Letzte Schicht. Dominique Manotti
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Erneutes Schweigen. Die beiden Männer trinken. Quignard brummt, mehr zu sich selbst: Zumal wir nicht Gefahr laufen, dass die Versicherungsschnüffler uns auf die Nerven gehen.
Maréchal hat sein Glas geleert und erhebt sich. »Karim Bouziane hat auf dem Gelände hinter der Fabrik einen Grill aufgestellt. Der muss an so einem Streiknachmittag nur so geglüht haben. Na dann, ich überlass dich deinen Angelegenheiten, ich fahr nach Hause. Danke für den Cognac.« Er hebt die Hand zum Gruß, die Tür klappt zu.
Schnell mal überlegen. Ein Glas Cognac. Wäre jetzt nicht Tomaso der richtige Mann? Er denkt an ihre erste Begegnung zurück. Ein Geschäftsfreund hatte ihn nach Nancy ins Oiseau Bleu mitgenommen. Ein ganz besonderer Laden, hatte er gesagt. Ein Restaurant, das beste von Nancy. Der Besitzer, Tomaso, war gekommen und hatte sie begrüßt. In der hochgewachsenen eleganten Erscheinung hatte Quignard eine unnachgiebige Härte gespürt, Blaustahl, die ihn sofort fasziniert hatte. Nach dem köstlichen Abendessen dann der Nachtclub im Untergeschoss des Restaurants, Nutten, die besten von Nancy. Er war Stammgast geworden im Oiseau Bleu, wo er viel mehr Zeit verbrachte als zu Hause, und hatte sich mit Tomaso angefreundet, der sich ihm ein wenig geöffnet hatte: ein ehemaliger Hund des Krieges, der dabei war, sich neu zu orientieren, noch gezeichnet von Einsätzen und Gewalttaten, von denen der junge Quignard während seiner kurzen Zeit in der militärischen Geheimorganisation OAS geträumt hatte. Ach ja, das waren Zeiten … Und Tomaso war vierzig, hätte fast sein Sohn sein können, der Sohn, den er nie hatte. Also hatte Quignard ihm Aufträge für seinen Sicherheitsdienst verschafft, auch den für Daewoo Pondange, und er konnte sich dazu nur beglückwünschen. Linke Tricks gegen unliebsame Gewerkschafter, Übergabe von Geldkoffern, hier und da ein wenig Wirtschaftsspionage. Tomaso hat ihm nie einen Gefallen abgeschlagen, alles effizient und diskret erledigt. Für einen brennenden Mülleimer in einer besetzten Fabrik ist er natürlich der richtige Mann.
Vor der offenen Tür drängen sich etwa zwanzig Arbeiter und versuchen einen Blick nach drinnen zu erhaschen. Zu hören ist die Stimme von Amrouche, der die Sitzung mit einer gewissen Feierlichkeit eröffnet.
Während Nourredine immer noch benommen dasitzt, den Kopf in die Hände gestützt, und nicht richtig Luft bekommt, verteilt sich der Rest der Truppe in den Büros und nimmt mit sichtlichem Vergnügen die Räumlichkeiten in Besitz. Teppichböden, richtige Wände, saubere, solide Möbel, zarte Pastelltöne, reichlich Platz, eine andere Welt als die Fabrik, eine Welt, in der man Lust bekommt zu spielen, sich in einen der Drehsessel zu setzen, Füße auf den Tisch, die metallenen Aktenschränke als Grundausstattung für ein Schlagzeug neuen Typs zu verwenden, alle Apparate der Telefonanlage zum Klingeln zu bringen. Wir sind hier zu Hause, oder besser, wir tun so, als seien wir hier zu Hause. Dann wird das Spiel langweilig, in einer Schublade findet sich eine Flasche Whisky, die aus Kaffeetassen geleert wird, man ruft entfernt lebende Freunde an, ein bisschen Kleinzeug verschwindet in namenlosen Taschen, elektronische Terminkalender, Handys, bunte Filzer als Mitbringsel für die Kinder, ein Montblanc-Kugelschreiber, durch ein Fenster gegenüber der großen Fabrikhalle schaffen zwei Männer einen topmodernen Computer samt Zubehör hinaus.
Im Sitzungsraum zieht sich die Diskussion durch endlose Präliminarien in die Länge, der Dolmetscher übersetzt jeden Beitrag ins Koreanische oder Französische. Amrouche geht Punkt für Punkt eine Liste mit Beschwerden durch, die sich seit Gründung der Fabrik angesammelt haben. Die Gruppe der vor der Tür versammelten Zuhörer wird allmählich kleiner. Der Nachmittag zieht sich hin, man beginnt sich zu langweilen. Im Hauptgang drehen die dafür Eingeteilten ihre Runde, was niemanden weiter interessiert. Im Büro des Personaldirektors sitzt ein Grüppchen im Kreis und lässt Joints herumgehen. Schade, dass die Sekretärinnen schon weg sind, mit ihnen wär die Party lustiger. Und wo sind unsere Mädels? Die haben Schiss gekriegt, kannste dir doch denken. Lacher, Kerle unter sich. Andere sitzen neben dem Kaffeeautomaten schon wieder bei ihrem unvermeidlichen Kartenspiel. Im Büro vom Chef steht ein Fernseher, aber die Fernbedienung ist unauffindbar. Das Gerät wird auf den Boden geschmissen. Nourredine ist mit dem Kopf auf den Knien auf seinem Stuhl eingeschlafen.
