Tote wie Sand am Meer. Группа авторов

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Tote wie Sand am Meer - Группа авторов

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      Marion entschloss sich, ihre Identität nicht aufzudecken. „Mein Name ist Leibniz.“

      „Eine Nachfahrin des großen Philosophen?“

      „Schön, dass Sie nicht an Kekse denken.“ Marion lächelte. „Beim Erwachen hatte ich schon so viele Einfälle, dass der Tag nicht ausreichte, sie niederzuschreiben. Ich mache es kleiner als Leibniz. Ich arbeite an einer Chronik über die Kieler Bucht.“

      Der Herr in Weiß rief der Bedienung, die hinterm Tresen stand und Marion musterte, zu: „Machen Sie Frau Leibniz einen Sekt-Cocktail, Leni.“

      „Der Segelclub feiert demnächst sein 100-jähriges Bestehen“, sagte Schönbeck. „Wie wäre es, wenn Sie in Ihrer Chronik darüber berichten?“

      Sie setzten sich auf die Terrasse. Blauer Himmel, Wasser mit Schaumkronen, sich blähende weiße Segel.

      „Bei so schönem Wetter vergisst man, wie gefährlich die See sein kann“, sagte Marion.

      Die Kellnerin brachte einen Sektkelch, dekoriert mit Erdbeeren und Papierschirmchen. Nicht zu der filigranen Aufmachung passte, dass sie ihn klirrend auf den Tisch stellte.

      „Dass Frau von Heyden beim Segeln ums Leben gekommen ist, hängen wir nicht an die große Glocke“, sagte Schönbeck. Die Angelegenheit schien für ihn erledigt.

      Marion versuchte, wie eine naive Ostsee-Chronistin an den Todesfall heranzugehen. „Ein Unglücksfall?“ Sie schüttelte sich.

      „Ja.“ Schönbeck warf ihr einen Blick aus hellblauen Augen zu. „Es begann damit, dass Herr von Heyden ein Porträt seiner Gattin erstellen lassen wollte. Sie war wesentlich jünger, die zweite Ehe. Man empfahl ihm einen Kunstmaler. Michael Kandzior. Russischstämmig.“

      „Kandzior malte Verena von Heyden?“

      „Ja. Dann nahm die Tragödie ihren Lauf.“ Der Herr in Weiß musterte Marion mit leisem Lächeln. Ihre Vorstellung als unbedarfte Chronistin schien gelungen. „Sie verbrachten viel Zeit miteinander. Ein Maler will das Typische erfassen, zerlegt das Gesicht in Rundungen, Linien, Schwünge, spielt mit Farben.“ Schönbecks Tonfall glitt in die Laudatio für die 100-Jahr-Feier hinein. „Frau Verena genoss sein Interesse. Sie war nicht nur Modell, sondern Persönlichkeit.“ Er zwinkerte. „Als das Porträt fertig war, bot Verena dem Maler einen Törn an, als Belohnung für die interessante Zeit. Niemand im Club wusste, dass sie hinausfahren wollte. Sie hatte ja gerade erst den Segelschein.“ Marion wandte den Kopf. Ihr war, als werde sie vom Kastenfenster des Casinos aus beobachtet. „Hätte Frau Verena nur unseren Segellehrer mitgenommen“, fuhr der Herr in Weiß fort. „Aber den hatte ich an dem Tag in Beschlag zur Auffrischung meines Seglerlateins.“ Er zwinkerte wieder, diesmal stärker. Marion warf einen spöttischen Blick auf seine kniekurze Hose.

      Am Abend tauchte Bernie auf und gab Marion die Akte ungelöst. „Die kannst du für eine Nacht haben. Oder hast du einen besseren Vorschlag?“ Er lachte.

      Marion gab ihm einen Kuss auf die graustoppelige Wange. Der Auftrag, den sie dann erteilte, löste aber selbst bei ihrem alten Freund ein Stöhnen aus. Dass er ihn überhaupt ausführte, lag in ihrer gemeinsamen Abneigung gegen unsorgfältig aufgeklärte Todesfälle. Bernie sollte sich, getarnt als segelinteressierter Studienrat, im Yachtclub unauffällig umsehen.

      In der Akte war nichts, was die anonyme Anzeige stützen konnte. Verenas Mörder lebt! Die damalige Hausangestellte Magdalene Schramm gab an, dass Verena von Heyden mit einem Begleiter nachmittags hinausgesegelt sei. Gesehen habe es niemand. Aber an das Unwetter erinnerte sich Frau Schramm genau. Ein tragischer Unglücksfall.

