Letzte Schicht. Dominique Manotti

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Letzte Schicht - Dominique  Manotti

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beleibte Dame mit Kraushaar bezeichnet die Chefs als Banditen. Und die große Frage: Was machen wir jetzt? Zunächst weiß keiner eine Antwort. Eine Woche Streik, bis der Betriebsrat zusammenkommt? Das ist lang. Und auch nicht der beste Moment, die Lager sind voll … Nourredine schlägt vor, auf die zweite Schicht zu warten, die in weniger als zwei Stunden kommt, und gemeinsam mit ihr zu entscheiden, ob der Streik verlängert wird oder nicht. Der Vorschlag klingt vernünftig, wird einstimmig angenommen.

      Die Gruppen verteilen sich. Einige spielen in der Cafeteria weiter Karten, andere machen in den Räumen des Betriebsrats Musik. Amrouche verkrümelt sich, will wahrscheinlich wieder um die Büros herumschleichen. Frauen stehen in Grüppchen um den Kaffeeautomaten und unterhalten sich, ein paar Mütter machen sich unauffällig davon, um mit der Wäsche voranzukommen, und zwei Männer brechen zum Pilzesammeln auf. Jetzt, wo die kalte Zeit beginnt, müssten sich doch Semmelstoppelpilze finden lassen.

      Nourredine sitzt auf einem Tisch, neben ihm Hafed, Arbeitnehmervertreter im Ausschuss Hygiene und Sicherheit, der bei der Abordnung dabei war, ein junger Techniker, schlank, elegant, spuckt gern große Töne, wird aber wegen seiner technischen Sachkenntnis sehr geschätzt. Einer von denen, die man mit Entlassungsdrohungen nicht beeindrucken kann. Er lebt – ob zu Recht oder nicht – in der Gewissheit, ein unentbehrlicher und gefragter Mann zu sein. Die beiden Männer kommen aus verschiedenen Welten und haben noch nie miteinander gesprochen, heute trinken sie zusammen Kaffee und empfinden die gleiche Machtlosigkeit.

      Eine Angestellte aus den Büros schlängelt sich so unauffällig wie möglich durch die Cafeteria, schiebt sich dicht neben Nourredine und raunt ihm zu: »Der Direktor hat eine Umzugsfirma bestellt, um die Fertigwarenlager räumen zu lassen. Ich habe den Dolmetscher gehört, er hat im Büro neben mir telefoniert, während eure Abordnung darauf gewartet hat, dass man sie empfängt.«

      Die beiden Männer sehen sich an, geben sich unwillkürlich die Hand und halten sie gedrückt. Beider Herz eine brennende Wunde. Angesichts dieser Missachtung möchten sie am liebsten schreien, schlagen, etwas zertrümmern, um zu spüren, dass es sie gibt. Und sie verstehen die Drohung genau, die sich hinter dieser Ohrfeige verbirgt: erst die Lager, dann die Maschinen und die Schließung der Fabrik, die Schließung, von der die Chefetage seit zwei Jahren ständig redet.

      »Das bedeutet Krieg«, murmelt Nourredine aufgelöst.

      Hafed lächelt. »Immer mit der Ruhe, so weit sind wir noch nicht, aber wir müssen uns überlegen, wie wir reagieren.«

      Auf der Stelle erneute Generalversammlung. Hafed berichtet in neutralem Ton. Die Reaktion ist einmütig und prompt: All das gehört uns mindestens so sehr wie denen. Hier aufs Werksgelände kommt kein Lkw. Kein Zögern, Schwanken, Sichverzetteln mehr, fast alle beteiligen sich jetzt an der Diskussion. Wie soll man die Sache anpacken? Die Zufahrtstore schließen. Und die Pforte besetzen, unerlässlich, wenn man das Öffnen und Schließen der Tore kontrollieren will. Heißt das, wir besetzen die Fabrik? Du sagst es, wir besetzen die Fabrik. Und wir müssen schnell machen, an Firmen, die sich auf Fabrikumzüge spezialisiert haben, herrscht in Lothringen kein Mangel. Wir besetzen, bis die zweite Schicht eintrifft, entscheidet Nourredine. Dann sehen wir gemeinsam weiter. Einhellige Zustimmung.

      Die Cafeteria leert sich, und etwa hundert Arbeiter, darunter vielleicht zehn Frauen, finden sich am Eingang zum Werksgelände ein. Zwischen Pforte und Gebäudefassade eine freie Fläche von etwa dreißig Metern, auf der das Gras kräftig – lothringisches Klima verpflichtet – und wild vor sich hin wächst. Hinter der getönten Spiegelglasfassade die Büros der Direktion. Chefs und leitende Angestellte, Koreaner und Franzosen, bestimmt sind sie alle dort und verfolgen aufmerksam das Geschehen. Sie sind nicht zu sehen, aber sie zu spüren ist belastend, man fühlt sich ungeschützt. Immerhin noch keine Lkws in Sicht, das ist schon ein kleiner Sieg, und vielleicht kommen ja auch keine, ein falsches Gerücht, gut möglich, man macht sich Mut, so gut man kann.

