Kleines Gulasch in St. Pölten. Klaus Nüchtern

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Kleines Gulasch in St. Pölten - Klaus Nüchtern

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Armmuskulatur und kneten an meinen Muskeln herum, die zwar nicht vorhanden, dafür aber bretthart und voller Astlöcher sind. Schuld daran ist die Überidentifikation mit meiner Schreibtischplatte. Mein Masseur rät zum Berufswechsel oder einer dreimonatigen Auszeit, ein Vorschlag, den ich umgehend an meinen Chef weiterleite. Dieser versetzt sich spontan in meine Lage und bekommt sofort einen betonharten Nacken. Ich verschreibe ihm einen Berufswechsel und borge ihm meinen Comfort-Cool-Pack mit blauem Nackenkühlgel.

      Zero Tolerance for Stammkundenverarsche

      Ich weiß, dass es Kulturen voller Langmut, Weisheit und zotteliger Rinderrassen gibt, die den Shopping-Samstag gering achten und vertane Zeit nicht kennen. Warten zum Beispiel finden die super, weil es für sie gar nicht warten bedeutet, sondern von Gott geschenkte Zeit oder so. Ich gehöre dieser Kultur aber leider nun mal definitiv nicht an und habe mich auch dazu entschlossen, entsprechenden Culture-Switch-Awareness-Classes, wie sie in jeder besseren Volkshochschule angeboten werden, fernzubleiben. Und Warten finde ich total scheiße. Was ich in letzter Zeit so zusammenwarten musste! Es begann in dem supergut organisierten Rückenbegradigungsinstitut, in dem ich es leider verabsäumte, meine Präsenz bei der zentralen Koordinationsstelle anzuzeigen, weswegen ich dann eine Dreiviertelstunde sinnlos herumsaß und darauf wartete, endlich aufgerufen zu werden, um vom Doktor persönlich zusammengeklappt und wieder aufgefaltet zu werden, was die Wirbelsäule lustig krachen und die Wirbel an ihre angestammten Plätze hüpfen macht. Wertvolle Friseurtermine wurden mittlerweile versäumt. Das war aber alles nichts gegen das Herumstehen an der Haltestelle Arbeitergasse am Freitag, dem 25.10., zwischen 9.50 und 10.15 Uhr. Ich bin treuer Jahresnetzkartenabonnent, habe der gottverdammten Stadtregierung die absolute Mehrheit verschafft und ergo absolut null Verständnis dafür, an einer der wichtigsten Straßenbahnhaltestellen Wiens 25 Minuten (!) lang warten zu müssen, ohne dass innert der ersten zehn Minuten irgendein livrierter Clown der Verkehrsbetriebe antanzte, um mich sanft beim Musikhören zu unterbrechen und mit aufwendigen Erklärungen, Entschuldigungen und Entschädigungsfahrten in einer jener von Champagnerströmen und spärlich bekleideten jungen Damen durchtosten Stretch-Limos zu versorgen, in denen die sauberen Herren Spitzenbeamten der Verkehrsbetriebe ihre orgiastischen Spritzfahrten nach Bratislava zu absolvieren pflegen. So nicht! Nicht mit mir!! Zero Tolerance for Stammkundenverarsche!!! Das nächste Mal können sich die selber wählen!!!!

