Baiae. Karl-Wilhelm Weeber
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Baiae - Karl-Wilhelm Weeber страница 5
„Lustbesitz“ mit herrlichem Ausblick –
villa
Man muss auch gönnen können und dem Neid entsagen – so präsentiert sich der Epigrammatiker Martial in einem seiner Gedichte mal ganz ohne Spott (Mart. VI 43). Er ist zufrieden mit einem von Rom aus rasch erreichbaren bescheidenen Landgut nordöstlich der Hauptstadt, das er mit ordentlichem Understatement casa, „Hütte“, nennt. Die ländliche Ruhe, die er dort findet, ist ihm lieber als der hektische Trubel in laudatae undae, „renommierten Badeorten“, dem er früher durchaus nicht abgeneigt war. Aber er lässt seinem guten Bekannten Castricus den Spaß an den „Schwefelquellen“, den „Sonnentagen von Baiae“ und dem „milden Lucriner See“ – und nicht zuletzt an seiner herrschaftlichen villa im Ferienparadies der High Society. Diesen prächtigen Landsitz, der das Grundstück fast zu erdrücken drohe, nennt er ziemlich prosaisch, aber nicht unzutreffend vestrae divitiae, „euren Reichtum“ (Mart. VI 43, 5). Damit ist eine klare Grenze gezogen: Wir „Normalbürger“ hier begnügen uns mit einem ländlichen Refugium von casa-Zuschnitt, ihr Superreichen dagegen steckt geradezu Haufen von Geld in luxuriöse Anwesen in bester Lage in der teuersten Urlaubsregion der römischen Welt.
Ob seine zeitgenössischen Leser ihm die Bescheidenheitsattitüde abgenommen haben, mag fraglich sein. Worin sie Martial aber sicher zustimmten, waren seine Anmerkungen zu den Annehmlichkeiten Baiaes und den hohen Immobilienpreisen für luxuriöse villae, die allerdings mit ihrer landschaftlichen Lage, ihrem Komfort, ihrer Ausstattung und der Lebensqualität, die sie ihren Bewohnern boten, ihr Geld wert waren. Und die über viele Jahre hinweg eine hervorragende Kapitalanlage mit stabilem oder sogar steigendem Wiederverkaufswert waren. Weil es seit dem 1. Jh. v. Chr. in der feinen, finanziell bestens „gepolsterten“ Welt zur Mode wurde, in der umschwärmten regio Baiana ein Landhaus zu besitzen, stieg die Nachfrage. Wer im Distinktionswettbewerb der Elite mithalten wollte, sah zu, dass er am Golf von Neapel mit einem „Ferienhaus“ präsent war, das freilich in seinen Ausmaßen und seinem marmornen „Innenleben“ oft genug eher einem Palast ähnlich war.
Der Run auf eine villa möglichst in der Nähe des mondänen Kurortes Baiae setzte im frühen 1. Jh. v. Chr. ein. Nicht unwesentlichen Anteil daran scheint der rührige Geschäftsmann C. Sergius Orata gehabt zu haben. Er legte nicht nur die ersten Austernzuchtbecken im Lucriner See an (s. S. 79 f.), sondern verdiente auch mit der Sanierung von Gutshäusern und ihrer Umwandlung in Luxusimmobilien viel Geld. Orata kaufte ältere Häuser in guter Lage auf, ließ Fußbodenheizungen (Hypokausten) und andere Elemente gehobenen Wohnkomforts einbauen und verkaufte die sanierten Objekte zu hohen Preisen weiter. Die Geschäftsidee trug – ein Indiz für eine zunehmende Nachfrage und zugleich für Investoren ein anschauliches Modell, dass es nicht falsch war, eine Urlaubsimmobilie im kampanischen „Wonnekessel“ zu erwerben (Plin. NH IX 168; vgl. Cic. de or. I 178; off. III 67).
Eine prominente Vorreiterin war Cornelia, die Mutter der Gracchen. Sie residierte wohl schon seit der Mitte des 2. Jhs. v. Chr. in einer villa nahe Kap Misenum und führte dort – für eine Witwe ungewöhnlich – ein großes Haus, in das sie regelmäßig auch renommierte Intellektuelle einlud (Plut. Gaius Gracch. 19, 1 f.; Val. Max. IV 4, 1). Als weiteren „Ahnherrn“ konnte die spätere kampanische villa society (d’Arms) auf C. Laelius verweisen, einen engen Freund des Scipio Africanus. Er besaß eine ländliche villa bei Puteoli, dem Überseehafen Roms.
