Letzte Schicht. Dominique Manotti

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Letzte Schicht - Dominique  Manotti

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worauf will er dann mit dieser Prämien-Geschichte hinaus? Dem können die Prämien doch scheißegal sein. Für wen arbeitet er? Und die gute Rolande, entlassen? Das würde mich wundern. Das muss geklärt werden.

      Étienne findet Nourredine schlafend auf einem Stuhl in der Empfangshalle. Er rüttelt ihn. »He, alter Heimlichtuer, du hast uns gar nicht erzählt, dass du einen Haufen Zaster in der Firma stecken hast.«

      Nourredine kommt mühsam zu sich. »Sei so gut und lass den Scheiß.«

      »Komm mit, ich zeig dir deinen Kontoauszug. Du bist im Moment bei über 100 000 Franc.«

      »Du hast zu viel geraucht oder zu viel getrunken.« Nourredine erhebt sich schwerfällig, schüttelt seinen schmerzenden Kopf und geht in Richtung Toiletten.

      Zu viel geraucht, zu viel getrunken, ist das etwa eine Antwort? Verärgert läuft Étienne die Flure entlang, um ein paar Kumpels zusammenzutrommeln.

      »Nourredine, Rolande, Maréchal und ein Haufen anderer Leute kriegen von den Daewoo-Bossen Millionen, kommt mit und guckt, ich hab die Liste mit den Zahlungen in einem Rechner gefunden …« Erheiterung, niemand rührt sich. »… und Pornos sind da auch.«

      »Sag das doch gleich!«

      Genau in diesem Moment stürmen zwei Frauen aus der Cafeteria. »Kommt schnell! Im Hauptgang ist ein Feuer ausgebrochen!«

      Die Büros leeren sich. Nourredine zögert, dann betritt er den Sitzungsraum. Beim Anblick seines geschwollenen Gesichts und seiner blutbefleckten Kleidung wird es still.

      »Hafed, du bist doch Sicherheitsbeauftragter, komm, du wirst gebraucht.«

      Hafed geht mit hinaus, und die beiden Männer verschwinden in Richtung Fabrik.

      Étienne ist empört. Für die wichtigen Dinge interessiert sich niemand. Ein Feuer ausgebrochen, von wegen. Mal wieder ein brennender Mülleimer. Davon hab ich, seit ich hier bin, ein oder zwei pro Monat erlebt. Aber wenn es darum geht, ob Nourredine von Daewoo Kohle kriegt oder nicht … Ach was, sollen sie doch sehen, wie sie klarkommen. Mal gucken, wo Aïsha ist, bestimmt in der Cafeteria, ich werd ihr vorschlagen, dass wir noch mal Nourredines Gebetsteppich aufsuchen. Und dann ab nach Hause. Hab die Schnauze voll von all den Blödmännern.

      Auch Karim in der Cafeteria ist müde und fängt an, sich zu langweilen. Rolande steht am Herd. Es riecht gut nach ausgebratenen Zwiebeln. Ich esse einen Happen, dann hau ich ab. Hier ist für mich nichts mehr zu holen.

      Dichter schwarzer Rauch füllt einen Teil des Hauptgangs. Kreuz und quer durch die Fabrik laufen Menschen auf der Suche nach Feuerlöschern. Viele fehlen, andere sind leer. Hafed findet einen, zieht sein Hemd aus, bindet es sich wie eine Maske um den unteren Teil des Gesichts, zieht seine Jacke über die nackte Haut und läuft in die schwarze Wolke hinein. Er tastet sich zu einem brennenden Mülleimer vor, löscht das Feuer mit einem Schaumstrahl, dann tritt er den Eimer um und verteilt den qualmenden Müll mit dem Fuß in alle Richtungen. Nun kommt auch Nourredine mit einem Feuerlöscher angerannt, den er hinten im Lager gefunden hat, und vollendet das Werk. Der Rauch zieht langsam durch die Hintertür ab. Außer Atem gehen die beiden Männer ein paar Meter auf Abstand. Nourredine betrachtet die geschwärzte Blechwand, den Boden, bedeckt mit Abfall und Flocken von Löschschaum, die sich zu Pfützen auflösen und in die große Werkhalle rinnen. Denkt vielleicht an den Teppich und die Pastellfarben in den Büros. Er lässt sich zu Boden gleiten, sitzt mit angezogenen Beinen gegen die Blechwand gelehnt, sein Atem geht immer noch kurz und pfeifend.

