Steinzeit-Astronauten. Reinhard Habeck

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Steinzeit-Astronauten - Reinhard Habeck

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Felskunst offenbart neue Formen, darunter topografische Karten und netzartige Geometrie. Es finden sich zunehmend illustrierte „Mischwesen“, die als Verehrung von „Geistern“ und „Göttern“ interpretiert werden.

       Eisenzeit (um 1000 v. Chr. bis zur römischen Eroberung)

      Der Kontakt zu eingewanderten Völkern wie den Etruskern, Rätern und Kelten beeinflusst die Kunstwerke. Es ist die kreativste Schaffensphase mit den umfassendsten Zeichnungen. Neben realistischen Szenen des Alltags überwiegt die „magisch-mythologische“ Symbolik. Fast alle Felsbilder, die mit „Raumfahrern aus dem Kosmos“ assoziiert werden, stammen aus der frühen Eisenzeit.

       Christi Geburt bis Mittelalter

      Im Val Camonica entstehen nur mehr vereinzelte Felsbilder. Daneben finden sich einige römische Gravuren mit lateinischen Inschriften. Im Zuge der Christianisierung wurden viele prähistorische Zeichnungen mit christlichen Symbolen ergänzt oder überschrieben. Im Spätmittelalter war Val Camonica als „Valmasca“ (Hexental) gefürchtet. Eine Legende erzählt von „furchtbaren Kämpfen zwischen Hexen, Dämonen und Klosterleuten“.

       Die meisten Graffiti entstanden in der Eisenzeit. Vereinzelte Motive stammen aus jüngerer Zeit, es gibt auch folkloristische Erinnerungen aus dem Mittelalter.

       Folkloristisches Überbleibsel

      Aus dieser finsteren Epoche hat sich ein seltsamer Brauch bis in die Gegenwart erhalten. In Andrista, einem der tiefsten Seitentäler des Val Camonica, wird alljährlich vor dem Dreikönigstag einem Ungeheuer gedacht, das angeblich einst in den Wäldern für Angst und Schrecken sorgte: der Badalisc. Diese mythische Kreatur soll eine Mischung aus Schlange und Ziege gewesen sein, hätte rot leuchtende Augen besessen, ein Riesenmaul und Hörner auf dem Kopf. Wenn heutzutage eine Person im Badaliscen-Kostüm durch die Dörfer der Gemeinde Cevo spaziert, begleitet von Menschen in Gruselkostümen, die mit rhythmischen Stockschlägen auf den Boden stampfen, dann fürchtet sich niemand mehr vor der Spukgestalt. Aber wie war das in früheren Zeiten? Niemand kann wirklich abschätzen, wie ernst unsere Ahnen den Einfluss überirdischer Kräfte genommen haben.

      KULTUR AUS DEM NICHTS

      Vor etwas mehr als hundert Jahren hatten Geschichtsforscher noch keine Ahnung von der prähistorischen Felsbildkunst im Val Camonica – ganz zu schweigen von den Urhebern. Heute wissen wir, es waren die Camuni (auch Camunni, Camunen oder Camunier genannt), die uns den Großteil dieser bebilderten Wunderwelt hinterlassen haben.

      Ihr Machtbereich war regional begrenzt. Im Norden versperren noch heute hohe Gebirgsketten den Weg aus dem Tal. Und im unteren Teil des früher moorähnlichen Tales liegt der landschaftlich zwar bezaubernde Iseosee, der aber für den damaligen Verkehr doch recht hinderlich gewesen sein dürfte. Dennoch müssen die Camuni schon früh Handelskontakte mit der Außenwelt gehabt haben. Die Art der im Val Camonica verwendeten und bildhaft dargestellten Webstühle ist mit jenen aus dem antiken Griechenland identisch. Umgekehrt wurden im griechischen Mykene Waffen gefunden, die genau den Abbildern auf Felsplatten im Val Camonica entsprechen.

      Das wirft viele Fragen auf. Das beginnt schon mit der Ungewissheit, wer die Camuni waren und woher ihre Kultur stammt. Vermutet wird, dass sie wie andere Völker in mehreren Etappen in die Alpen einwanderten, sich im Val Camonica ansiedelten und sich dann mit anderen alpinen Stämmen vermischten. Bis 16 v. Chr. beherrschten sie die Region und gaben dem Tal seinen Namen. Obwohl bereits Jahrtausende zuvor ihre Vorfahren, die Proto-Camuni, erstaunliche Schaffenskraft bewiesen hatten, waren die neuen Immigranten der Bronzezeit, und noch deutlicher jene der Eisenzeit, am fleißigsten.

