Opak. Matthias Falke

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Opak - Matthias Falke

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Anscheinend zog er den Tod einem Leben im Angesicht des handgreiflichen Mysteriums vor. Man könnte daraus auch schließen, dass er den Laser selbst auf sich gerichtet hat – und dass sein Tod kein Unfall, sondern Selbstmord war. S.

      Ich machte mich auf den Weg, um Theresa zu wecken. Meine fröstelnden Gedanken liefen neben mir her. Ich fand diese Absurdität des Schicksals, das unter Milliarden von kryptischen Sätzen, die genauso wenig Sinn ergeben hätten, ausgerechnet dieses fantastische Zitat ausgewählt und unserem Bordingenieur in den Mund gelegt hatte, grotesk und ich zwang mich, nicht darüber nachzudenken, was unser Techniker uns mit dieser bedeutungslosen Sentenz hatte sagen wollen.

      Theresa stieg aus der Koje. Während sie den elektronikgespickten Anzug abstreifte und in den Wäscheschacht knüllte, erzählte ich ihr, was geschehen war. Ich stellte Silesios Tod friedlich und versöhnlich dar. Wir schlossen den Leichnam in einen dieser unangenehmen schwarzen Zinksäcke ein und brachten ihn in den Seitentrakt des Drohnendecks, der von den alles bedenkenden Konstrukteuren der Dorset exakt diesem Zweck vorbehalten war. Nachdem wir die kleine Kammer verriegelt und ihren Inhalt auf die Temperatur des Weltraumes heruntergekühlt hatten, schlug Theresa vor, dass wir uns erst einmal etwas anziehen sollten.

      »Rückholsequenz einleiten!«

      Aus purer Lust an der Tautologie betätigte ich noch den manuellen Schalter. Wir hatten geduscht und uns angekleidet und nach einem wortkargen Frühstück beschlossen, auch Groenewold wecken zu lassen. Das Rendezvous stand bevor, und da wir nur noch zu dritt waren, würde es entsprechend schwieriger werden, die Dorset auf Kurs zu bringen und das wissenschaftliche Equipment für eine neuerliche Observierung vorzubereiten.

      »Rückholsequenz kann nicht eingeleitet werden«, nörgelte die kastrierte Stimme. Am enervierendsten war die unmodulierte, sachliche Anmaßung, mit der sich die Automatik immer wieder den harmlosesten Anweisungen widersetzte.

      »Warum nicht?«

      »Lebenserhaltende Systeme inaktiv«, schnarrte die Automatik.

      »Oh Gott!« Theresa knickte seitlich ein und sank über die sarghafte Koje.

      »Warum sind die Systeme inaktiv?« Ich erkundigte mich ganz freundlich bei dem Scheißcomputer und forderte ihn höflich auf, mich über den Gesundheitszustand der Insassin zu informieren.

      »Sie sieht so komisch aus.«

      Theresa brachte sich fast um bei dem Versuch, durch das Sichtfenster nach den Kontrollanzeigen über Evchens Brust zu spähen, ohne dass das Glas des gewölbten Fensters von ihrem Atem beschlug. Ich erinnerte mich an die Kombination und öffnete den Deckel der Koje manuell, während die Automatik uns damit nervte, irgendwelche Routineziffern herunterzubeten. Offensichtlich hatte man die Tiefschlafsensoren umprogrammiert. Als wir die Luke hochklappten, wussten wir Bescheid. Die Luft, die uns entgegenströmte, war viel zu kalt und von inakzeptabler Süße.

      »Sie hat ihn geliebt.« Theresa hatte die Waagerechte eingenommen und pendelte langsam mit dem Schwenksessel hin und her.

      »Aber er sie nicht.«

      »Er hat sie benutzt.«

      »Er ist tot.«

      »Umso schlimmer. Schwer zu sagen, was sie mehr gekränkt haben muss, dass er mit ihr schlief, ohne sie zu lieben, oder dass er sich umbrachte, ohne ihren Trost zu suchen oder sie wenigstens ins Vertrauen zu ziehen.«

      »Ich habe sie viel zu wenig gekannt. Von allen Mitgliedern der Crew habe ich mit ihr am wenigsten anfangen können.«

      »Euch Männern war sie zu unscheinbar, wohl auch zu weinerlich.«

      »Hast du gewusst, wie sehr sie darunter litt?«

      »Auch eher indirekt, durch Beobachtung. Sie ließ mich nicht wirklich an sich ran.«

      »Jetzt ist es zu spät.«

      »Aber wie viel Energie und Sachverstand auch sie in dieser verzweifelten Tat bewies!«