      „Egbert von Heyden war in seiner Hütte in Florida, als es passiert ist“, berichtete Bernie am nächsten Abend. „Ein wasserdichteres Alibi gibt’s nicht.“

      „Machst du dich lustig?“

      „Vielleicht war Verena mit ihrem Maler so überirdisch glücklich, dass sie beschlossen, gemeinsam zu sterben“, sagte Bernie. „Denk an Heinrich von Kleist und seine Henriette.“

      „Das war Lebensüberdruss und Krankheit.“

      „Zugegeben. Aber denk dran, dass ältere schrullige Damen nur in der Literatur Verbrechen aufklären.“

      Marion bemerkte schmunzelnd, dass sie ab sechs öfter auf die Uhr schaute, wo denn Bernie blieb. Tatsächlich brachte er diesmal eine erfreuliche Nachricht. „Ähnlichkeiten in der Handschrift von Anonymus und der Unterschrift von Magdalene Schramm auf dem Zeugenprotokoll.“ Bernie erhielt wieder einen Kuss. „Die zweite Nachricht ist leider unerfreulich. Herr Egbert in FL soll schwer herzkrank sein.“

      „Mist. Das ärztliche Attest ist bestimmt schnell da. Wir können ihn nicht herholen.“

      Nachts schreckte Marion hoch. Ein Arzt, in Weiß mit kniekurzer Hose, wollte ihr die Finger abschneiden, damit sie nicht in einer roten Sauce herumrührte. Eine ältere Frau schrie: ‚Blut, überall Blut!’. ‚Still, Leni’, sagte der Arzt, ‚sonst schneide ich dir auch die Finger ab!’

      Marion saß im Bett und schüttelte über den wirren Traum den Kopf. Da machte ihr Gehirn einen der kühnen Sprünge, die sie schon manchmal auf die Spur gebracht hatten. Magdalene Schramm, ehemalige Angestellte der von Heydens, hatte als Zeugin ausgesagt. Der Herr in Weiß hatte die verängstigte Bedienung Leni genannt. Magdalene – Leni?

      Ein Gedanke hielt Marion vom Schlafen ab: Es war kein Seeunfall. Es gibt einen Mörder. Magdalene hat mir anonym geschrieben. Leni weiß es. Marions nächster Gedanke war: Leni wird schweigen. Sie wird ihre gute Stelle nicht aufs Spiel setzen. Gegen vier Uhr früh kam Marion ein dritter Gedanke.

      Magdalene Schramm war nicht zu sehen, als Marion am nächsten Tag eine Ansichtskarte von der Pinnwand neben der Theke nahm. Ein Pelikan, der in einem orange-rosa Abendhimmel über dem Meer schwebte. Florida. Egbert von Heyden schrieb, er freue sich auf die 100-Jahr-Feier in seinem Segelclub. Wohnen würde er bei seinem alten Freund Schönbeck.

      Bernie rief spät an und war bester Laune. „Unser Magdalenchen hat eine Dienstwohnung im Club. Blick auf den Hafen.“

      Marion pfiff anerkennend durch die Zähne. „Die weiß, wer raussegelt.“

      „Ich hab eine englische Lady kennengelernt, die hier einen Yachtplatz sucht. Angela.“ Diesmal pfiff Bernie. „Sie war vor Jahren fest hier im Club und dann ist irgendwas geschehen. Sie jammerte, dass der tolle Segellehrer so plötzlich weg ist. Der hätte Preise gewonnen.“

      „Der ist gleich nach diesem merkwürdigen Doppeltod von Maler und Modell weg?“ Marion merkte, wie sie aufgeregt wurde.

      „Genau. Vielleicht hätt’ ich noch mehr rausgeholt, aber dein Vorstandsmitglied in dieser komischen Club-Uniform kam Stören. Morgen sind die Lady und ich zum five o’clock tea verabredet.“

      „Dann darfst du sie bestimmt Angie nennen“, sagte Marion säuerlich.

      „Was soll ich aus dem Frohsinn, der auch Sie seit gestern belebt, schließen?“, flötete Bernie.

      „Heinrich von Kleist?“

      „Ja. Aber diesmal zu Wilhelmine.“

      „Angie.“ Marion musste lachen. „Engel sagen doch

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