      »Das ist doch zum Kotzen.«

      »Jammer nicht rum. Wir sind gerade noch mal davongekommen. In dieser Fabrik gehen die Sprinkler nicht, und die Feuerlöscher sind leer oder nicht funktionstüchtig. Im Hygiene- und Sicherheitsausschuss kommt das Thema bei jeder Sitzung auf den Tisch und nichts passiert.«

      Nourredine, der sich sehr gut an ein Sprühgefecht mit den Feuerlöschern erinnert, das er und die Kumpels sich einmal aus Jux auf dem Brachland geliefert haben, wendet den Blick ab.

      Hafed geht zu dem umgekippten Mülleimer und zeigt mit dem Fuß auf ein paar kohlschwarze Überreste. »Vielleicht hat jemand etwas Glühendes in den Müll geworfen.« Eine Weile herrscht Schweigen. »Ich fühl mich plötzlich, als würde ich auf einer Bombe sitzen.«

      »Hatten die Wachleute nicht gesagt, dass sie für Sicherheit sorgen?«

      »Ja, du hast Recht, wir werden mal hingehen und ein Wörtchen mit ihnen reden.«

      Draußen ist es stockfinster. Das umgekippte Auto ist noch undeutlich zu erkennen, aber wie es aussieht, hat der Koreaner sich hinauswinden können. Das Pförtnerhaus ist innen strahlend hell erleuchtet, die beiden Wachleute sehen ihnen mit leisem Lächeln entgegen. Nourredine ist augenblicklich alarmiert, da ist was faul.

      »Sollte nicht ein Team von uns ständig da drin sein, um zu kontrollieren, wer rein- und rausgeht?«

      »Ja. Ich vermute, dass vorhin in dem Tumult einfach alle losgerannt sind, um die Büros zu stürmen.«

      »Wir sind wirklich Pfeifen.«

      »Wir sind vor allem Anfänger. So was macht man nicht mal so eben. Und die, die wissen, wie’s geht, weil sie’s schon mal gemacht haben, und die uns helfen könnten, sind nicht da. Wir geben unser Bestes.«

      Nourredine öffnet die Tür. Der ältere der beiden Wachleute geht sie frontal an: »Und, wie sieht’s aus, ist die Freiheitsberaubung schon beendet? Da hättet ihr ja vielleicht nicht so einen Zirkus zu veranstalten brauchen, Jungs.«

      »Was reden Sie da?«

      »Eben haben der Direktor und die anderen Führungskräfte die Fabrik verlassen.« Nourredine fühlt sich wie ein Ballon, aus dem die Luft entweicht, als schrumpfe er in sich zusammen. »Ist keine zehn Minuten her.« Er hört nur noch gedämpft und wie von fern. Die Gestalten von Hafed und den beiden Wachleuten werden kleiner und rücken in die Ferne. »Amrouche hat ihnen das Tor geöffnet, und sie sind zu Fuß weg, gerannt sind sie wie die Kaninchen.« Der Mann lacht. »Wir haben uns nicht gerührt, Jungs, das ist eure Angelegenheit, nicht unsere.«

      Nourredine setzt sich, sein Kopf schmerzt immer stärker, er sieht nur verschwommen. Er kriegt kaum Luft. Verlockend: Alles hinschmeißen, nach Hause gehen, zu den Frauen, Mutter, Schwestern, blutjunge Ehefrau, eine andere Arbeit, eine kleine Frittenbude auf dem Marktplatz. »Ich blick’s nicht mehr, Hafed. Erklärst du’s mir?«

      »Wie denn? Ich war doch bei dir, als das Feuer ausgebrochen ist, weißt du nicht mehr? Als du mich aus dem Sitzungsraum geholt hast, schlug Amrouche gerade vor, die unteren Führungskräfte gehen zu lassen. Wir hatten vorher einen Rundgang durch die Büros gemacht, und es waren höchstens noch zwanzig aktiv bei der Besetzung. Das schien uns ein bisschen knapp, um so viele Führungskräfte zu bewachen. Wir wollten gerade beschließen, nur die fünf wichtigsten dazubehalten. Was danach war, weiß ich nicht.«

      Nein, ich kann jetzt nicht alles hinschmeißen, nicht nach dem Riesen-Lkw, den wir in die Flucht geschlagen haben, dem umgekippten Auto, dem Marsch auf die Büros, diese Kraft der Männer alle miteinander, das hab ich noch nie erlebt, die Kumpel, die mir zuhören, dieses Vertrauen, ich bin ein anderer, ich spreche, ich tu was. Nicht jetzt.

      Er steht auf, macht zwei Schritte, schnappt sich das Berichtsheft der Wachleute. Nichts über den Abgang der Manager und das Öffnen der Tore, nichts über den Mülleimerbrand. Nur ein knapper Eintrag: »17 Uhr 15: Wachschutz meldet Handel mit Haschisch auf dem Brachland hinter dem Werk. Wegen der

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