Letzte Schicht. Dominique Manotti

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Letzte Schicht - Dominique  Manotti

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klüger, das Brachland nicht in unsere Runden einzubeziehen.« Wut steigt in ihm hoch und gibt ihm seine ganze Energie zurück.

      »Ihr macht euren Job nicht. Wo waren die Wachleute während des Feueralarms? Wo ist dieser Alarm vermerkt? Ihr seid nur daran interessiert, die Arbeiter in Verruf zu bringen.« Er reißt das Blatt heraus, hält es auf Augenhöhe zwischen zwei Fingern. »Hast du ein Feuerzeug, Hafed?«

      Er nimmt es, zündet das Blatt feierlich an, sieht zu, wie es schnell verbrennt, und lässt ein paar verkohlte Überreste zu Boden fallen. Dann gibt er Hafed das Feuerzeug zurück, spuckt auf den Boden und verlässt das Pförtnerhaus.

      Ab in Richtung Cafeteria, wo sich bestimmt alle zusammengefunden haben. Nourredine geht schweigend, mit gerunzelter Stirn, dann und wann entschlüpft ihm ein Knurren, ein Wort, Hafed beobachtet ihn aus dem Augenwinkel, besorgt, es so in ihm brodeln zu sehen.

      In der hell erleuchteten Cafeteria sitzen die Leute in kleinen Gruppen an den Tischen und diskutieren laut, bisweilen hitzig, ein einziges lärmendes Stimmengewirr. Die beiden, die mit dem Kontrollgang dran sind, sind nur bis zum Kaffeeautomaten gekommen und suchen in ihren Taschen nach Kleingeld. Amrouche sitzt allein in einer Ecke und trinkt einen Kaffee. Nourredine durchquert mit schnellen Schritten den Raum und stürmt auf ihn zu. Er hat sich zwar das Blut von Gesicht und Händen gewaschen, dafür klebt jetzt dicker Schorf an seiner Nase, er hat grün-blaue Ringe unter den Augen, und seine Kleidung ist mit dunkelroten und schwärzlichen Flecken beschmutzt. Einige haben ihn nicht erkannt, als er die Cafeteria betreten hat. Überall, wo er vorbeikommt, wird es still. Er bleibt neben Amrouche stehen, steigt auf einen Tisch, dreht ihm den Rücken zu und spricht mit lauter Stimme zu der Gruppe, die sich vor ihm bildet.

      »Du bist ein Verräter, Ali. Wir hatten alle miteinander eine Waffe in der Hand, und du hast sie uns genommen.«

      Amrouche wirft den leeren Becher weg. Er wirkt müde, aber ruhig. »Wir haben die einzige vernünftige Entscheidung dieses Tages getroffen. Wenn du dich bitte wieder abregen könntest …«

      Nourredine tut so, als hätte er ihn nicht gehört. »Nachdem du uns den Direktor ja genommen hast, bleibt uns nur eine Möglichkeit. Hinter der Fabrik sind die Lager für die Chemikalien. Die holen wir uns, wir brauchen bloß die Tür aufzubrechen, wir nehmen sie mit und lagern sie gut bewacht im Verpackungssektor. Und morgen Mittag kippen wir sie in den Fluss, wenn die Prämien bis dahin nicht gezahlt sind. Vielleicht auch morgen Abend, aber nicht später.«

      Amrouche erhebt sich und baut sich in der ersten Reihe der dichten Menschentraube, die Nourredine umringt, vor ihm auf. »Solange ich lebe, wird das in dieser Fabrik niemand tun, ist das klar? Wie viele sind wir hier, hast du darüber mal nachgedacht? Höchstens achtzig. Wie viele müssten wir sein? Zwischen dreihundertsechzig und dreihundertachtzig. Wo sind die anderen? Zu Hause. Dein Streik ist jetzt schon der Streik einer Minderheit. Wir wollten Rolande wiederhaben und reden nur noch über Prämien. Wir sind nicht in der Lage, die Fabrik ernsthaft zu besetzen. Überall spazieren Leute rum und machen irgendwas, man geht ein und aus wie in einem Hotel, die Sicherheit ist nicht gewährleistet. Als wir gehört haben, dass ein Feuer ausgebrochen ist, habe ich beschlossen, die Führungskräfte rauszubringen. Denkst du vielleicht, du kannst einen Spinner am Feuerlegen hindern? Du weißt, dass das nicht geht. Immer wenn du in Schwierigkeiten bist, greifst du zu noch mehr Gewalt, und immer weniger Leute folgen dir. Deine Idee, Chemikalien in den Fluss zu kippen, ist eine Terroristenidee. Kipp ein Fass Säure in den Fluss, und wir landen alle sofort im Knast, und zwar für eine ganze Weile. Du weißt so gut wie ich, dass niemand, hörst du, niemand in Pondange auch nur den kleinen Finger rühren und sich für uns starkmachen wird. Weil wir Araber sind und weil diese Fabrik bloß als Anhängsel des Arbeitsamts betrachtet wird. Wir arbeiten hier nicht, wir beschäftigen uns, und bezahlt werden wir aus Steuergeldern. Du weißt doch, wie die Leute in Pondange reden. Und jetzt auch noch Araber und Terrorist, wirklich eine reife Leistung.« Er wendet sich an die schweigenden Zuhörer. »Wollt ihr das? Als Terroristen in den Knast wandern?«

      Nourredine ist aschfahl, er atmet keuchend, stammelt: Terrorist, Terrorist, ich bin kein Terrorist.