      Erkundung des Geländes. Zwei große Rolltore, die von der Pforte aus elektrisch bedient werden. Das rechte führt zum Personalparkplatz, der sich am rechten Werksflügel entlangzieht, das linke zum Lagerhaus und zu den Verladerampen für die Lkws. Rechts ein Törchen für die Fußgänger. Zwischen den beiden Toren die Pforte, ein Leichtbaukubus mit großen Fenstern. Da passen sicher zwanzig Leute rein. Im Augenblick befinden sich nur zwei Wachleute darin, die hinter der Scheibe die Arbeiter beobachten, ohne sich zu rühren.

      Dort muss man hinein. Inzwischen hat sich auch Amrouche mit undurchdringlicher Miene zu den Arbeitern gestellt. Die Abordnung formiert sich erneut und betritt das Pförtnerhaus. Wieder ergreift Nourredine das Wort. Wir besetzen, wir übernehmen die Kontrolle über das Öffnen und Schließen der Tore. Die Wachleute, zwei gut fünfzigjährige Männer, kräftig, beleibt, in marineblauen Blousons mit Security-Schriftzug, zucken die Achseln. Wie ihr wollt. Wir sind keine Daewoo-Angestellten, und unser Boss hat gesagt, wir sollen nicht eingreifen. Er hat uns nur gesagt, wir sollen im Pförtnerhaus bleiben, und er schickt noch zwei Kollegen zur Verstärkung, die Sicherheitsrundgänge machen sollen. Ihr werdet sie schon erkennen, sie tragen die gleiche Uniform wie wir. Nourredine lässt sich erklären, wie man die Tore öffnet und schließt. Sieht alles einfach aus. Draußen kommt jetzt die Sonne ein wenig durch, die Arbeiter unterhalten sich und spazieren in kleinen Gruppen müßig umher. Ein paar Frauen gehen ins Pförtnerhaus, um sich aufzuwärmen, oder laufen zurück in Richtung Cafeteria.

      Die ersten Arbeiter der zweiten Schicht treffen ein, die meisten im Auto. Nourredine öffnet das rechte Tor, die Autos werdenauf dem Parkplatz abgestellt, dann kommen die Arbeiter grüppchenweise zurück, und die Schichtteams tauschen sich aus. Keine Prämien dieses Jahr. Nein, die Zahlung wird nicht nur im Dezember ausgesetzt, es gibt gar keine Prämien. Und die Vereinbarung vom Februar? Für’n Arsch. Die Frauen debattieren unter sich. Weihnachten naht und keine Prämien, das heißt vor allem keine Geschenke für die Kinder. Die Reaktionen sind bunt gemischt, reichen von Ungläubigkeit bis Wut.

      In diesem Moment sieht Nourredine, der immer noch das Tor überwacht, drei riesige Lastzüge der Firma Rapid Umzüge Lothringen. In Zeitlupe nähert sich der Konvoi dem Kreisel, von dem die Zufahrt zur Fabrik abgeht. Nourredine betätigt die elektrische Schließvorrichtung des Tores, aber es rührt sich nicht. Adrenalinstoß, Schweißausbruch, grelle Gedankenblitze: Die Ankunft der Lkws wurde auf das Eintreffen der zweiten Schicht abgestimmt, das offene Tor muss von den Büros aus blockierbar sein, wenn die hier reinkommen, Krawall, Polizei, wir sind erledigt.

      Er stürzt nach draußen und brüllt: »Die Lastwagen, die Lastwagen! Das Tor klemmt, versperrt die Einfahrt, los, versperrt die Einfahrt!«

      Die Lastwagen nähern sich in einer langsamen, unerbittlichen Prozession. Der erste fährt in den Kreisel ein, umrundet ihn majestätisch, in der Fahrerkabine sind die Umrisse von drei Männern zu erkennen. Etwa zweihundert Arbeiter, alles Männer, Hafed in der ersten Reihe, haben sich eilig am Tor versammelt, verkrampfte Kiefer, untergehakt, an die Gitterpfosten geklammert, in mehreren Reihen, zusammengeschweißt, verflochten, mit klopfenden Herzen.

      Hinter der menschlichen Barrikade haben Nourredine und fünf andere Arbeiter gleichzeitig dieselbe Idee. Ein paar leere Paletten auf einen Haufen, die Trennpappe mit dem Feuerzeug anzünden, etwas anderes hat keiner, Scheiße, wenn das bloß brennt, es brennt.

      Der vordere Lastwagen ist in die Zufahrt zur Fabrik eingebogen, er kommt näher, keine zwanzig Meter mehr, monströse Kühlerhaube über ihren Köpfen. Die Männer schließen stumm die Augen. Zu behaupten, man hätte keine Angst … Keine fünf Meter mehr, nicht daran denken, wie der Körper auf dem Boden liegt, nicht daran denken, wie das Rad ihn zerquetscht, an gar nichts denken. Zusammenhalten. Zusammen. Halten. Und bloß nicht hinfallen.

      Keine zwei Meter mehr. Eine Parole wird von hinten nach vorn durchgegeben: Wenn einer »Feuer« schreit, so schnell wie möglich zur Seite weg und abhauen. Die Stoßstange berührt die Männer der ersten Reihe, und der Lkw rollt weiter, Zentimeter

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