Explorer ENTHYMESIS. Matthias Falke
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Und sie beugte sich noch fies über den Magnesit-Scanner, dass ich tatsächlich die Kontrolle über meine Augen zu verlieren drohte.
»Ich will ja nur, dass wir dieses Gezänk einmal beilegen. Mehr wage ich einstweilen gar nicht zu hoffen. Natürlich habe ich dich deshalb mit für die Exkursion eingetragen – die uns nebenbei bemerkt in die Geschichte der interstellaren Expeditionen eingehen lassen wird –, damit wir einmal Ruhe für uns haben. Ab morgen sind wir drei, vier Tage auf uns gestellt und von denen da oben abgeschnitten. Und im übrigen hast du ja damit angefangen« – und ich ließ einen genuss- und vorwurfsvollen Blick über ihre märchenhafte Figur gleiten. »Was musst du so rumlaufen? Bin auch nur’n Mann aus Fleisch und Blut!«
»Das ist gerade die Strafe«, gab sie kühl zurück und wandte sich wieder ihren Instrumenten zu. Ich kümmerte mich einstweilen um das dehydrierte Chop Suey.
Nach dem Imbiss, den wir einander gegenüber sitzend auf dem Boden (die Möblierung war tatsächlich etwas primitiv) in kühlem Schweigen verzehrt hatten, warf ich vorsichtshalber doch einen Hormon-Dämpfer ein – zu animalisch tigerte mein wunder Blick immer wieder zwischen ihrer Hüfte und ihren wohlgeformten Fußgelenken hin und her (und das auch nur, weil ich mich nicht traute, weiter hoch zu gucken). Irgendwann schien sie ein Einsehen zu haben, oder sie bekam doch Bedenken angesichts meines blöden Stierens, und sie warf sich wenigstens das dünne sensorielle Unterzeug über, den man sonst unter dem Raumanzug trägt.
Also Schlussbesprechung. Ich projizierte ein dreidimensionales Hologramm in die Mitte der Kuppel, auf dem ich unseren Weg erläuterte. Noch knapp zehn Breitengrade, also bei der starken Abflachung der Polkappe über 3000 km. Das war natürlich in reinem Fußmarsch nicht zu leisten, aber wir konnten die Gravitationsexpander der Tornister als Antrieb benutzen. Wenn die Stürme und magnetischen Störungen nicht allzu sehr von den Kalkulationen abwichen, konnten wir in zwei Tagen am Pol sein.
»Und dann?«, fragte sie. »Könnte ich wenigstens ansatzweise erfahren, was wir dann da zu tun haben?«
Ich wollte fragen, was sie mir denn für diese Information zu bieten habe, ließ es aber – um mich selber nicht nervös zu machen – vorerst sein.
»Ist natürlich alles Top Secret, und außer dem Leiter der Exkursion braucht niemand was zu wissen. Aber als good-will-Geste kann ich dir soviel verraten. Wir gehen nicht zum geographischen, sondern zum magnetischen Pol, der etwas unterhalb, bei 88° Nord und ca. 25° Ost, vermutet wird. Genaue Messungen waren noch nicht möglich, wie auch alle Versuche, dort Sonden abzusetzen, gescheitert sind. Sie sind abgestürzt, oder wir haben den Kontakt verloren ...«
»Vielen Dank! Und wir spazieren da jetzt zu Fuß hin, ohne Verbindung zur MARQUIS DE LAPLACE, ohne zu wissen, was uns erwartet ...«
»Wenn wir das so genau wüssten, bräuchten wir ja nicht hin, dann hätten wir einen Droiden abgesetzt und fertig.«
»Ohne schweres Gerät, ohne Bewaffnung ...«
»Letztere brauchen wir schon überhaupt nicht, denn mit organischen Prozessen ist hier in keiner Weise zu rechnen ...«
»Wenn wir das so genau wüssten, bräuchten wir ja nicht hin«, äffte sie mich nach.
Aber ich sah schon die Neugier und Unternehmungslust in ihren Augen und wusste in diesem Moment. Ich hab’ sie wieder. Nach der Rückkehr von dieser Expedition würde ich meinen Sohn, den ich vor der letzten Reise in einem Anflug von Sentimentalität mit einer Gebärdroidin gezeugt hatte, im Altersheim auf Spitzbergen besuchen – ein palmenumstandenes Idyll – und ihm Jennifer als meine Frau vorstellen. Sie würde ihn adoptieren. Wir würden uns ein schönes Häuschen auf Nowaja Semlja kaufen ...