      Hafed nimmt ihn bei den Schultern, bringt ihn dazu, vom Tisch zu steigen und sich zu setzen, dann greift er den Faden auf. »Geschehen ist geschehen. Lasst uns nicht mehr darüber reden, lasst uns weiter zusammenhalten. Solange wir besetzen, haben wir die Lagerbestände und damit ein Druckmittel. Morgen nehmen wir die Verhandlungen wieder auf. Heute müssen wir uns vor allem organisieren. Uns organisieren!« Er skandiert die Worte zweimal. »Den ganzen Tag sind wir herumgerannt. Damit ist jetzt Schluss, wir organisieren uns. Ein Team an der Pforte, das die ganze Sache koordiniert. Ein Team in den Büros, das ein bisschen Ordnung macht, herausfindet, wo sich das Firmenarchiv befindet, die Unterlagen zurückräumt, die wir aus dem Auto mitgenommen haben, morgen machen wir dann eine Bestandsaufnahme, damit wir wissen, warum sie die rausschaffen wollten. Und zwei Teams, die die ganze Nacht über Kontrollgänge machen, die Fabrik komplett räumen, alle, die sich irgendwo rumdrücken, in die Cafeteria bringen und für Sicherheit sorgen. Alle, die nicht in den ersten Teams sind, bleiben hier, um zu schlafen, und übernehmen um drei Uhr. Morgen früh um sieben Generalversammlung hier, um zu entscheiden, wie es weitergeht.«

      Hafed und Amrouche stehen Seite an Seite: Es wird abgestimmt. Wer ist dagegen? Nur fünf Hände heben sich gegen Hafeds Vorschlag. Angenommen.

      Nourredine, der kaum noch Luft bekommt und nicht mehr reden kann, springt auf und verpasst Amrouche einen Fausthieb in den Magen. Hafed geht dazwischen, nimmt ihn am Arm, zieht ihn nach draußen auf den Parkplatz. Sie gehen herum, ohne etwas zu sagen. Je mehr Nourredine wieder zu Atem kommt, desto deutlicher wird er sich der mondlosen Nacht bewusst, des starken Geruchs nach feuchter Erde, Bäumen und Pilzen, der ungewöhnlichen Stille, die von kaum hörbaren Geräuschen erfüllt ist, Vögel wahrscheinlich, oder Tiere am Flussufer. Ein leichter Wind kommt von der Hochebene. Eine Nacht, die von einem anderen Leben erzählt. Er beginnt wieder zu atmen, langsam, unter Schmerzen, und betastet seine gebrochene Nase.

      »Ich bin total fertig, Hafed. Ich würd mich gern hier hinhauen und ein bisschen schlafen.«

      »Unmöglich. Wir haben beschlossen, alle an einem Ort zu versammeln, da wirst du nicht mit schlechtem Beispiel vorangehen. Wenn du dich abgeregt hast, gehen wir wieder rein, du wäschst dich, isst was und schläfst dann. Ich übernehme den ersten Wachdienst, du den zweiten. Morgen, denk an morgen. Wir werden gewinnen.«

      Nourredine schläft auf einem Kantinentisch, in Tischdecken gehüllt und mit einem Stapel Geschirrtücher unter dem Kopf. Amrouche überwacht die Aufräumarbeiten in den Büros. Hafed nimmt im Pförtnerhaus die Berichte der verschiedenen Teams entgegen und überträgt sie ins Berichtsheft, als Étienne hereinstürzt und schreit: »Feuer hinter den Lagerräumen … Es breitet sich überall aus … Hilfe …«

      Mit dem Auto, mit dem Fahrrad oder zu Fuß, das ganze Tal ist gekommen, um die brennende Fabrik zu sehen. Polizei und Feuerwehr haben einen Sicherheitsring gezogen, und nachdem man die Autos einfach irgendwo hat stehen lassen, drängt sich die Menschenmenge jetzt am Kreisel. Es ist ein grandioses Schauspiel. Der ganze linke Teil der Fabrik, das Lagergebäude, steht in Flammen. Sehr gelben, sehr leuchtenden Flammen, die die dunklen bewaldeten Flanken des Tals in helles Licht tauchen. Die Macht des tosenden Feuers wird noch verstärkt durch mal mehr, mal weniger heftige Explosionen, die bisweilen wie Salven aufeinander folgen, schwarze Rauchspiralen treiben mit dem Wind in Richtung Talsohle.

      Plötzlich fällt ein Teil des Dachs in sich zusammen, es gibt einen mächtigen Funkenregen, der für einen Moment den Förderturm und das klaffende Einstiegsloch einer stillgelegten Eisenmine auf halber Höhe der Talflanke erleuchtet, eine gespenstische Silhouette, die nach ein paar Sekunden wieder in der Dunkelheit verschwindet. Der Menge entfährt ein Seufzer der Bewunderung und der Angst.

      In den ersten Reihen der Schaulustigen stehen tief erschüttert die streikenden Daewoo-Arbeiter.

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