Amerikanische Satiren. Albrecht Classen
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Ich in meiner sturen deutschen Art gehe dann von Rechner zu Rechner, von Lichtschalter zu Lichtschalter und schalte alles systematisch, ordnungsliebend, aus. Spare ich nicht damit auch etwas Strom? Ich glaube schon, aber keiner achtet darauf. Amerika, du hast es wirklich besser, bei dir geht das Licht nie aus.
ARMUT, WIRKLICH?
Tagtäglich beobachte ich mit großen Sorgen, wie die Armut in den USA um sich greift. Mir war schon immer bewusst gewesen, dass es viele arme Menschen auch in dem superreichen Amerika gibt, aber dass sie sich so offen auf der Straße zeigen würde, wie es heute immer mehr der Fall ist, war mir bislang nicht bewusst. Ich meine noch nicht einmal die vielen Obdachlosen, die Bedürftigen oder verarmte Frauen, die dringend einen Unterschlupf brauchen. Davon gibt es genügend in jeder Stadt, an vielen Straßenecken, an Bushaltestellen, an Bahnhöfen usw. Das ist alles schlimm und sehr traurig, aber heutzutage fällt mir die Armut sogar im Alltag auf, in Geschäften, auf Banken, in den Schulen, auf der Universität, überall. Was aber meine ich damit, woran denke ich? Nun, die Situation macht sich gerade bei jungen Menschen erschreckend bemerkbar. Immer mehr Jugendliche haben offensichtlich noch nicht einmal Geld genug, um sich anständige Kleidung zu kaufen. Verlumpt und zerrissen sehen sie aus, so als ob sie gerade einen Kampf mit einer wilden Katze ausgestanden hätten. Ausgebleichte Hosen mit riesigen Löchern, Rissen, Flicken – nein, selbst in den ärmsten Ländern Afrikas würde man nicht auf ein solches Elend stoßen. Ich bin aber trotzdem auf meine jungen Mitbürgerinnen und Mitbürger stolz, denn obwohl sie so jämmerlich einherschreiten, schaut ihre Armut ihnen nicht aus den Augen. Erstaunlich selbstbewusst bewegen sie sich in der Öffentlichkeit, missachten ihr eigenes Aussehen und kümmern sich nicht um die mitleidigen Blicke oder die Verachtung derjenigen, die noch anständige Kleidung tragen. Tja, es geht bergab mit den USA, ganz rapide. Oder sollte es sich um eine neue Mode handeln?
Nie im Leben, die Situation bei uns ist schrecklich erbärmlich geworden. Die armen Frauen können es sich offensichtlich nicht mehr leisten, ordentliche Hosen zu kaufen und müssen sich mit den zerlumpten Jeans zufrieden geben. Nur, wieso fahren sie dann so teure Autos? Wieso gehen sie in die eleganten Restaurants, obwohl sie doch offensichtlich kein Geld mehr dafür haben, um sich anständig zu kleiden? Lebe ich denn auf dem Mond, oder sind sie alle verrückt geworden?
BEIM BESUCH IM KUNSTMUSEUM
Neulich überredete mich meine Frau, an einem freien Samstag mal wieder das Kunstmuseum aufzusuchen und sich die neuesten Werke anzuschauen. Wir sind kunstbeflissen, wir wissen die Bemühungen der modernen Künstler zu schätzen, nach neuen Medien, Ausdrucksformen, Statements, Klangbildern und theoretischen Reflexionen zu suchen. Daher passt es natürlich, dass das Museum in der ehemaligen Garage einer Feuerwehr eingerichtet ist. Hoher Raum, riesige Fenster, man fühlt sich fast klein, aber eben postmodern. Es war heiß draußen, mehr als 40 Grad Celsius, Kühlung gab es nur im Museum, also nichts wie rein, und der Eintritt war sogar kostenlos. Für Intellektuelle wie uns gehört es einfach dazu, ein öffentliches Bekenntnis zu den Bemühungen der heutigen Künstler abzulegen, die die Welt der sinnlichen Wahrnehmung mittels ihrer provokativ-abstrakten Gestalt-Figurationen innovativ zu durchdringen versuchen und den Menschen unserer Zeit katalysatorisch-epistemologische Erfahrungen vermitteln, wenn man auf unglaublich eindrucksvoll monochrome Farbflächen starrt und sich dabei selbst zu begreifen beginnt. Der Prozess dieses Austausches zwischen Kunst und der menschlichen Ratio, diese transformative Revolution bei der Betrachtung der großen, wie unberührt wirkenden Leinwände ist immer noch ungemein erfrischend für den Geist, für die eigene Suche nach Sinnkonstruktion und für das durstig-ästhetische Empfinden.
