Opak. Matthias Falke

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Opak - Matthias Falke

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anglotzen? Es schert sich nicht darum, ob wir es zur Kenntnis nehmen.«

      »Vielleicht will es uns gerade dadurch – etwas sagen …« Carlssen probierte lustlos eine neue Eröffnung.

      »Hast du das von Groenewold? Jeder Student weiß um den Unterschied, der zwischen dem Messergebnis ›0‹ und keinem Messergebnis besteht. Ein positives Ergebnis des Wertes ›0‹ kann man interpretieren, wo kein Ergebnis vorliegt, gibt es nichts zu deuten. Und wir haben hier kein Ergebnis.«

      »Aber was hat es zu bedeuten, dass wir, trotz unglaublicher Anstrengungen, keine Ergebnisse erhalten? Offensichtlich ist es nicht einfach indolent, sondern widersetzt sich unserer Erkenntnisapparatur.«

      Silesio brachte seinen getreuen Springer in Position.

      »Mich beunruhigt nur, dass da offensichtlich etwas ist.«

      »Und nicht nichts. Ich glaube nicht an einen Gott. Ich bin überzeugt davon, dass es keine moralische Weltordnung, keine Seele, kein Leben nach dem Tode gibt. Mein metaphysisches Bedürfnis hat sich ganz auf die eine Frage zurückgezogen, die nach aller rationalistischen Tabula rasa bestehen bleibt und über die wir uns niemals werden hinwegsetzen können, wie mein Pferd hier über die tumbe Batterie deiner Bauern. Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?« Silesio hatte die Stimme zur Rezitation erhoben und seinen Commander feierlich angesehen. Jetzt lehnte er sich zurück und schob ihm das Spielbrett mit müder Geste zu. »Schachmatt, übrigens. In vier Zügen. Du bist nicht bei der Sache.«

      Carlssen würdigte seinen matten König keines Blickes mehr. Der Chefideologe fuhr fort.

      »Es gibt nur diese eine Frage und zugleich wissen wir, dass wir sie niemals beantworten werden. Leider habe ich auch die fromme Illusion, in hora mortis würden wir der Wahrheit ins strahlende Angesicht blicken, inzwischen abgelegt. Wir werden sterben, wie wir lebten, im schmerzlichen Bewusstsein unseres vollkommenen Unwissens. Sieh hinaus, wie es flimmernd die Sterne überstreicht und gelassen seine opaleszierende Bahn beschreibt. Das Einzige, was ich über das Opak zu wissen glaube, ist, dass wir niemals herausbekommen werden, was es ist. Es ist die Kristallisation unseres Unvermögens. Natürlich können wir zu spekulieren anfangen und rastlose Hypothesen entwerfen. Vielleicht ist es ein eigenes Universum, eine Welt, die geschäftig und friedvoll unseren Kosmos durchquert. Oder ein Elementarteilchen, das durch eine Verwerfung des Quantenraumes in eine falsche Dimension geraten ist, ein Elektron, das versehentlich zur Größe eines Dorfes aufgeschwollen ist. Ich weiß es nicht und ich weiß, dass ich es niemals wissen werde. Anscheinend legst du keinen Wert auf eine weitere Partie?«

      Die Dorset hatte den Rand ihres Operationsradius erreicht. Die Abschirmung lief auf 150 %, die Klimaautomatik hatte die Leistungsgrenze überschritten. Wir näherten uns der Merkurbahn, als Theresa in einem lakonischen Manöver die Bugraketen zündete und so eine Geschwindigkeitsverzögerung bewirkte. Das Schiff fiel hinter das Opak zurück, das unbeeindruckt der Sonne entgegenzog. Die Distanz nahm rasch zu, vor allem nachdem wir die Spur des Objektes, dem wir einige Tage noch mit zunehmendem Abstand gefolgt waren, endgültig verließen, den Merkur umrundeten und eine Beschleunigungsphase einleiteten, um zunächst auf einen Venusorbit zurückzugehen. Lethargische Wortlosigkeit herrschte an Bord, als wir begriffen, dass die Akten geschlossen waren. Tausende von Ordnern, gefüllt mit unbeflecktem Papier. Eine Woche nach dem »Abkoppeln« kam die Meldung von Luna III. Das Opak war verschwunden. Es hatte, kurz bevor es die äußere Sonnenkorona berührt hätte, aufgehört zu existieren. Noch einmal bemächtigte sich eine gewisse Aufregung der Behörden und auch der Besatzung der Dorset. Aber an der Tatsache gab es nichts zu rütteln. Das Objekt hatte sich, ohne dies durch die geringfügigste Veränderung seines Verhaltens anzukündigen, in nichts aufgelöst. Es war ins Nichts eingegangen, dem es nach Meinung vieler Kommentatoren, denen sich Groenewold und Theresa und schließlich auch Commander Carlssen anschlossen, entstammte und dem es auch während seines Daseins im Grunde angehört hatte. Lediglich Silesio blieb bei seinem spröden Skeptizismus und meinte, das erkläre immer noch nicht, wie sich das Nichts zu einem Etwas habe verpuppen können. Die Dorset bog mürbe in eine exzentrische Umlaufbahn des zweiten Planeten ein, gestrandet nach einer vielmonatigen Reise durch die schweigenden Gezeiten der Sinnlosigkeit.