      »Sie musste die gesamte Programmierung der Koje ändern, sodass sie erst regulär einschlief und dann allmählich weiter abgekühlt und schließlich – abgeschaltet wurde.«

      »Und dabei alle Meldungen der Automatik unterdrücken. Auch die äußeren Anzeigen waren normal. Dabei lag sie schon einen Monat lang tot in ihrem kalten Bett.«

      »Commander, würde es Ihnen etwas ausmachen, mich festzuhalten?«

      Zehn Tage und einige Kurskorrekturen nachdem wir den Kühlschrank der Dorset kurz hintereinander mit zwei Leichen bestückt hatten, schwenkten wir auf die Bahn des Opak ein, das unwissend und unbeeindruckt die Höhe des Mars passiert hatte und den äußeren Planeten entgegenstrebte. Die Reihe der bizarren Rätsel, die dieses Objekt seit seiner Entdeckung an sich geknüpft hatte, erfuhr dadurch eine Verlängerung, dass die Drohne, die wir im mathematischen Inneren der unsichtbaren Wolke positioniert und auf deren Rückführung wir verzichtet hatten, sich exakt dort befand, wo wir sie vor Monaten aufgegeben hatten. Offensichtlich hatte das Gerät den Flug durch das Innere der Sonne unbeschadet überstanden. Da das Opak bei seinem Eintauchen in die Sonnenkorona verschwunden war, machten wir uns das ominöse Geschehen so zurecht, dass das Objekt einen anderen Aggregatzustand angenommen und den in seiner Mitte fliegenden Messroboter bei dieser Transformation mitgenommen hatte. Umso größer war unsere Ratlosigkeit, als es Theresa gelang, die Aufzeichnungen der Sonde abzuspielen, die nicht nur zum Zeitpunkt der Auflösung nicht aussetzten, sondern für den gesamten Zeitraum einen unveränderten und durch kein Sonnenplasma beeinträchtigten Sternenhintergrund zeigten, der sich, von den Undulationen des Opak sachte durchwellt, in nichts von den Aufnahmen vor und nach dem Sonnendurchgang unterschied.

      Wir ließen es auch dabei bewenden und machten uns daran, die Armada der verstauten Drohnen wieder freizusetzen. Das war zu zweit kaum noch zu bewerkstelligen. Ein Roboter, den wir nicht richtig kalibriert hatten, zerschellte an einer Strebe des Decks, ein weiterer Satellit mit fehlerhafter Trimmung gehorchte Theresas Kommandos nicht und umkreiste unser Schiff auf einer instabilen Bahn, anstatt sich vor der Nase des Opak zu positionieren. Wir mussten ihn mit der Fernsteuerung der Unendlichkeit überantworten. Schließlich hatten wir ein notdürftiges Beobachtungsnetz installiert, das mechanisch anfing, die sinnlosen Datenmassen der ersten Exploration um weiteren Informationsmüll zu ergänzen. Es waren Tage erschöpfender Arbeit, an denen wir 16 oder 18 Stunden bis zum Umfallen auf dem Drohnendeck und auf der Brücke zu tun hatten. Deshalb fiel uns auch gar nicht auf, dass alle Meldungen, die wir absetzten, von Luna III unbeantwortet blieben. Erst allmählich kam uns das Schweigen, in dem wir dahinzogen, zu Bewusstsein. Wir hatten Jupiter passiert und näherten uns Saturn, inzwischen hatten wir uns damit abgefunden, dass wir nur automatische Empfangsbestätigungen erhielten, gleichgültig an welche Basis wir uns wandten. Offensichtlich hatte man uns abgeschrieben oder man sah uns gar als eine Art Aussätziger an, die mit einem rätselhaften Fluch behaftet waren und die man besser ohne viel Aufhebens verschollen gehen ließ. Wer wusste, vielleicht galten wir auf offizieller Seite bereits als ebenso tot wie unsere drei Besatzungsmitglieder.

      Inzwischen hatten wir also auch den Bereich des Saturn hinter uns gelassen. Ich wusste nicht, wie lange ich noch die Kraft haben würde, die offensichtliche Sinnlosigkeit, die sich in diesen Aufzeichnungen nur immer wieder selbst bestätigte, fortzusetzen.

      Einige Tage später.

      Wir reisen an der Seite des Opak. Allerdings beachten wir es kaum noch. Selten, dass einer von uns einmal einen Blick auf die automatischen Anzeigen wirft, die das Unvermeidliche und Immergleiche herunterspulen. Wir hängen unseren Gedanken nach, mit uns selbst beschäftigt.

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