Hier kommt der Antipastidepp. Klaus Nüchtern

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Hier kommt der Antipastidepp - Klaus Nüchtern

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eingerahmte Kolumne im Treppenaufgang vorweisen konnten, kam aber sicher ganz gut (sie handelt von der auf Seite 6 der „Kleinen Quittenkantate“ abgebildeten Königin der Zutraulichkeit).

      Kolumnenbücher sind letztlich ja Sammlungen von Texten, die gewissenhafte Menschen ohnehin, wenn schon nicht gerahmt, dann zumindest in goldgeprägten Kunstleder-Optik-Ringmappen verstaut haben, um sie in einer stillen Stunde bei einem dampfenden kleinen Krug Grog vom Regal zu holen. Die – vermutlich auch anal – sehr freigiebige Kolumnenbuchkundschaft hingegen wirft literarische Kleinode regelmäßig achtlos ins Altpapier, um sie später – was kostet die Welt? – noch einmal im Mujimäßig minimalistischen Kartonumschlag zu erwerben. Das ist dann eben jene astreine A-Schicht, der zuliebe die Falter-Marketing-Scouts dieses Kolumnenbuch zielsicher nach dem Weihnachtsgeschäft rausbringen, wenn die Individualverschuldung am höchsten und die Kolumnenbuchkundschaft am elitärsten ist. Was das zynische Verhökern der Illusion urbaner Unkonventionalität an das leichtgläubige Early-Adaptor-Segment angeht, haben die einfach den Bogen raus.

      Bei all dem Kalkül könnte Nüchtern aber niemand vorwerfen, dass er seine schreiberische Truman-Show nicht wirklich lebe. Alles, was er etwa auf den folgenden Seiten über die Vorgänge in seiner Küche behauptet, ist sowohl die nackte Wahrheit als auch der Zielgruppe präzise auf den Leib geschrieben: Ja, wir haben ebenfalls die champignonförmige Champignonbürste in der obersten Lade, zudem eine spermienförmige Gemüsebürste und sogar das ultimative Statusobjekt, den 500 Watt starken Pürierstab – zugegeben, den haben wir uns erst von Klaus abgeschaut.

      Natürlich muss der größte Chronist des Karmeliterviertels mittlerweile die eine oder andere Auswirkung seiner galoppierend inflationären Medienprominenz auf seinen ehemals so erdigen Lebensstil nobel verschweigen, um sich von unsereins nicht allzu erkennbar zu entfremden. Zwar enthüllt er ganz nonchalant und nebenher seinen dekadenten Hang zu Zweitwohnung und Designerregal (die eine als Bücherlager, das andere mehr für schön). Andererseits suchen wir vergeblich nach einer Erwähnung jenes Hilferufs, den die zu ungesunder Stunde in der ehemaligen Pensionsversicherungszentrale gegenüber seines palastartigen Wohnzimmerfensters werkenden Bürosklaven – nach ihrer adelnden Erwähnung in einer der hier enthaltenen Kolumnen – gut sichtbar ins Fenster hängten: „Klaus, hol uns da raus!“

      Nüchtern blieb hart und schwieg den Zwischenfall einfach tot.

       Robert Rotifer

      Ständig kaufe ich Klaus Nüchtern als Zeichen meiner Zuneigung und Bewunderung kleine Geschenke, die ich ihm aber nie gebe, weil ich schüchtern bin und er verheiratet ist. Außerdem ist er ein hohes Tier beim Falter, jener in Österreich weltberühmten Wiener Stadtzeitung, in der Woche für Woche seine Kolumne „Nüchtern betrachtet“ erscheint, derentwegen es sicher sogar Aberdutzende Auslandsabos gibt. (Würde ich nach Rangiroa auswandern, würde ich jedenfalls eines bestellen, selbst wenn mich das Blatt nur sporadisch und mit monatelanger Verspätung per Fischtrawler und als Langusteneinwickelpapier missbraucht erreichen sollte.)

      Nüchtern ist mein Hero. So jemandem schenkt man anlässlich seiner vierten Buchpräsentation nicht einfach den Soundtrack zu Robert Altmans „Prêtà-Porter“, bloß weil da drauf eine musikalische Eintagsfliege namens Ini Kamoze aus Jamaika einen Song mit dem Titel „Here Comes the Hotstepper“ (Heartical Mix) singt, was doch frappant an den Titel der vorliegenden Kolumnensammlung gemahnt, nicht? Noch dazu lautet die zweite Zeile im Songtext „I’m the lyrical gangster“ – passt doch super auf den Meister der literarischen Kurzform mit Tapirgeschmack! Aber als Chefredakteurin eines bedeutenden österreichischen Reisemagazins, das originellerweise auch noch so heißt, hält man besser einen gebührenden Respektabstand zum verehrten Antipastideppen und erbittet Gastbeiträge bloß mittels distanzierter E-Mails: „Mein Herr, mir kam zu Ohren, Sie planen zum wiederholten Male eine Berlinreise. Haben Sie doch die Güte und schreiben Sie mir eine Coverstory! Und laichen Sie nicht wieder alles vorher in Ihrer Kolumne ab, damit bei mir auch noch ein paar Quappen schlüpfen, ja?“ So geschehen. Klaus Nüchtern füllt und faltet nämlich nicht nur das eigene Heimatblatt gewissenhaft, sondern schreibt auch noch fleißig und folgsam für fast jeden, der ihn ausreichend lieb oder streng darum bittet (Die Zeit, Züritipp, Reisemagazin). Muss er auch. Was sich der Mann Klamotten und gefülltes Gemüse kauft, geht in keine Kuh. Das kostet! Da ist jedes Honorar willkommen.