»Na jedenfalls. Einzelheiten vor Ort. Das einzige, um was es geht, ist Strahlung und magnetische Dissoziation. Deshalb haben wir auch nur optische Halbleiter dabei, du wirst in unserem gesamten Equipment keinen elektrischen Leiter finden. Wir werden ein paar Feldmessungen vornehmen und versuchen, auf Teufel komm raus eine Verbindung nach oben herzustellen, und dann pilgern wir zurück zur ENTHYMESIS, die uns heim zu Mami bringt.«
Das hatte jetzt doch noch sein müssen. Sie sprang auch sofort darauf an.
»Jetzt gib mal nicht so an. Ich habe auf Europa drei Jahre lang Bohrungen geleitet, wo uns die geotektonischen Gezeiten-Pressungen die Titankerne wie Wachskerzen verbogen haben. Meinst du, dein blauer Schotter hier nötigt mir Respekt ab? Wie lange schlafen wir?«
»Wie gehabt.«
Da wir gerade Nordsommer hatten, also Mitternachtssonne herrschte, waren wir von den Tageszeiten Lu-Aus (eine Rotation dauerte über 38 Stunden) unabhängig. Ich hatte also den Arbeitsrhythmus, der auf interstellaren Flügen üblich ist – zwanzig Stunden Dienst und dann fünf Stunden Ruhezeit –, auch für diese Unternehmung übernommen. Es hatte in der Mitte des letzten Jahrhunderts Versuche gegeben, der Menschheit das Schlafbedürfnis ganz abzugewöhnen. Die genetischen Eingriffe wären aber zu massiv und die psychosozialen Folgen unkalkulierbar gewesen, so dass man sich darauf beschränkte, die Schlafzeit auf ein Fünftel des Erdentages – der seit dem spektakulären Fehlstart der Erebus II auf 25 Stunden zugenommen hatte – zu beschränken und diesen Takt auch auf allen Schiffen beizubehalten.
Da die Automatik verständig genug war, unserer Unterhaltung zu folgen – und diskret genug, alle privaten Gespräche sofort herauszufiltern –, waren weitere Kommandos überflüssig, und wir zogen uns in die Schwebe-Kojen zurück. Die Halogenbögen wurden heruntergedimmt, und die Außenmembranen polarisierten das Restlicht, so dass es fast ganz dunkel wurde. Nur ein besonders heftig aufflackerndes Nordlicht warf bisweilen einen kupfrigen Reflex über unser Schweigen. Obwohl ich den Sensor an der linken Schläfe, der die vegetativen Funktionen überwachte, aktiviert hatte, lag ich noch lange da und lauschte auf Jennifers ruhige Atemzüge. Dann versank ich in Träume, die einem Hieronymus Bosch zur Ehre gereicht hätten. Pornographische Absurditäten, die einander immer noch überboten und die Grenzen dessen, was bei Bewusstsein als geschmackvoll gegolten hätte, längst hinter sich gelassen hatten. Fleischige Extravaganzen, die sich in einem quälenden Hunger immer noch weiter forcierten.
Als ich erwachte, hatte ich furchtbaren Durst, und meine Augen brannten. Ich musste im Schlaf meine Baumwollhülle aufgerissen haben, denn ich lag halbnackt inmitten meines zerwühlten Unterzeugs. Jennifer stand neben mir. Sie streichelte mir beruhigend mit der Linken über Bauch und Brust, während sie mich weiter stimulierte, dann schob sie sich über mich. Die Koje schwebte einen halben Meter frei über dem Boden, so dass sie die Beine rechts und links herunterhängen lassen und sich mit den Fußspitzen abfedern konnte. Wir liebten uns schweigend, während meine unersättlichen Hände die Schwellung ihrer Schenkel nachzeichnete. Sie hatte den Kopf zurückgelegt. Das rotblonde Haar fiel weich über die herrliche Brust herab. Wir wiegten uns dem Höhepunkt entgegen, als ein entsetzlicher Schrei die liebliche Anakreontik zerriss ...
Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass ich selbst es war, der dieses furchtbare Geheul ausstieß. Jennifer stand in voller Montur an der Schleuse. Die Wecksirene schrillte, die Halogen-Leuchten waren auf grellste Intensität geschaltet. Es war entsetzlich.
»Ich geh schon mal los«, sagte sie eben noch, dann verstaute sie den Dutt, den sie mit einem Netz aus Kunstseide zusammenband, unter dem Helm. Ich hörte ihre Stimme jetzt über die Lautsprecher der Automatik.
»Will gar nicht wissen, was du geträumt hast, aber ich würde mir mal einen neuen Hormondämpfer besorgen. Ich warte am Plateau, damit du mir zeigen kannst, wo’s langgeht!«
Dann war sie draußen.
»Scheiß