Letzte Schicht. Dominique Manotti

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Letzte Schicht - Dominique  Manotti

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die Augen. Auch er hat seinen altvertrauten Alptraum. Er ist zwanzig, er arbeitet oben auf dem Steg in der großen Halle, die Pfanne mit dem flüssigen Stahl explodiert zehn Meter unter seinen Füßen, dreißig Tonnen kochender Stahl, die etwa fünfzehn Männer verschlingen, wilde Schreie, der Geruch von verkohltem Fleisch, unerträglich. Hör auf, reiß dich zusammen.

      Jemand sagt: »Meine Frau arbeitet in den Büros. Sie hat gehört, dass im Dezember die Prämien nicht gezahlt werden sollen.«

      Alle Blicke richten sich auf Amrouche, der sich räuspert.

      »Ich glaube, das stimmt. Ich glaube, sie haben entschieden, die monatlichen Prämien nicht zu zahlen, die letzten Februar beschlossen worden sind und die im Dezember auf einen Schlag ausgezahlt werden sollten. Keine Prämien dieses Jahr. Die erste Prämie wird nächsten Januar gezahlt.«

      Warum hast du das in diesem Augenblick gesagt? Zu spät wird dir klar, dass du Öl ins Feuer gießen wolltest, weil du dir nicht anders zu helfen wusstest. Vielleicht wolltest du von Maréchal ablenken, der früher auch Stahlarbeiter war, vor allem aber wolltest du der unerträglichen Angst ein Ende machen, die dich seit Aïshas Bericht, seit der übermächtigen Wiederkehr dieser Walze aus flüssigem Stahl gepackt hält, dieser Angst vor Unfall und Tod, weil der Mensch so ist, denkst du, weil du nichts dafür kannst, denkst du, und weil du lieber vergessen willst. Dass sie uns aber von hier auf jetzt die Prämien stehlen, die sich angesammelt haben und inzwischen fast einem Monatsgehalt entsprechen, die Prämien, die einem zustanden, mit denen man gerechnet hat, die schon für bestimmte Ausgaben verplant waren, das ist was anderes, ein anderes Thema, vertraut, überschaubar, irgendwie beruhigend.

      In der Gruppe, die da auf dem unbebauten Gelände hinter der Fabrik vor Kälte bibbert, entladen sich jetzt Angst, Wut, Groll und Not: sofortige Zahlung der Prämien. Nourredine fügt hinzu: sofortige Wiedereinstellung von Rolande. Die Gruppe kehrt in die Fabrik zurück, um durch alle Werkstätten zu ziehen. Eine halbe Stunde später steht die ganze Fabrik still.

      Vertrauliches Mittagessen in einem Luxemburger Gasthof gleich an der französischen Grenze, ein Tisch mit zwei Gedecken in einem kleinen Speiseraum.

      Maurice Quignard trinkt Pastis und wartet. Um die sechzig, groß, breitschultrig, kein Bauch, er bewahrt sich sein sportliches Aussehen. Das Gesicht ist vierschrötig, die Haut gebräunt und faltig. Nach einer langen Laufbahn in der Stahlindustrie hat er eine Unternehmensberatung speziell für Umstrukturierungsmaßnahmen gegründet, er arbeitet mit zahlreichen europäischen Gremien zusammen und sitzt im Auftrag des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung als ehrenamtlicher Berater in der Geschäftsleitung von Daewoo Pondange.

      In gewisser Hinsicht ist Daewoo sein Werk. Dank seiner politischen Freundschaften in Lothringen konnte er den Verbindungsmann zu den Koreanern spielen, er hat die Bedingungen für die Ansiedlung des Unternehmens ausgehandelt und dafür gesorgt, dass die europäischen und französischen Subventionen in Strömen fließen. Auch das alles ehrenamtlich. Im Interesse der Region und ganz Frankreichs. Die Idee, Daewoo und Matra für die Thomson-Übernahme zusammenzubringen, wurde zwei Jahre zuvor bei einem geselligen Abendessen geboren, bei dem er den Präsidenten des lothringischen Regionalrats zu Gast hatte. Heute ist er fast am Ziel. Und er weiß, dass er in dem neuen Unternehmensgefüge, das Daewoo und Thomson Multimédia vereinen soll – ein Weltkonzern –, als HR-Berater tätig sein und Einfluss haben wird. Der krönende Abschluss seiner Karriere. Ganz zu schweigen davon, was finanziell für ihn abfällt.