Étienne hat den Computer aus dem Wagen des koreanischen Managers geholt. Er setzt sich in ein ruhiges Büro und schließt ihn an. Mit Computern, denkt er, kennt er sich ein bisschen aus. Mal gucken, wie sie in den Büros arbeiten, wo er schon mal die Gelegenheit dazu hat, das macht ihm Spaß, das interessiert ihn. Er kommt ohne weiteres in den Rechner hinein, drückt ein paar Tasten. In der Rubrik »Verwaltung Einkauf-Verkauf Lieferanten« erscheinen mehrere Ordner, denen Nummern zugeordnet sind. Er öffnet irgendeinen und stößt auf Namensdateien, französische und ausländische Namen, er kennt keinen. Klickt einen an. In einem Fenster links auf dem Monitor der Mund einer Frau, der einem männlichen Schwanz einen bläst, Nahaufnahme, eine handfeste, sich ständig wiederholende Animation. Étienne wechselt die Datei, wieder ein Bildchen, wieder ein Blowjob, aber Blickwinkel und Stellung diesmal anders. Étienne ist hocherfreut. Er klickt sich durch Ordner und Dateien und springt von Masturbationen und Analverkehr zu flotten Dreiern und anderen Spezialitäten. Étienne ist hellauf begeistert. Diese Bürohengste, nicht zu fassen, die wissen, wie man sich die Arbeit einteilt. Er sieht wieder Aïsha vor sich, wie sie im Dunkeln auf dem Boden liegt, riecht den Shampooduft ihres vollen schwarzen Haars, dann den kräftigen Geruch von Blut. Eine Jungfrau, ein besonderes Gefühl, das war gut. Schöne Erektion. Er zuckt zusammen. Karim beugt sich über seine Schulter, Vertrautheit zwischen Händler und einem seiner Stammkunden, und steckt ihm einen fertig gedrehten Joint in die Kitteltasche. »Schenk ich dir. Ich mach Feierabend und fahr nach Hause.« Sein Blick fällt auf den Bildschirm. Gerade lässt sich eine Frau auf allen vieren von einem Hund besteigen, einer großen, schwarzweiß gefleckten Deutschen Dogge, die mit hängender Zunge hechelt. Ihm stockt der Atem. So was kriegt man hier in Pondange nicht oft zu sehen.
Verhandlungspause. Die Führungskräfte haben den Wunsch geäußert, sich miteinander zu besprechen, und Amrouche und Hafed haben sie im Sitzungszimmer allein gelassen. Sie nutzen die Gelegenheit, um einen Gang durch die Büros zu machen und eine Zwischenbilanz der Besetzung zu ziehen. Amrouche betritt den Raum, in dem Étienne und Karim Schulter an Schulter vor dem Computer kleben und sich glucksend in die Rippen stoßen. In einer Ecke des Bildschirms nimmt ein Mann eine Frau in der Hündchenstellung, Halbnahaufnahme der sich bewegenden Hintern. Amrouche, zutiefst schockiert, murmelt ein paar Teufelsbeschwörungen und knallt im Hinausgehen die Tür hinter sich zu.
Das Geräusch lässt Karim zusammenzucken, der, aus seiner Betrachtung gerissen, seinen Geschäftssinn wiederentdeckt. »Kannst du mir nicht schnell eine Kopie von den Bildern ziehen? Dann vergrößerst du sie, du kennst dich doch aus mit diesen Geräten, und wir machen eine hübsche Diskette draus, die ich zu einem guten Preis verkaufe. Die Kundschaft dafür hab ich. Und wir machen halbe-halbe.«
»Genial. Warte, das ist schnell gemacht.«
Étienne wühlt in den Schränken, findet Disketten, legt eine ein, startet den Kopiervorgang. Der dauert drei Minuten, Zeit genug, den Joint anzuzünden und die ersten Züge mit Karim zu teilen, der die Diskette einsteckt und in Richtung Cafeteria verschwindet.
Étienne raucht weiter und träumt vor sich hin. Wie viel bringt diese Nummer? 1000 Franc? Mehr? Er sieht wieder auf den Bildschirm. Die Pornobildchen sind verschwunden, und jetzt weckt der Name der Datei, in der er sich befindet, seine Aufmerksamkeit. Nourredine Hamidi. Nourredine, mein Kumpel aus der Verpackung? Unter dem Namen stehen wie auf einem Kontoauszug Kolonnen von Zahlen und Daten, unterteilt in Soll und Haben, und am Ende der Liste ein Guthabenbetrag: 100 000 Franc. Er springt von Datei zu Datei, plötzlich hellwach. Andere Namen erscheinen, mit anderen Kontoauszügen, die meisten kennt er nicht, aber da ist ja der von diesem scheinheiligen Amrouche. Nicht schlecht, 150 000. Und etwas weiter unten der von Rolande Lepetit, nur 50 000, die hat auch nie Schwein. Und Maréchal, 200 000. Die Hierarchie wird gewahrt. Erste Reaktion: Die haben einen Haufen Zaster in der Firma stecken,