Der nächste prominente Villenbesitzer, von dem wir konkret hören, nannte sogar zwei herrschaftliche Anwesen sein eigen, eines bei Misenum und eines bei Baiae. Das war der berühmte Feldherr und siebenmalige Consul C. Marius, der aus dem Ritterstand stammte und dank seiner großen militärischen Verdienste den Sprung an die Spitze der römischen Gesellschaft geschafft hatte. Dass sich ein „kerniger Krieger“ wie Marius, der oft genug gegen die Luxussucht und Verweichlichung der etablierten Aristokraten gewettert hatte (Sall. Jug. 85, 35 ff.), in seinen letzten Jahren auf einen luxuriösen Alterswohnsitz im „weichen“ Kampanien zurückzog, löste bei einigen Zeitgenossen schon Befremden aus (Plut. Mar. 34, 1). Seneca kommt dem alten Haudegen – ebenso wie Pompejus und Caesar – mit der Ehrenrettung zu Hilfe, dass alle diese bedeutenden Feldherren „zwar Landhäuser in der Gegend von Baiae errichteten, sie aber auf die höchsten Berggipfel bauen ließen“. Das sei ihnen „militärisch angemessener erschienen – nämlich von der Höhe herab auf die weit sich ausbreitende Ebene darunter zu blicken“. Man solle diese Landsitze deshalb nicht villae, sondern lieber castra, „Lager“, nennen, fährt Seneca fort. Man könnte auch sagen Trutzburgen, die diese großen Männer davor schützten, sich mit den „Lastern“ von Baiae zu infizieren (Sen. ep. 51, 11). Ob Senecas Leser sich dieser Deutung wohl angeschlossen haben?
Das Attraktive, aus Moralistensicht freilich das Anstößige an dieser neu entstehenden Villenkultur in landschaftlich reizvoller Umgebung war die Tatsache, dass sich diese villae von ihrer ursprünglichen Funktion als Herrenhäuser auf agrarisch genutzten Ländereien emanzipierten und sich als reine voluptariae possessiones, „Lustbesitzungen“, definierten (Cic. Att. XII 25, 1). Sie sollten ihren Bewohnern Freude machen, waren gewissermaßen architektonische Mitglieder der bajanischen Spaßgesellschaft, aber sollten keinen fructus, „landwirtschaftlichen Ertrag“, mehr erwirtschaften. Wenn darauf verzichtet wurde, so war das in der Tat purer „Luxus“ – zumal in einem so fruchtbaren Landstrich. Und die Traditionalisten versäumten es nicht, eben das kritisch anzumerken (Varro r. r. I 16, 6). Mit alter Römerart bzw. römischer Bauernart hatte diese Nutzung des Landes nichts zu tun; eher konnte man von einem Missbrauch sprechen. (Abb. 6)
Abb. 6 Nachbau eines römischen Ferienpalastes:
die Getty-Villa in Kalifornien
Aus Sicht der „Ferienfraktion“ war dagegen eine agrarische Nutzung, wenn sie in einer begehrten Urlaubsgegend wie der regio Baiana stattfand, eine reichlich „barbarische“ Zweckbestimmung einer villa, wenn man Gemüse und Früchte anbaute und nicht mit Platanen, Rebranken und Buchsbaumhecken das ästhetische Erscheinungsbild eines kultivierten Landsitzes unterstrich (Mart. III 58, 1 ff.). Umgekehrt polemisierten die, die in der Umwandlung kampanischer Landsitze zu villae pseudourbanae, repräsentativen Domizilen nach städtischer Art, eine Perversion ländlichen Lebens sahen, heftig gegen luxuriös „aufgetakelte“ villae (Vitr. VI 5, 3). Dass er solche mit teurem Citrusholz, Elfenbein und Marmorfußböden veredelten Landsitze absolut ablehne, gab der Alte Cato – wenig überraschend – schon in einer Rede im Jahre 152 v. Chr. zu Protokoll (Cato frg. 185, 75 Malcovati).
Aber das waren letztlich ohnmächtige Rückzugsgefechte von Traditionalisten, die den Trend nicht aufzuhalten vermochten. Der ging in Richtung Komfort, Pracht, Kultur und Landschaftsbeherrschung. Das Konzept der Villeggiatur sah die villa als einen urbanen Leuchtturm der Zivilisation inmitten ursprünglicher Natur, als möglichst „grenzenlos ausgedehnten Landpalast“ (villarum infinita spatia) (Tac. ann. III 53, 4), der seine Umgebung gewissermaßen zivilisatorisch beherrschte und seine Bewohner mit allen Schikanen städtischer Wohnkultur verwöhnte. Sie hatten an zwei Welten gleichermaßen Anteil: einem behaglich-komfortablen, durch edle Materialien auch optisch nobilitierten Wohnambiente und einer mehr oder minder urwüchsigen Natur, die durch ihre amoenitas bestach. Und durch ihren prospectus, den von den Villenbesitzern geliebten weiten Ausblick. Das war entweder der Fernblick von der Höhe hinab oder der weite, wie man heute sagt, „unverbaubare“ Fernblick aufs Meer. O praeclarum prospectum! ruft Cicero in der villa des Hortensius in Bauli – unweit von Baiae – aus. „Welch wunderbare Aussicht!“ (Cic. Acad. II 80 f.)
Das