Tote wie Sand am Meer. Группа авторов

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Tote wie Sand am Meer - Группа авторов

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welche Nachkommen wären zu erwarten von einer Frau, die Schnaps in Strümpfen versteckte, einer Frau, deren Haare und Bindegewebe herunterhingen, einer Frau, die keine war? Welche Nachkommen? Keine, die ein Studium schafften. Jedenfalls würde Jenny ohne Erben, ohne Broterwerb und daher ohne weitere Nachfragen verscheiden, gleich da drüben, in der Therme.

      Rasch holte er ihre Stiefel aus der Garderobe, stellte sie vors Sofa und schaltete den Fernseher ab. Ein Murren, mehr aber auch nicht.

      Draußen kauerte tiefschwarz und kalt das Brandenburger Land. Unglaublich, wie frostig der April dieses Jahr ausfiel, als wollte Gott die Menschen strafen. Jenny erzählte irgendetwas, und nach einer Ewigkeit erreichten sie die Therme. Am Empfangstresen das Übliche: Jenny konnte das Armband mit dem Chip nicht ohne Hilfe um ihr Handgelenk legen. Sie lobte das Personal für das praktische Bezahlsystem. Sie lief gegen das Drehkreuz. Sie lief auch gegen das zweite Drehkreuz.

      Schließlich watete sie hinter ihm durchs lauwarme Wasser, den Hals gereckt, den Mund verzogen, denn das, was in ihr Gesicht schwappte, schmeckte salzig, wie selbst sie jetzt begriff. Du lieber Gott, warum das denn so salzig wäre und ob man das Salz nicht rausfiltern könnte und so weiter. Die Uhr an der Wand zeigte auf zehn an diesem Freitagabend, und die großen und die kleinen Becken leerten sich von Minute zu Minute. Noch eine Stunde bis zur Schließung blieb ihm, um seiner Jenny das Genick zu brechen.

      Heimvorteil hatte er ja, ließ er doch seit Jahren in der Therme seine Herrenwochenenden ausklingen. „Gehen wir ins Außenbecken!”, bestimmte er jetzt, und seine Stimme klang klarer als sonst. Jenny folgte ihm durch die Gummiklappen, die den Innenbereich vom Außenbecken trennten, hinaus an die Luft. Menschenleer. Er liebte den Kontrast: Unten umspülte das Wasser sonderbar warm seine Brust und oben blies der eisige Wind alle Bedenken aus dem Kopf. Der Dampf, der in Kapriolen über der Sole tanzte, schien weit nach oben bis zu Gott aufzusteigen. Gott würde zusehen, wie Jenny zu ihm in den Himmel aufbrach, und Gott würde nicken, denn er liebte alle Dummen, oder nicht?

      Lächelnd drückte sie ihren Rücken gegen eine sprudelnde Massagedüse und quiekte, drehte sich um, klammerte sich an den Beckenrand und ließ den Strahl, der aus der Düse schoss, in ihren Ausschnitt sprudeln. Gönn dir das, Jenny, gönn dir das, dachte er. Er hatte ausgeharrt, immer gehofft, sie finge sich, suchte sich einen Kurs, Typberatung vielleicht, wo sie hätte lernen können, wie man spricht, und das nicht nur über die Grimaldis. Oder Englisch, das wäre gegangen. Aber sie suchte nur das, was sie selbst inzwischen, nach einigen Jahren des Überganges, war: Nichts.

      „Auf zum Springbrunnen“, sagte er, zur Mitte der Anlage deutend, wo der wuchtige Steinkoloss emporragte. Ein Ungetüm, von dem die Wassermassen nur so herunterschossen und einem auf den Nacken brachen, als würde man von allen Seiten verprügelt. Wasser, Wasser, ringsum Wasser, wie in einer Waschanlage, es würde rauschen, donnern, um sich schlagen, es würde Jenny umschließen, und er bräuchte nur ihren Hals zu packen und umzuknicken, zack, das wäre schon alles und niemand sähe die kleine Bewegung. Sie stellte sich immer dämlich an, immer, es konnte sein, dass sie sich in den Fluten ungeschickt bewegte und ihr Hals dem nicht standhielt, schließlich war ihr Unfall erst eine Woche her – man fasse das einmal, ein Unfall mit dem Rad! Wegen einer Taube! – und warum sollte der Orthopäde nicht einen angeknacksten Halswirbel übersehen haben. Wer hätte es denn beweisen wollen. Fingerabdrücke im Wasser? Zeugen an einem Freitagabend in Bad Saarow, kurz vor Schluss?

      Aber nein! … Sie ließ den Beckenrand los und steuerte die Gummiklappen an, offensichtlich, um hineinzugehen.

