Der frühe Marx und die Revolution. Peter Trawny

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Der frühe Marx und die Revolution - Peter Trawny

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von Denken und Leben bei Marx etwas aufzuhellen. Ich wollte Ihnen Einblick in ein sehr eigentümliches Leben geben, ein Leben, das sich keineswegs nur in theoretischer Beschäftigung erging, sondern das auch Zeiten politischer Praxis enthielt; einer Praxis, die sich im verwirklichten Traum von der letzten Revolution erfüllen sollte. Marx ist aufgrund dieser Zerrissenheit zwischen der Theorie und der Praxis ein sehr moderner Charakter.

       2. Vorlesung

       Hegel, Feuerbach und die Religionskritik aus der Umkehrung von Prädikat und Subjekt

      Ich hatte meine letzte Vorlesung mit einem Zitat aus Sperbers Marx-Biographie begonnen: »Um Marxens Ideen zu verstehen, genügt es nicht, ihren intellektuellen Inhalt zu kennen; man muss sie im größeren Zusammenhang seines Lebens sehen.« Ich hatte dann diesen Satz etwas anders ausgelegt. Es gibt keine biographische Determination des Denkens eines Philosophen bzw. überhaupt des Denkens, sondern es gibt eine wechselseitige Beeinflussung von Biographie und Denken. Das Philosophieren (aber auch die künstlerische Arbeit, meine ich) geschieht sym-bio-graphisch, in einer Art Symbiose von Denken und Leben. Ich hatte das am Leben von Marx gezeigt. Ich hatte gezeigt, dass seine politische Verfolgung sich aus seinem Denken ergab und dass sein Denken eine Antwort auf die politische Verfolgung war.

      Ich hatte auch beschrieben, wie und wann Marx zu dem Denker wurde, der er für uns ist. Das geschah in Berlin durch sein Studium der Philosophie Hegels und im Kontakt mit denen, die um das Erbe dieser Philosophie stritten, mit den Links- oder Junghegelianern sowie den Rechtshegelianern. Hier, in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts, beginnt Marx’ Geschichte als Philosoph – und als Philosoph, der kein Philosoph mehr sein wollte. Daher muss ich mich hier zunächst einmal aufhalten.

      Hegel – war ein europäisches Ereignis, ohne Zweifel einer der Philosophen schlechthin wie Platon, wie Aristoteles, wie Kant. Hegel war der Philosoph seiner Zeit. Als er 1831 in Berlin stirbt, ist er auf dem Höhepunkt seiner akademischen Macht, auf dem Höhepunkt vielleicht auch seines Denkens. Was bedeutet das aber für Hegel, auf dem Höhepunkt der akademischen Macht seines Denkens zu sein?

      Hegel gilt als der Philosoph, der den Staat Preußen in seinem Denken legitimiert und sogar repräsentiert. Das ist nicht einfach so dahingesagt, sondern basiert auf harten historischen Fakten. Wer von Hegels Karriere in Berlin sprechen will, muss von Karl vom Stein zum Altenstein sprechen, wie Hegel 1770 geboren, neun Jahre nach Hegel in Berlin gestorben. Erinnern Sie sich an die Geschichte Preußens: Preußen hatte unter der Besetzung Napoleons zu leiden. Es hatte 1806 eine große Schlacht gegen Napoleon verloren, bei Jena und Auerstedt. (Hegel übrigens war zu dieser Zeit Privatdozent in Jena und sah dort Napoleon in die Stadt einreiten. Er nannte ihn »diese Weltseele auf einem Pferde sitzend«.)7

      Die Reaktion auf die militärische Niederlage und die damit verbundene Okkupation Preußens war ein großartiges Reformwerk, das Werk Karl Freiherr vom Steins und Karl August Fürst von Hardenbergs. Zu den Stein-Hardenbergschen Reformen gehört auch die Gründung einer neuen Art von Universität, verbunden mit dem Namen Wilhelm von Humboldts. Noch heute spricht man von der Humboldt-Universität und meint nicht nur die Berliner Universität, die heute so heißt, sondern einen Typ von Universität, der bildungspolitisch von Humboldt geprägt wurde. Humboldt ging damals stark von Kant aus, verkehrte aber auch mit Hegel. (À propos: In der Geschichte der europäischen Universität war die Humboldt-Universität diejenige, die auf philosophischen Fundamenten aufbaute. Die Universität war ein Ort der Philosophie. Das hat sich inzwischen radikal geändert.)8

      Dieser Karl August von Hardenberg war es, der nach 1815, d. h. nach dem endgültigen Sieg über Napoleon, Karl vom Stein zum Altenstein in das neu gegründete Kultusministerium nach Berlin berief. Aufgrund seiner Reformen und des Siegs über Napoleon war Preußen eine aufstrebende Macht in Europa, durchaus progressiv neuen Ideen aufgeschlossen, eine konstitutionelle Monarchie, die sich allerdings bald unter Druck gesetzt fühlte. Es war nun der Minister Altenstein, der Hegel im Jahre 1818 von Heidelberg nach Berlin lotste. Und er tat das, weil er wusste, dass Hegel sich dem Staate Preußen gegenüber mehr als nur loyal verhalten würde.