      Den raffiniert geformten Honiglöffel, den ich für ihn bei Manufactum bestellt habe, trau ich mich nun natürlich auch nicht zu schicken, nachdem ich in der Zeitung lesen musste, dass ihm seine Frau bereits einen aus Olivenholz geschnitzten geschenkt hat. Das Begleitbillett („Zeit für einen Zweithoniglöffel!“) landete zerknüllt in meinem Papierkorb. In meinen Schubladen und Schränken stapeln sich nie überreichte kleine Aufmerksamkeiten (Kaurismäki-DVDs, kandierte Zitronen, Krimsekt, künstlerisch gestaltete Ohrenhaartrimmer). Weil ich aber ein fürchterlich schlechtes Gedächtnis habe, vergesse ich nach einiger Zeit verlässlich, was ursprünglich die Idee hinter der Anschaffung war. Ich weiß nur, es wär als Geschenk für Klaus N. gedacht gewesen. Unlängst fand ich im Wäscheschrank eine Schachtel mit einer sauteuren französischen Sandelholzseife, die rätselhafterweise in einem Bett aus Safranfäden ruhte. Ich weiß, ich hab mir irgendwann einmal etwas dabei gedacht.

       Christina Dany

      Wenn Klaus Nüchtern seine Ankunft ankündigt, dann entsichere ich in Berlin vorsichtshalber das kleine Wörterbuch, das unter der beratenden Mitwirkung von H.C. Artmann entstanden ist. Wer regelmäßigen Umgang mit Österreichern pflegt, weiß, dass es ratsam ist, Worte wie Marmeladinger, Marschierpulver oder Mausvöglerei schon einmal gehört zu haben und nicht völlig ahnungslos zu sein, wenn von Buchteln, Baunzerln oder Beuschelreißern die Rede ist. Klaus Nüchtern kommt immer mit einer ganzen Tasche voller merkwürdiger Begriffe, die er generös und mit größter Selbstverständlichkeit in der Fremde verteilt. Nach Wienerart denkt er sich nichts dabei, in den Hosensack zu greifen, um von dort einen Feitel zutage zu fördern, den er Begriffsunkundigen als Speckmesser offeriert. Was will er damit, fragt man sich in Berlin. Gibt es dort, wo er herkommt, keinen geschnittenen Speck? Schneidet man den Speck in Wien auf der Straße? Oder warum glaubt er, sich fürs Unterwegsspeckschneiden im Ausland besonders aufrüsten zu müssen?

      Nun ist es niemals leicht, in die lebensweltlichen Abgründe fremder Völker hinabzusteigen. Das Dasein in Wien aber muss besonders hart und entbehrungsreich sein. Wie sonst wäre die schwere Berlinklatsche zu erklären, die Klaus Nüchtern immer wieder dazu treibt, ein Flugzeug zu besteigen, um die Welt von erfreulich weit oben zu betrachten und dann einige bodennahe Runden in der deutschen Hauptstadt zu drehen? Dort lässt er sich, mittlerweile schon recht geübt, von Busfahrern und Bardamen beleidigen, treibt sich in öffentlichen und halböffentlichen Bedürfnisanstalten und in fragwürdigen Lese-Etablissements herum und findet total toll und echt super, was ihn zu Hause in eine mittlere Depression stürzen würde. Vielleicht ist sein Begeisterungsformat eine unmittelbare Folge geminderter Sauerstoffzufuhr in der Höhe, vielleicht auch nur eine perspektivische Verschiebung: Schließlich bewahrt er sich auch in seinen Texten häufig diesen barmherzigen Blick aus schwebender Halbdistanz, der die Dinge wie mit einem Fernrohr herholt, sodass sie schärfer wirken, als sie in Wirklichkeit sind.

      Um nicht missverstanden zu werden: Ich begrüße diese Haltung des bedingungslos Berlingutfindens sehr. Eine Art und Weise, in der Welt zu sein, spricht sich darin aus, an der es dem gemeinen Berliner eher mangelt. Freundlichkeit, Zuneigung, Neugier und solide Schwärmerei gehören nicht unbedingt zu den Stärken der Einwohnerschaft. Umso wichtiger ist es, dass ab und zu jemand die Mühe der Anreise auf sich nimmt, um uns zu sagen, wie schön es hier doch ist. Natürlich wissen wir das insgeheim auch selbst. Aber wir würden es niemals zugeben.

      

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