      „Jenny, ich möchte noch bleiben!“

      Über die Schulter hinweg rief sie herüber: „Lass uns etwas ausprobieren, man lebt nur einmal.“

      Grundgütiger, sie musste alles ruinieren, selbst seine letzten großen Pläne mit ihr. Er konnte sie schlecht zum Brunnen zerren, ohne aufzufallen, und schon schlüpfte sie durch die Klappen und er musste ihr folgen. Wie sie die Stufen für die alten Leute hinaufwatschelte, statt die Leiter zu nehmen, wie sie sich bückte, das Gesäß entblößt, um ihre Füße in die Adiletten zu quetschen, wie sie ungelenk über den nassen Boden schlurfte und an der Liege nach seinem Bademantel griff. Jenny, dachte er, ich kann nicht anders.

      Fünf Minuten später lagen sie in der Wohlfühl-Oase, einem winzigen fensterlosen Raum voller Sand, in der Mitte einige Scheinwerfer, die die Sonne simulierten. Sonnenaufgang, Tag, Sonnenuntergang. Absurd, aber Jenny freute sich auf den Untergang. Sie schwadronierte über die romantischen echten Hieroglyphen an der Rigipswand. Er zwang sich, an Politik zu denken. An die Partei, die ihn übergangen hatte. An die Liste, auf der er nicht stand. Da war Sophie. Sie schloss die Tür seines Büros. Sie drehte den Schlüssel herum. Sophie. Niemals hätte er sich auf dieses Mädchen eingelassen, wenn Jenny eine Frau gewesen wäre. Was er hier vorhatte, hatte nichts mit Sophie zu tun. Mit Sophie läge er in keiner stickigen Innenraum-Oase. Sophie, das war Strand, das war Ägypten, Sophie, das war ein Anwesen, ein Ambiente, Anlässe, Buffets und ihr Paps, der Senator.

      Klack! Das Wüstenlicht wich sehr europäischen sechzig Watt. Jenny rubbelte den Sand von ihren behaarten Beinen, nahm seinen Bademantel und sagte: „Folgen Sie mir unauffällig. Haha.“

      Sie schlenderten durch die Gänge zurück zum Saal wie friedliche Touristen und passierten problemlos das Drehkreuz. Die Oase hatte ihn zwanzig Euro extra gekostet, aber es war seine letzte Ausgabe für sie, wenn sie nicht noch auf die Idee kam, einen Cappuccino zu bestellen. Jetzt bitte nicht hoch ins Restaurant, es blieb nur eine Viertelstunde.

      „Also zum Springbrunnen”, sagte Jenny von ganz allein, breit lachend mit ihren gelben Zähnen.

      Sie nahmen wieder die Stufen und glitten ins Wasser. Jenny hängte ihren Leib huckepack an seine Schultern und er wusste, ohne sich umzudrehen, wie sie grinste. Er stapfte los, teilte das Wasser mit groben Händen und steuerte sein Ziel an, das Ziel seines Lebens. Schnell, solange der Springbrunnen eingeschaltet war.

      Er schob die Gummiklappen zur Seite. Kalter Wind.

      Er zog Jenny tiefer ins Außenbecken. Ganz leicht kitzelten winzige Tröpfchen Schneeregen seine Nase.

      Er bog um die Ecke.

      Er bog um die nächste Ecke. Nein!

      Hardy Schneider. Ausgerechnet ihr Nachbar. Hardwig Enno Schneider, der ständig die Nase hochzog, der, der es irgendwie bis zur Mordkommission geschafft hatte. Auf seinen Schultern wuchsen dichte Haarbüschel. „Hallöchen“, sagte Schneider.

      „Guten Abend. Meine Frau und ich haben es eilig, Sie verstehen, die letzten Minuten im Bad ausnutzen.“

      Schneider schwamm mit einem „Tschüssi“ Richtung Ausgang.

      Jenny in seinem Rücken sagte nichts. Er zog sie weiter zum Brunnen. Nur ein kleiner Ruck. Krrrk, Spätfolge des Radunfalles.

      Niemand sonst war im Becken zu sehen, Schneider verschwunden. Sie waren allein. Er bog um die letzte Ecke und machte einen letzten fordernden Schritt in die Nische. Die Fluten, die gewaltigen Mächte, riefen nach Jenny, wummerten, forderten, stampften wütend auf, und für einen Moment klopfte Gott ihm auf die Schulter, schubste ihn fast und grölte in das Getöse hinein: „Erlösung!“ Ja, ein Missgeschick, ein Unfall, so wie das Leben mit Jenny ein Unfall war, dachte er und packte ihr Handgelenk, zerrte an ihrem elenden Arm, wuchtete ihren schweren Körper … den schweren Körper?

      Hardy Schneider.

      Nicht Jenny. Nicht Jenny. Hardy Schneider.

      Verdammt.

      Schneider lachte. „Sollte Jenny

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