      Unbedankte Mühen, unerwartete Freuden

      Stürme toben – in unseren Herzen und um unsere Häuser – und sorgen dafür, dass die Glastüren kaputtgehen. Man soll dann – wie ich vor Jahren an dieser Stelle schrieb („Gib den Dingen eine Chance, Mutter!“) – ein bisschen zuwarten, ob sich nicht auch so was tut. Nun habe ich am vergangenen Freitag das gesammelte Bruchgut aber doch eigenhändig und unter Absingen der Bach-Kantate „Ich will den Kreuzstab tragen“ zum Glaserer geschleppt. In Kulturen, in denen der permanente Konsum von gewalttätigen TV-Serien und olivenölbeträufeltem Mozzarella die Herzensbildung noch nicht völlig ausgerottet hat, werden Männer, die dergleichen auf sich nehmen, von Weib und Kind mit falschen, aber herzlichen Gesängen empfangen, mit Blumen bekränzt und einem gut gekühlten Fässchen schäumenden Getränks begrüßt. Hierauf erlegen Weib und Kind ein Tier der Wahl des Türenträgers und steckens ihm auf einen sich drehenden Spieß, unter dem ein lustiges Feuer züngelt. In meinem Falle blieben sogar die falschen, aber herzlichen Gesänge aus. Wo Undank ist, wächst das Schmerzhafte auch. Andere haben einen Tennisarm, ich habe eine Türschulter. Unlängst hatte ich einen Tanzhals. Allerdings konnte ich, bevor ich mir den Hals vertanzte, noch Zeuge einer Szene werden, in der Unschönes durch Schönheit geschlagen ward. Ein unangenehm biegsamer Tanzandroide tanzte eine junge Frau mit auffallend schöner Nase an, indem er sich bog, wand und auf gotteslästerliche Weise seinen Leib verrenkte. Während er so vor sich hinlimbote, bis Tänzer und Angetanzte einen rechten Winkel bildeten, erstarrte die schönnasige junge Frau in einer Rigidität, wie sie Giacometti in seiner berühmten Bronze „Die peinlich Berührte“ nicht stärker zum Ausdruck gebracht hat. Die Gelegenheit, den Tanzandroiden in die Kronjuwelen zu treten, wurde durch diese Schockstarre zwar vergeben, aber es war schon sehr schön, mitanzusehen, wie die Anstrengungen des zappeligen Kampfknackarsches just den konträren Effekt des erhofften Dahinschmelzens hatten. Da nimmt man einen Tanzhals dann doch ganz gerne in Kauf.

      Zappelphilipp und Tanzmonade

      Mir ist nicht klar, ob respektive was das über den Betrieb, an den mich Herzblut, protestantisches Arbeitsethos und stattliche, monatlich überwiesene Geldsummen seit Jahrzehnten binden, aussagt, aber wir hatten letzten Winter die erste Weihnachtsfeier mit Tanz. Unter der sachkundigen Anleitung der DJs Fasthuber und Stöger (ich durfte zehn Minuten lang Zeug für depressive Fortysomethings auflegen) wurden Teile der betriebseigenen Villa in einen Tanzpalast verwandelt. Interessant ist schon einmal, wer wann zu tanzen beginnt, wie viel Alkohol er/​sie davor konsumieren muss und wer partout und durch keine der auf Betriebskosten großzügig verteilten Drogen dazu zu bewegen ist, sich zu bewegen. Auch fand ich es sehr bemerkenswert, dass diese Innovation das geschlechtliche Verhalten meiner Kolleginnen und Kollegen in keiner Weise verändern konnte. Nie, nie, nie, nie findet bei unseren Weihnachtsfeiern spontaner Geschlechtsverkehr oder auch nur der Körper- und sonstige Grenzen überbrückende Austausch von Körpersäften statt. Damit will ich durchaus niemanden zu gar nichts aufgefordert haben (hausinterne E-Mails erübrigen sich), ich stelle nur fest. Meine erst wenige Monate währende Tätigkeit als MC haben mich außerdem gelehrt, dass das durchaus nicht unüblich ist. Auf meinen gemeinsam mit DJ Rubinowitz unternommenen Reisen durch Österreich muss ich mir als Eintänzer schon einen Haxen ausreißen, um die Menschen überhaupt zum Tanzen zu bewegen. Als Erstes sind meistens pseudolesbische Mädchenkreise dazu bereit, ironisch zu tanzen und unter sich zu bleiben. Später betreten dann einzelne Männer die Tanzfläche, um den Zappelphilipp zu geben. Und dann gibt es noch die Tanzmonaden: supergut aussehende Frauen, die in seliger narzisstischer Versunkenheit nur für sich und ihr Karma tanzen. Wir lernen daraus, dass Tanzen als Anbahnung geschlechtlicher Geneigtheiten weitgehend ausgedient hat. Dergleichen findet heute wohl eher im Rahmen von Fahrprüfungen, Schiffstaufen, Kindergeburtstagen und Beschneidungsfeiern statt. Interessant.

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