Spenglers Nachleben. Группа авторов
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Mit der Wiederkehr der Krise des Rationalismus, die im postmodernen Denken ihren Ausdruck gefunden hatte, und die keineswegs zufällig mit der Wiederkehr ökonomischer Krisenerfahrungen seit den 1970er Jahren zusammenfällt, kehrte also – genannt oder ungenannt – auch Spengler zurück. Was die Nachkriegszeit zu vergessen suchte, erschien auf einmal wieder zeitgenössisch. Luc Ferry und Alain Renaut gingen 1985 gar so weit, den französischen Poststrukturalismus insgesamt als eine hyperbolische Wiederholung des deutschen Diskurses der ersten Jahrhunderthälfte zu fassen und postulierten: »Das 68er-Denken, weit davon entfernt, ein rein einheimisches Produkt zu sein, ist das Resultat einer mehr oder weniger komplexen Verwendung von Themen und Thesen, die deutschen Philosophen […] entlehnt sind«.26 Neben Marx, Nietzsche, Heidegger und Freud wird auch Spengler als unterschlagene Einflussfigur angeführt, deren Wiederkehr den beiden als Index für eine prinzipielle Kritikbedürftigkeit des postmodernen Denkens galt. Auch Bouveresse merkte sarkastisch an, die Persistenz Spenglers müsse »entweder als Zeichen [eines] außergewöhnlichen Scharfblicks« seinerseits, »oder aber als Beweis der leichtfertigen Unbesonnenheit, Inkompetenz und erstaunlichen Oberflächlichkeit einer gewissen Zahl heute lebender Theoretiker […] gewertet werden.«27
Spenglers ›Wiederkehr‹ wurde so vor allem auf Fehlleistungen einzelner Philosophen zurückgeführt, die ihn hätten lesen müssen – sei es seines Scharfblicks wegen, sei es um seinem schwärmerischen Irrationalismus zu entgehen. So zutreffend diese Kritik von Fall zu Fall auch sein mag, sie verfehlt doch das Problem der anhaltenden akademischen und gesellschaftlichen Nachfrage nach Gedanken, die bereits bei Spengler formuliert waren und sein ›Vergessenwerden‹ offenbar überdauert haben. Denn es ist kaum von der Hand zu weisen, dass viele jener dezidiert postmodernen Konzepte, die in Spenglers Werk Referenzpunkte haben, die zu selten thematisiert werden, heute zu kulturwissenschaftlichen Gemeinplätzen geworden sind. Zu nennen wären etwa die Verabschiedung des modernen Fortschrittsmodells zugunsten einer Vielheit der Geschichten und die Ersetzung des Gesellschafts- durch den Kulturbegriff, der kulturelle und historische Relativismus und die damit einhergehende Identifizierung von abendländischer Kultur und kritischer Vernunft, der methodische Eklektizismus der kulturwissenschaftlichen Disziplinen und ihre Abneigung gegen kausale Erklärungsmuster sowie nicht zuletzt die kulturelle Bedingtheit auch der objektiven Naturwissenschaften, wie sie in der kulturwissenschaftlichen Wissenschaftsgeschichte behauptet wird.28 Es wäre von daher schlechte Ideologiekritik, derart weitreichende Phänomene umstandslos auf die vermeintliche Unbesonnenheit und Inkompetenz einzelner Diskursbegründer zurückführen zu wollen.
