Steinzeit-Astronauten. Reinhard Habeck
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Keltisches Schriftband: Weiheopfer, Götterhuldigung oder astronomisches Wissen?
Markanter Blickpunkt auf dem Weg zum Runenheiligtum: der 2.194 m hohe Guffert
AUFSTIEG ZUM SCHNEIDJOCH
Ostern 2014 in Tirol: Die Christenwelt feiert die Auferstehung ihres Erlösers, Osterfeuer bringen Segen, die Dorfkirchen sind mit Heiligen Gräbern geschmückt, bunte Lichtkugeln erhellen die Altarräume stimmungsvoll und überall duftet das Ostergebäck. Die Eiersuche entfällt. Mit Freundin Elvira entschließe ich mich, einen lang gehegten Wunsch in die Tat umzusetzen: die Inspektion der rätischen Inschriften am Schneidjoch. Obwohl ich immer wieder gerne und oft im Tiroler Land verweile, viele Merkwürdigkeiten und Erscheinungsorte in meinen Büchern dokumentiert habe, gelang es mir in all den Jahren nie, eine Wanderung zum Schneidjoch zu realisieren. Diesmal sollte es endlich gelingen.
Wir reisen am Karsamstag von Innsbruck mit der Bahn nach Jenbach im Bezirk Schwaz. Von hier geht es per Bus hoch hinauf zum Achensee, der anmutig zwischen den schroffen Bergen des Rofans und dem markanten Karwendel liegt. Unser Quartier befindet sich auf über 900 Metern Seehöhe am hintersten Zipfel der Ortschaft Achenkirch. Die Sonne lacht. „Vor wenigen Tagen war die Landschaft noch mit Eis und Schnee bedeckt“, versichert die Vermieterin unserer Ferienwohnung. Wir erhalten Leihfahrräder und nützen einen spontanen Termin mit Gerald Siebenhofer. Der Revierleiter der Bundesforste kennt jeden Stein der Region. Er vertraut uns ausnahmsweise sogar den Schlüssel zum „Sesam, öffne dich!“ an, bezweifelt aber, dass wir die Felskerbe tatsächlich finden werden. Die Wandersaison beginnt erst im Mai, am Schneidjoch liegt noch meterhoch der Schnee und die Wetterbedingungen können in den Bergen schnell umschlagen. Wir sehen uns als Glücksritter, die das Abenteuer trotz berechtigter Skepsis wagen wollen. Ostersonntag: Die Glocken läuten. Unsere Rucksäcke sind gepackt, Proviant und Regenschutz haben wir dabei. Wir rechnen mit einem vierstündigen Aufstieg. In aller Herrgottsfrühe strampeln wir mit unseren Mountainbikes los Richtung Steinberg am Rofan. Nach wenigen Kilometern sind wir beim Parkplatz Köglboden angelangt. Hier folgen wir einem Forstweg, der entlang des Ampelsbaches als Geologie-Lehrpfad fünf Kilometer durch die wildromantische Schlucht führt. Als wir auf 1.200 Metern Höhe die Schneegrenze erreichen, geht es nur mehr zu Fuß weiter. Wir marschieren bis zu einer Weggabelung. Ein Schild weist zur „Gufferthütte“ (auf 1.465 Metern Höhe), die um diese Jahreszeit noch keine Gäste empfängt.
„Sesam-öffne-dich!“ dank Unterstützung der Österreichischen Bundesforste
Weit und breit keine Menschenseele. Wir halten uns am Pfad rechter Hand mit dem Hinweisschild „Steinberg“ und „Inschriften“. Vom Wanderweg ist nichts zu erkennen, alles ist schneebedeckt. Einen knappen Kilometer gilt es noch zu bewältigen. Teils im Schnee versinkend erreichen wir mühsam eine Weidefläche, Luderalm genannt, die in einem lang gezogenen Bogen zu einer markanten Felswand führt – dem Steinberg. Die letzten hundert Meter müssen wir eine Wasserfassung überwinden und im Zickzackkurs klettern. Trotz Frostwetter kommen wir Sonntagsforscher ordentlich ins Schwitzen. Dann erblicken wir erleichtert die Felsspalte hinter der Gitterabsperrung. Die Schriftzeugnisse sind bereits von außen gut erkennbar, aber nur dank des Türöffners war es uns möglich, selbst Gravuren im finsteren Winkel in Augenschein zu nehmen. Osterwunder sei Dank!
