungereimtheit bestand darin, dass die Klassenkameraden, die sonst nie von mir Notiz nahmen, mir mit einem ernsten Kopfnicken die Hand schüttelten. Was sollte das? Oma Milda hätte alles erklären können, das hatte sie immer getan. Doch sie kam nicht wieder. Lange, lange noch wartete ich vergebens auf sie.

      Meine zweite, die schmerzlichste Begegnung mit dem Tod war, als ich unsere kleine Tochter Sabine am frühen Morgen tot im Bett fand. Ich brauchte viele Jahre, um darüber sprechen zu können und noch mehr Jahre, um die Trauer annehmen und den Tatsachen ins Auge sehen zu können. Doch sie ist nicht vergessen, sie ist immer bei uns.

       Mein Vater

      Er wollte nicht mehr leben, als er, nach mehreren OPs erblindet, auch noch einen Schlaganfall erlitt und fast gelähmt war. Ich habe ihm gern zugehört, wenn er Klavier spielte. Doch das kam selten vor. Er war sehr intelligent und schlagfertig. Immer wollte er perfekt sein, und selten zeigte er seine Gefühle. Ging er doch einmal ein wenig aus sich heraus, nannte er mich zärtlich „Dotschka“, was auf Russisch Töchterchen heißt. Dieses Wort von ihm zu hören, machte mich jedes Mal sehr glücklich.

      Als mein Vater nach vielen unbewältigten Krankheiten den Freitod wählte, traf mich das Geschehen besonders tief. Ich sah auch darin wieder eine Schuld meinerseits. Hatte mein Vater doch am Vortag seines Todes noch mit mir telefoniert und mir seine Sorgen mitgeteilt. Ob ich nicht genug darauf eingegangen war? Hätte ich den Freitod verhindern können? Froh war ich nur, dass unser beider Verhältnis am Ende seines Lebens wieder ein sehr gutes geworden war. Das war nicht immer so, denn ich hatte lange Zeit Angst vor ihm gehabt. In seiner Brieftasche fand ich einmal beim Herumstöbern ein Gedicht. Dem Zustand des Papiers nach zu urteilen, musste es schon lange unbeachtet in einem Fach gelegen haben. Es kamen diese Worte vor, von denen ich annahm, dass sie schmutzig sind. Ich war einmal für solch ein Wort bestraft worden. In der Erntezeit kamen größere Jungen auf unseren Hof, die beim Einbringen der Ernte, beim Abladen der Garben und beim Transportieren von Stroh auf die Scheune halfen. Meistens konnte ich mich vor ihnen verstecken, weil ich sie nicht mochte. Doch einmal gelang es mir nicht und sie riefen mich: „Komm mal her und sprich uns den Satz nach: Die Hühner picken. Du musst aber dabei die Mundwinkel breitziehen.“ Wegrennen ging nicht mehr, also tat ich, was die beiden Jungen mir auftrugen. Schallendes Gelächter ertönte, aber ich wusste nicht, was daran so amüsant zu sein schien. Es kam ja kein P beim Breitziehen der Mundwinkel heraus, sondern ein F. Ja und? Ich begriff nicht und kam mir dumm vor. Ich kannte dieses neue Wort mit F nicht. „Nun geh zu deiner Mutter und führe ihr das Kunststück vor, sie lacht bestimmt genauso wie wir.“ Gesagt, getan. Sie lachte nicht. Ich bekam böse Worte von ihr zu hören. „Schämst du dich nicht, so etwas zu sagen?“, empörte sie sich. Ich wusste nicht, warum ich mich schämen sollte. Aber ich schlussfolgerte, dass dieses Wort etwas beinhaltete, wofür man sich zu schämen hatte und was man nicht tun durfte, ohne dafür bestraft zu werden.

      Die Gefühle und Gedanken von damals waren beim Finden dieses ‚Pamphlets‘ plötzlich wieder da. Ich konnte meinen geliebten Vater nicht mehr innig umarmen, ich hatte Angst vor ihm. Als er immer kränker wurde, nutzte ich jede Gelegenheit, ihn in den Arm zu nehmen und mich mit ihm zu unterhalten. Das tat uns beiden so gut! Und was besagtes F-Wort anging, war ich ja inzwischen erwachsen und konnte lockerer damit umgehen, wenn ich irgendwo eines der F-Wörter las. Doch damals wie heute empfinde ich sie als unangenehm.

      Am Vortag seines Freitodes war ich in Jena in der Augenklinik gewesen und mit dem Linienbus durch den Ort gefahren, in welchem meine Eltern wohnten. Warum bloß war ich nicht ausgestiegen? Warum hatte ich ihn nicht noch einmal besucht?

      Später erfuhr ich, dass das Ende meines Vaters auch ohne sein freiwilliges Sterben über kurz oder lang eingetreten wäre. Aber trotzdem. Ich kam von diesen doch so unbegründeten Schuldgefühlen einfach nicht los.

       Meine Mutter

      Mancher wundert sich vielleicht, warum ich meine Mutter nicht an erster Stelle genannt habe. Mütter sollten doch immer für ihre Kinder da sein, sie sollten ihnen Mut machen, ihnen sagen, dass sie stolz auf sie sind. Eine Mutter sollte ihrem Kind erst recht beistehen, wenn es einen Fehler begangen hat. Es gibt da diese Sprüche: Meine Tochter ist wundervoll, und ich bin glücklich, ihre Mama zu sein. Es tut mir leid, aber meine Mutter sagte einen ganz anderen Satz zu mir: „Du musst mich lieben, denn ich habe dich unter großen Schmerzen zur Welt gebracht.“

      Du musst? Nein, ich musste gar nichts. Der Satz bewirkte nämlich genau das Gegenteil bei mir. Ich konnte sie nicht lieben, auch weil sie nicht liebevoll zu mir war, weil sie mich wegen Kleinigkeiten mit stundenlangem Schweigen bestrafte, weil sie mich nie in den Arm nahm und mir nie beistand, wenn ich mich mit meinen Sorgen an sie wendete. Vielleicht war ich ein ungewolltes Kind? Dieser Gedanke verfolgte mich bis ins Erwachsenenalter hinein. Ich kann es einfach nicht vergessen.

      Lange, sehr lange dauerte es, aber ich habe ihr inzwischen verziehen.

      Viele Freunde mussten wir gehen sehen, auch unsere geliebte Tante. Aber die Erinnerung bleibt.

      Bertold Brecht soll einmal gesagt haben: „Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn

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