      Bordcomputer des Explorers Dorset I; Logbuch des Kommandanten:

      Wir haben das innere System verlassen und durchschneiden die Bahn des Saturn an einer Stelle, die der bereifte Planet in einem Jahr innehaben wird. Die Leibniz, nach wie vor im Uranusorbit geparkt, wo sie für eine neue interstellare Mission überholt wird, steht auf einer Position von 150°, mehrere Milliarden Kilometer entfernt. Die Erde befindet sich gegenwärtig hinter der Sonne, was den Funkverkehr entschieden verspärlicht. Die Kommunikation wird über die Relais der Marsbasen aufrechterhalten. Aber die zuständigen Behörden von Luna III scheinen seit Monaten das Interesse für uns eingebüßt und uns dem Vergessen überantwortet zu haben. Am besten beginne ich damit, die Ereignisse nachzutragen, die seit unserem Abkoppeln von dem sonderbaren und bis zuletzt unerklärlichen Objekt, genannt »Das Opak«, und dessen bald darauf erfolgendem Verschwinden vorgefallen sind.

      Wir hatten das Objekt, das wir nicht mehr sonnenwärts begleiten konnten, verlassen und die Dorset auf Venushöhe zurückgenommen. Da kein Einsatzplan vorlag und alle übergeordneten Stellen anscheinend die Zuständigkeit für uns verloren hatten, dümpelten wir in einem ausgreifenden Orbit um den weiß-blauen Planeten, dessen Schwefelgewitter und Seen aus kochendem Blei harmlos und jeder Aufmerksamkeit entbehrend unter uns brodelten. Von dem unerwarteten Sichauflösen des rätselhaften Phänomens – das die meisten von uns im Nachhinein für konsequent und beruhigend erklärten – der Beschäftigungslosigkeit anheimgegeben, verbrachten wir mehrere Wochen damit, das lädierte Schiff zu überholen. Vor allem im Drohnendeck gab es unendlich viel zu tun, da wir die meisten der ausgesetzten Robotsonden vor unserem Ablegen in den Hangar zurückbeordert, dort aber zunächst nur notdürftig verstaut hatten. Hier gingen wir nun daran, die kostspieligen und nutzlosen Instrumente zu warten und in angemessener Weise zu vertäuen. Gus fehlte uns, da wir nicht nur seinen Sachverstand kaum ersetzen konnten, sondern vor allem auch seinen zupackenden Trotz entbehrten.

      Die Arbeiten näherten sich dem Ende, als wir von Luna III aus dem Behagen geschrillt wurden. Das Opak war jenseits der Sonne, aber auf einer Bahn, die die vor einigen Monaten abgebrochene exakt fortsetzte, wieder aufgetaucht. Offensichtlich hatte es unseren Zentralstern in einer Art von Verpuppungszustand durchquert und sich nun auf einer merkurnahen Position, die spiegelbildlich der Koordinate des Verschwindens entsprach, wieder enttarnt und strebte in ansonsten unverändertem Habitus von der Sonne weg. Es war wohl in einer gewissen Verlegenheit der zentralen Beobachtungsstation begründet, die nicht so recht zu wissen schien, was sie mit uns anfangen sollte, aber man reaktivierte uns und übermittelte einen neuen Marschbefehl, der darauf hinauslief, die Verfolgung des Phänomens aufzunehmen und die Observierung fortzusetzen.

      Da das Opak mittlerweile nicht nur einen Vorsprung von etlichen hundert Millionen Kilometern gewonnen hatte, sondern sich jenseits der Sonne befand, die wir nun nicht mit der gleichen Indolenz durchtunneln konnten, wurde ein aufwendiges Manöver nötig, dessen Berechnung die Erste Offizierin und den Chefprogrammierer mehrere Tage kostete. Die Dorset musste die Sonne umrunden und das Objekt, das dann bereits die Marsbahn hinter sich gelassen haben würde, auf einem komplizierten, mehrfach gekrümmten Kurs in einigen Monaten einholen. Es wurde daher beschlossen, das Schiff von der Automatik steuern zu lassen, überwacht von den Stationen Luna II und III, und die Crew dem Tiefschlaf zu überantworten.

      Nachdem die erforderlichen Sequenzen eingegeben waren, gaben wir mehrere Minuten vollen Schub aus dem Photonentriebwerk und nahmen Kurs auf die Erde, die wir in großem Abstand umrunden würden. Dann war eine Rückkehr zur Venus vorgesehen, wo uns ein neuerlicher Swing-by auf eine hyperbolische Bahn um die Sonne und zum Rendezvous jenseits der Marsbahn katapultieren würde.

      Die Zweite Offizierin suchte unmittelbar nach der Startphase die sensorielle Koje auf. Einen Tag später zog

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