SIEBENGESTIRN, STIER UND EIN „STRAHLENPFERD“
Die Schriftzeichen in der kleinen Halbhöhle sind beeindruckend. Daneben erkennen wir Symbole, die uns bereits bekannt sind: sieben punktförmige, im Kreis angeordnete Markierungen. Die gleiche Darstellung findet sich auf der rund 4.000 Jahre alten Himmelscheibe von Nebra! Sie wurde 1999 in einer Steinkammer in Sachsen-Anhalt gefunden. Seit 2002 gehört sie zum Bestand des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle. Die Bronzeplatte gilt als eine der ältesten konkreten Himmelsdarstellungen. Eine darauf abgebildete Gruppe von sieben kleinen Plättchen wurde als Sternhaufen der Plejaden identifiziert, die zum Sternbild Stier gehören.
Wissen oder Kult? Die Frage stellt sich ebenso bei den berühmten Felsmalereien in der Höhle von Lascaux im französischen Département Dordogne. Vor 17.000 Jahren wurde das Höhlensystem mit Hunderten Tierdarstellungen in leuchtenden Farben ausgestaltet. Das gewaltigste Deckengemälde zeigt einen 5,5 Meter großen Auerochsen. Oberhalb seines Nackens befinden sich auf der Wand sechs Punkte, denen von Archäologen wenig Beachtung geschenkt worden war. Für den deutschen Astronomen Michael Rappenglück sind diese Flecken keine Verzierungen, sondern der Schlüssel zu einer astronomischen Interpretation der Malerei. Seiner Ansicht nach repräsentieren die Markierungen auch in diesem Fall die Plejaden. Das „Siebengestirn“ hätte hier nur sechs Sterne. Allerdings: In manchen Kulturen und historischen Darstellungen werden nur sechs Sterne zu den Plejaden gerechnet. Der Grund dafür ist der Stern Pleione. Er verändert seine Helligkeit in unregelmäßigen Abständen. In der Lascaux-Höhle ist der Stierkopf zusätzlich mit dunklen Punkten gesprenkelt, wobei ein größerer Punkt das Auge darstellt. Das kann kein Zufall sein, meint Rappenglück, denn auf alten Sternenkarten liegen die in einer klaren Winternacht für jeden Himmelsgucker gut sichtbaren Plejaden auf dem „Schulterblatt“ des Sternbildes Stier. Der Wissenschaftler entdeckte nach genauer Vermessung weitere astronomische Bezugspunkte, die verblüffend mit dem sogenannten „Sommerdreieck“ übereinstimmen. Es wird durch die Sterne Deneb, Vega und Altair gebildet. „Eine Karte des prähistorischen Kosmos“, glaubt Rappenglück. „Möglicherweise dienten die Bilder weniger magischen als ganz prosaischen Zwecken.“
Das Sternbild der Plejaden erinnert auffällig an eine Gravur im Tiroler Quellheiligtum.
Beispiele für frühe astronomische Kenntnisse: Konstellation der Plejaden, eingearbeitet in die bronzene Himmelsscheibe von Nebra und als Wandmalerei in der Höhle von Lascaux
Und am Schneidjoch? Liefern die Gravuren ebenfalls reale Anhaltspunkte dafür, dass der hohe Felsenpunkt als vorgeschichtliches Observatorium diente? Könnten die Gravuren und Inschriften als himmlische Wanderkarte enthüllt werden? Noch ein vertrautes Zeichen springt ins Auge: ein Halbbogen und darüber kurze parallele Striche, die wie ein „Strahlenkranz“ angeordnet sind. Ein göttliches Zeichen? Das Symbol ist weltweit bekannt. Eine fast identische Zeichnung findet sich als Geoglyphe auf einem Berghang in der Wüste von Nazca in Peru. Der „kleine“ Unterschied: Dort ist das „Strahlenmännchen“ zweihundertfach größer im Stein verewigt worden. Die Grafik am Schneidjoch misst gerade einmal zehn Zentimeter.
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