Geschickt hatte man riesige Werke in den Museumsraum verfrachtet, die uns wegen ihrer Größe davon abhielten, unbedacht und viel zu rasch durch diese bedeutungsstiftende Landschaft zu eilen, ohne in tiefer Betrachtung die rationalistische und aufklärerische Botschaft solcher Happenings in ihrer postmodernen Version zu verarbeiten und zu internalisieren. Wir gehören ja genauso zu diesen monumentalen Schöpfungen wie diese uns eine existentielle Grundlage bieten, die mit dem heutigen Leben korrespondiert. Ja, so etwas ist ein ästhetisches und intellektuelles Erlebnis sondergleichen. Zehn Minuten hielt uns die graue Fläche auf der rechten Seite des Betonbaus gefesselt, bevor wir uns davon zögerlich lösten und uns dem blau-schwarzen Monument aus Gipsmasse zuwandten, das aus der genialen Hand seines Schöpfers geflossen war, der sich damit einwandfrei auf der Höhe der Zeit befand und eigentlich schon futuristische Signale vermittelte. Ein unberührter Holzklotz daneben rief durchdringend die Erinnerung an die Vorformen der modernen Kunst wach, in seiner Rauheit und seinem Widerstand eine Herausforderung sondergleichen. Die Natur selbst als ästhetisches Erleben.
Natürlich tritt sogar bei uns irgendwann einmal etwas Ermüdung ein, weswegen unsere Blicke auch in andere Richtungen zu schweifen begannen. Ich wechselte daher meine Perspektive, konzentrierte mich auf die dezent im Hintergrund entwickelte konstruktive Raumgestaltung und entdeckte bei diesem Prozess sukzessiv faszinierende Alternativformulierungen. Die geometrische Ausprägung eines Türrahmens in seiner herausfordernden Normalität beeindruckte mich ungemein, waren ja sogar die Winkel exakt bemessen, das Holz sauber geschnitten und das Werk präzise gemäß der Anweisungen des Künstlers ausgeführt worden. Die weiße, ganz ungetrübte Patina, die den Rahmen fast in die Wand versinken ließ, determinierte zusätzlich die sinnstiftende Manifestation des künstlerischen Willens, ganz eingebunden in Sein und Zeit. Heidegger hätte hier freundlich gelächelt.
Noch beeindruckender wirkte auf mich eine rote, ebenfalls geometrisch gestaltete Schalterkonstruktion aus Plastik oder Metall daneben, die in ihrer Schlichtheit ein großes innovatives Reflexionsvermögen spiegelte. Fein ziseliert waren programmatisch die Worte darauf angebracht: fire alarm. Bewusst hatte der Künstler Abstand davon genommen, einen internen Reim einzuflechten, um uns nicht in einen trügerischen Wohlklang davontrudeln zu lassen. Der triumphale Ausklang ergab sich aber schließlich, als sich mein Blicke in die Tiefe verlor, wo ein flurähnlicher Gang, der sicherlich als Metapher für den Geburtskanal dienen sollte, in einer anderen Tür zum Abschluss kam, auf der in großen Lettern aufgezeichnet war: TOILETTE.
Verwunderlich fand ich nur, dass bei diesen letzteren Kunstwerken die Etikettierung fehlte; selbst ein Preisschild war nicht angebracht worden. Wahrscheinlich bestand die Absicht darin anzuzeigen, dass abstrakte Kunst eben nicht mehr kommerziell vertrieben, sondern existentiell zum Einsatz gelangen sollte. Ja, das war ein Erlebnis, ein Happening feinster Art, Kunstwerke bewundern zu dürfen, die sich von ihrer längst überholten, traditionellen Funktion, ästhetisch oder epistemologisch Welt-Verständnis zu offerieren, befreit und endlich zur reinen Materialität zurückgefunden hatten.
Ich fand es aber etwas konsternierend, dass ich später ganz ähnliche Ausgüsse höchsten Kunstempfindens abstrakt-transformativer Art auch beim örtlichen Baumarkt entdeckte, völlig zweckentfremdet zwar, dort aber in einer satirischen Gestaltung mit einem Preisschild versehen und ohne Identifizierung des Künstlers. Wie entsetzlich, der Name des kreativ Schaffenden war durch einen Firmennamen ersetzt worden! Trotzdem, die Freude war groß bei mir, denn die Maserung des Holzes war noch genau sichtbar geblieben, und so strich ich versonnen mit dem Finger über die glatte Fläche, die auf sich selbst verwies und keine Ansprüche mehr an uns hegte, weil sie selbstgenügsam