       Woher kamen die Camuni?

       Das Monument „Tropaeum Alpium“ liefert den Schriftbeleg zum Alpenvolk der Camuni.

      Belegt ist, dass im 3. Jahrtausend v. Chr. mit der Metallgewinnung und -bearbeitung neue Innovationen ins Land kamen, die die geniale Kreativität der Camuni beflügelten. Erst die Römer stoppten den regen Schaffenseifer. Als Legionäre die lombardischen Täler eroberten und ins Römische Reich eingliederten, übernahmen die Camuni die neue Kultur offenbar kampflos. Ihre schöpferische Leistung verlor allmählich an Bedeutung, bis sie schließlich ganz erlosch und in Vergessenheit geriet.

      Vom „Camuni-Volk“ blieb fast 2.000 Jahre lang nur ein spärlicher Hinweis durch die Erwähnung bei römischen Gelehrten und einer Inschrift auf dem Siegesdenkmal zu Ehren Kaiser Augustus’. Die Überreste dieses 35 Meter hohen Monuments, genannt „Tropaeum Alpium“, sind in der französischen Gemeinde La Turbie (in unmittelbarer Grenznähe zum Fürstentum Monaco) zu besichtigen. Einer der Steine des Turms, die Plinius der Ältere (23 – 79 n. Chr.) transkribierte, enthielt die Namen von 45 alpinen Völkern, die dem Römischen Reich unterworfen wurden – darunter der Stamm der Camuni. Es ließen sich keine beweiskräftigen Spuren ihrer einstigen Existenz finden – bis eben zur Entdeckung der Felsbilder im Val Camonica!

      ALPINES MULTIKULTI

      Folgt man antiken Geschichtsschreibern wie Strabon (63 v. Chr. bis 23 n. Chr.), dann waren die Camuni mit den „Raezikern“ verwandt, also mit den Rätern. Ihre Nachfahren leben heute in Trentino-Südtirol, Nord- und Osttirol, Venetien sowie in Gebieten des Schweizer Kantons Graubünden und in der Region rund um den Bodensee. Die Räter gehören zu den ältesten geschichtlich fassbaren Völkern im Alpenraum. „Allerdings steht gar nicht fest, ob sie überhaupt ein Volk waren“, schränkt der Historiker Eduard Gugenberger ein und ergänzt: „Vielleicht, so wird verschiedentlich gemutmaßt, handelt es sich bei ihnen bloß um einen ungeordneten Haufen unterschiedlicher älplerischer Gemeinschaften. Es ist schwer, sich ein klares Bild zu verschaffen. Antike Berichte über sie widersprechen einander ebenso grundlegend wie moderne wissenschaftliche Ausführungen.“

      Bisher wurden im Alpenraum etwas mehr als 200 Wortfragmente entdeckt, die den antiken Rätern zugeschrieben werden. Sprachwissenschaftlich erforschte Personennamen und religiöse Begriffe lassen Ähnlichkeiten zur etruskischen Schrift erkennen. Eine Urverwandtschaft zwischen diesen Kulturen scheint wahrscheinlich. Schon um Christi Geburt bemerkt dazu Titus Livius, dass die Räter „verwilderte Etrusker“ gewesen seien, die „nichts vom Althergebrachten außer dem Klang ihrer Sprache, und den nicht unverfälscht, bewahrt haben“.

       Etruskisch-camunische Inschrift

      Die rätisch-etruskischen Gemeinsamkeiten zeigen wiederum Anklänge zu bisher rund 150 schriftlichen Felsgravuren im Camonica-Tal. Sie werden deshalb als „camunorätisch“ bezeichnet. Sucht man die zugehörige „Muttersprache“, wird es allerdings holprig. Die Glyphen erinnern an eine Variante des nordetruskischen Alphabets. Linguisten kombinieren daraus, dass die Camuni im letzten vorchristlichen Jahrtausend die Schrift von den Etruskern übernommen haben. Bewiesen ist das aber keineswegs. Ebenso rätselhaft bleiben die Inhalte der knappen Botschaften. Sprachforscher glauben, sie lesbar entziffert zu haben. Was das Geschriebene jedoch inhaltlich konkret bedeutet, weiß man nicht. Zu welcher Familie die camunische Sprache tatsächlich zu zählen ist, bleibt daher weiterhin

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