      Dank der freundschaftlichen Kontakte, die er sich auf allen Hierarchieebenen aufgebaut hat, ist er immer auf dem Laufenden über das, was sich bei Daewoo tut. An diesem Morgen ist Maréchal gegen zehn Uhr in sein Büro in Pondange gekommen und hat ihm von der Lage im Betrieb berichtet. Bedenklich. Wieder ein Unfall, ein schwerer. Und die Entlassung einer guten und obendrein sehr beliebten Arbeiterin, eine unnötige Provokation seitens dieses Hornochsen von HR-Manager. Während des Gesprächs ein Anruf aus der Fabrik: In der Werkhalle war ein Streik ausgebrochen. Was habe ich dir gesagt? Doch Maréchal war nicht sonderlich beunruhigt: Das ist ein lokal begrenzter Streik, spontan, keiner von denen hat Organisationstalent, du weißt doch, wie diese jungen Wichser sind, morgen nehme ich die Sache wieder in die Hand, aber das hätte man sich wirklich sparen können.

      Quignard aber hat die Wut gepackt. Er hat den Direktor einbestellt, um Klartext mit ihm zu reden. Der verspätet sich. Das macht es nicht besser. Quignard ist bei seinem dritten Pastis.

      Park, der koreanische Direktor, erscheint, ein Lächeln im runden glatten Gesicht, kreisrunde Schildpattbrille, immer sieht er ein wenig verblüfft aus. Quignard drückt aufs Tempo und lässt sofort die Vorspeisen servieren, eine Auswahl Wurst und Schinken und ein guter Burgunder. Kaum sind sie allein, geht er barsch und voller Ungeduld zum Angriff über.

      »Wie kommen Sie dazu, in einer Fabrik, in der seit zwei Jahren niemals etwas vorgefallen ist, nicht eine Stunde Streik, in der es keine Gewerkschaften gibt, derart leichtfertig mit dem Feuer zu spielen – noch dazu im für unsere Geschäfte denkbar ungünstigsten Augenblick?«

      »Mit dem Feuer … die Wortwahl scheint mir doch übertrieben.« Die Stimme ist sanft, kultiviert, das Französisch tadellos, gerade mal ein leichter Akzent. In der Fabrik spricht er nie Französisch, das er angeblich nicht kann, sondern Englisch oder Koreanisch. »Bisher haben zwei Werkstätten die Arbeit niedergelegt, nicht mal zwanzig Leute.« Kommt nicht in Frage, diesem Großmaul, das mich verachtet, zu sagen, dass gerade eine ganze Schicht in Streik getreten ist, da er ja offensichtlich noch nicht Bescheid weiß. Dafür ist später immer noch Zeit.

      »Meine Gesprächspartner sagen mir, die Stimmung in der Fabrik ist sehr angespannt. Dass es viele Unfälle gibt, die Taktzahlen hoch und die Löhne mager sind, ist ja auch nicht zu leugnen. Solange sich das in Fehlzeiten niederschlägt, nun gut. In meiner Jugend sagte man allerdings: Ein Funke kann die ganze Steppe in Brand setzen. Keine Funken also. Sie müssen Ihrem HRM den Kopf zurechtsetzen.«

      »Das habe ich sehr wohl verstanden.« Das Lächeln ist verschwunden, am Mund eine bittere Falte. Diesen HRM hat er mir selbst empfohlen. Der Sohn von irgendeinem hohen Tier aus der Region. Wichtig für die Einbindung des Unternehmens in die lokalen Strukturen, hat er gesagt. Ein Stümper.

      Der Kellner bringt den nächsten Gang, ein üppiges Pot-au-feu und eine weitere Flasche Burgunder. Quignard fährt fort, immer noch aggressiv: »Keinerlei Aufsehen, solange die Privatisierung von Thomson nicht unter Dach und Fach ist.«

      »Das ist eine Frage von wenigen Tagen, so lange werden wir uns schon halten.«

      »Nein. Vielleicht noch ein paar Stunden bis zum Votum der Regierung, dann ist die Hauptarbeit geschafft, da stimme ich Ihnen zu, aber wir müssen sehen, wie die Öffentlichkeit reagiert, und die Entscheidung der Privatisierungskommission abwarten. Wir brauchen einen vollen Monat Ruhe. Das ist doch nicht zu viel verlangt.«

      »Bei den Löhnen kann ich keine Zugeständnisse machen. Wir haben zurzeit einen Engpass, da in einer Woche ein hoher Betrag an die Bank fällig ist. Den kann ich nur durch den Vorschuss auf eine Warenlieferung decken, den ich in zwei Tagen erwarte. Wir sind so klamm, dass ich wegen der gerade wieder fälligen Beiträge sogar die Brandschutzversicherung gekündigt habe, um die Durststrecke zu überwinden.«

      »Das ist mir bekannt. Sie haben das Firmenbudget kräftig überstrapaziert. Vor allem in Anbetracht der gegenwärtigen Umstände. Das ist sehr unvorsichtig und zudem unnötig.« Quignard legt plötzlich die Stirn in Falten. »Sagen Sie, es droht doch wohl wenigstens in den nächsten zwei Tagen keine Arbeitsniederlegung? Wenn Sie Ihre Lieferfristen auch nur ein Mal nicht einhalten, hätte das verheerende Folgen für unsere Interessen auf nationaler Ebene.«

      »Ich werde daran denken.«

      »Daran denken reicht nicht. Treffen

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