      Als Altenstein 1817 Kultusminister wurde, geschah noch etwas anderes. Friedrich Wilhelm III. wurde im selben Jahr religionspolitisch tätig. In seiner Eigenschaft als summus episcopus hatte er das »landesherrliche Kirchenregiment« in Preußen inne. Kraft dieses Amtes vollzog er die Vereinigung der reformierten und lutherischen Gemeinden zu einer »unierten« Kirche in Preußen. Ich brauche Ihnen nicht zu erklären, was das heißt. Wichtig ist zu sehen, dass der »moderne« Staat Preußen sich dezidiert als ein christlicher und d. h. hier protestantischer Staat verstand.

      Dieses Selbstverständnis hatte politische und religionspolitische, um nicht zu sagen weltanschauliche Konsequenzen. Im Jahre 1819 kam es zu den Karlsbader Beschlüssen; das waren politische Beschlüsse, die Preußen mit anderen deutschen Staaten und mit Österreich unter der Führung Klemens von Metternichs verabredete und die sich im Großen und Ganzen gegen revolutionäre Umtriebe wandten. Napoleon war ja als der politische Erbe der Französischen Revolution in Europa aufgetreten. Diese Revolution – dieses Gespenst – spukte immer noch umher. Man wollte sich dagegen schützen durch jene Unterdrückungen, unter denen dann später auch Marx zu leiden hatte.

      Hegel hatte mit all dem wenig Probleme. Er konnte die Verbindung von Christentum (und d. h. für Hegel durchaus stets Protestantismus) und Staat systematisch begründen. Das tut er im § 270 der Grundlinien der Philosophie des Rechts von 1821. Dort heißt es, dass die »Religion« »die absolute Wahrheit zu ihrem Inhalt« habe und damit falle »auch das Höchste der Gesinnung in sie«.9 Als solche sei sie die »Grundlage« des Staates. An diesem Punkt sagt Hegel aber auch, dass sie, »Religion und Staat«, »auseinandergehen«. Der Staat, sagt er, sei »göttlicher Wille als gegenwärtiger, sich zur wirklichen Gestalt und Organisation einer Welt entfaltender Geist«. Als eine solche »Organisation« mag der Staat den Protestantismus zur »Grundlage« haben. Doch wenn die Religion nun reklamiere, dass neben ihrem Inhalt auch ihre »Form« im Staat Geltung beanspruchen wolle, müsse sie in ihre Grenzen gewiesen werden. Denn die »Form« der Religion in ihrem »Verhältnis zum Absoluten« sei »das Gefühl, die Vorstellung, der Glauben«. Im Staat aber gehe es vielmehr um das »Wissen«. Der Staat spiegelt sich in seinen vernünftigen Institutionen, die philosophisch, nicht religiös organisiert werden.

      Es ist klar, worum es geht. Hegel bezweifelt keineswegs, dass der Protestantismus »Grundlage« der Sitten, der Gesinnung etc. im Staate sein müsse. Er ist aber in dieser Hinsicht eben auch »nur« »Grundlage«. Die Kirche kann demnach im Staat keine politische Macht beanspruchen. Doch gewiss ist es schon nicht wenig, wenn sie »Grundlage« ist.

      Nun hatte Marx etwa zehn Jahre nach Hegels Tod in den Deutsch-Französischen Jahrbüchern (1843/44) Folgendes geschrieben: »Für Deutschland ist die Kritik der Religion im Wesentlichen beendigt und die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik.«10 Bleiben wir zunächst bei dieser letzten Bemerkung. Ich werde versuchen, sie im Rahmen dessen, was ich gerade über Hegel und die »Grundlage« der Religion für den Staat gesagt habe, zu interpretieren. Sollte die Religion die »Grundlage« des Staates und seiner Sittlichkeit sein, d. h. sollte die Religion die moralische Fundierung des Politischen übernehmen, dann ist die Einrichtung des Staats in seinen sozialen Institutionen prinzipiell von der Religion geprägt – und darüber hinaus legitimiert. Denn was mit dem absoluten Anspruch der Religion auch nur verbunden werden kann, bedarf keiner weiteren Rechtfertigung mehr. Wenn etwas »von Gott kommt« – wer wollte das, was da kommt, noch rechtlich-sittlich bestreiten?

      Wenn aber so der soziale Raum eines Staates von der Religion geprägt wird (ohne dass sie unmittelbare politische Macht hätte, ohne ihrer auch nur zu bedürfen), dann wird jede Kritik, die sich auf diesen sozialen – und als sozialen auch politischen – Raum bezieht, es immer zuerst

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