Gegen ein »traditionell ideologiekritisches Abfertigen« der Postmoderne, das er vor allem bei Habermas bemängelt, auf je eigene Weise aber auch in den einschlägigen Texten von Bouveresse, Frank, Ferry, Renaut oder auch Alfred Schmidt29 hätte finden können, wies Burghart Schmidt deshalb nicht ohne Hoffnung darauf hin, dass in der »postmodernen Atmosphäre Probleme wiederaufgetaucht« seien, die durch »unsere jüngste Moderne, bestehend aus Restauration des Kapitalismus nach einer Weltkriegsexplosion, vergessen gemacht werden sollten.«30 Nicht zuletzt die (latente) Rückkehr spenglerianisch-morphologischer Denkformen, die er exemplarisch an der archäologischen Geschichtstheorie Michel Foucaults nachzuweisen suchte,31 wurde für Schmidt vor diesem Hintergrund zu einem Indikator dafür, dass sich in der postmodernen Philosophie etwas »regt«, das ein »heute fälliges aufklärerisches Erinnern ausmacht, gemäß Benjamins Einsicht, daß kein Erinnern, will es Erinnern sein, ohne produktives Vergessen auskommt«.32
Lastet man das ›Vergessenwerden‹ Spenglers und die darauf folgende ›Wiederentdeckung‹, dieser Logik folgend, nicht allein einem unredlichen oder mangelhaften Philosophieren an, sondern erkennt in den postmodernen Strategien des Vergessens (Burghart Schmidt) das zeittypische Wesensmerkmal eines Denkens, das ungebrochen modern zwar nicht mehr sein kann, sich aus den Aporien einer Moderne, deren produktiver Grund nach wie vor kapitalistisch organisiert ist, jedoch auch nicht zu lösen vermag, so könnte der Blick geklärt werden für die »überzeugenden Vernünftigkeiten« innerhalb bestimmter »Irrationalismen«, die gegenüber »bestimmte[n] Typen der Rationalität Wahrheit für sich« haben.33 Denn »Ideologien, auch die postmodernen« – daran wäre mit Gérard Raulet zu erinnern – »sind nie völlig aus der Luft gegriffen. Die Parole vom Eintritt in die Postmoderne kann man nicht einfach disqualifizieren, indem man den irrationalistischen Gefahren des postmodernen Diskurses den Appell an eine ›Vernunft‹ entgegensetzt, die so lange bloßes Ideal bleibt, als wir nicht erwiesen haben, daß dieser emphatische Vernunftbegriff […] sich noch realisieren lässt.«34
Das Unterfangen, Spenglers ›postmodernes‹ Nachleben aus der Latenz zu bergen und zum Gegenstand der kritischen Analyse zu machen, könnte so gesehen seinen Teil dazu beitragen, einen Weg freizulegen, der von der Standpunktkritik des Kritischen Rationalismus und der Diskursethik à la Habermas zu einem Verfahren der Kritik postmodernen Denkens führt, das nicht darauf verwiesen bleibt, herrschender Irratio und selbstzerstörter Moderne zum Trotz ›Vernunft‹ und ›Modernität‹ gegen ein Denken ins Feld zu führen, dessen Wahrheitsgehalt doch gerade in seinen irrationalen und selbstzerstörerischen Zügen zu suchen wäre. In diesem Sinn hatte Adorno, der dabei gewiss auch seine eigene, langwierige Auseinandersetzung mit dem Irrationalismus Spenglers im Kopf hatte, bereits 1930 postuliert, von den »Vertretern der extremen Reaktion« sei »für alle Fälle mehr zu lernen als von denen des gemäßigten Fortschritts, weil sie vom erscheinenden Gegenstand wenigstens den Choc notieren, den jene historisch eilfertig beseitigen«.35
Wenn wir also heute, hundert Jahre nach dem Erscheinen von Der Untergang des Abendlandes, an Spengler erinnern und sein (latentes) Nachleben in diversen Strömungen der nicht-mehr-modernen Geistesgeschichte thematisch machen wollen, dann zielt das auch und vielleicht vor allem darauf, die (unbewusste) »Erinnerung postmoderner Phänomene«, wie Schmidt vorschlug, »gegen das Vergessenmachen im Postmodernismus«36 zu bewahren, um so das Denken über die Postmoderne – von dem das postmoderne Denken doch lediglich ein Teil ist – als Symptom einer gehemmten Zukunft (Gérard Raulet) zu analysieren, für die Spenglers Untergangs-Theorem ein ebenso frühes wie intellektuell anregendes Zeugnis abgibt. Die periodische Wiederkunft Spenglerscher Motivlagen in jeweils modischem Gewand käme dann als Niederschlag der objektiv verstellten Auswege aus den Aporien der warentauschenden Moderne in Betracht, wäre kritikbedürftig nicht allein für sich genommen, sondern vor allem als Symptom. Als Gegenstand des Nachdenkens, nicht als Indikator leichtfertiger Unbesonnenheit im Umgang mit dem theoriegeschichtlichen Erbe, könnte die (verdeckte) Wirkungsgeschichte Spenglers, die sich bis in die aktuelle Theorielandschaft hinein nachweisen lässt, also über die allzu simple Disqualifizierung eines Denkens hinausweisen, das sich jenseits einer Moderne zu positionieren sucht, deren Freiheitsversprechen bis heute nicht verwirklicht ist. Der verfehlten ›Überwindung‹ Spenglers wäre in diesem Sinn ein Durcharbeiten jener Probleme entgegenzusetzen, die sein ›Vergessenwerden‹ so beharrlich zu überdauern scheinen.
Es gilt also, die persistente Zeitgenossenschaft Spenglers als Symptom einer Zeit zu begreifen, in der die Moderne unwiderruflich an ihr Ende gekommen zu sein scheint, ohne jedoch den vernünftigen Abschluss gefunden zu haben, den jene dialektischen Geschichtskonzeptionen des bürgerlichen Zeitalters vorsahen, mit denen zu brechen Spengler angetreten