Bube, Dame, König. Fabian Vogt
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Der Freund legte ihm die Hand aufs Knie: »Theodor! Ich bin beim Tanzen nur fünf Meter von dir entfernt – und ich komme gleich wieder. Weißt du was: Wenn das heute klappt, dann werde ich Eva bestimmt küssen dürfen. Und vielleicht erlaubt sie mir ja sogar einen kleinen Griff in ihren Ausschnitt. Mannomann, sind das herrliche Brüste. Sei ehrlich: Hätte Mariana dich erwählt, wärst du doch jetzt auch in ihren Armen.«
Er stand auf und lief zu dem aufreizend strahlenden Mädchen, das schon auf ihn wartete. Neckisch zog er die Nase nach oben und sah für einen Moment wie ein Wiesel aus. Eva schmiegte sich an ihn. Theodor aber konnte seine Augen nicht von Mariana und dem Grafen wenden, die leichtfüßig über die Wiese flogen, während er sich an seinem Weinkelch festhielt. Er fühlte sich immer unbehaglicher, versuchte mehrmals unauffällig, seinen eigenen Geruch wahr zunehmen, und entdeckte, dass er sich der aufsteigenden Verzweiflung nicht entziehen konnte. Wie eine Krankheit kam sie tief aus seinem Inneren, schlich sich in alle Glieder und verdrängte nach und nach die letzte Hoffnung. Er wollte schreien, doch es war keiner da, zu dem er hätte rufen können. Und in seinen Gedanken trugen zwei Schreckensbilder einen schmerzhaften Kampf aus: Da stritten »Mariana und der Graf, Wange an Wange« gegen »Mariana und der Graf, wie sie leise und erregt über ihn sprachen«. Theodor musste seine ganze Kraft aufbieten, damit ihm nicht wieder die Tränen in die Augen traten; sie flossen stattdessen in seine Seele.
Als er mit verhangenem Blick auf die Tanzfläche sah, löste sich Mariana gerade aus den Armen ihres Tanzpartners, der sie offensichtlich zu etwas ermutigte, und nickte schelmisch in seine Richtung, woraufhin der Graf äußerst süffisant lächelte. Theodor wurde von einer würgenden Angst gepackt, die mit jedem Schritt wuchs, den die junge Frau auf ihn zu machte. Er erhob sich, als sie vor ihm stand, und hörte sie wie in weiter Ferne sprechen:
»Baron! Wie soll ich denn das verstehen? Erst kommt Ihr zu spät und dann fordert Ihr mich nicht einmal auf. Ich habe noch niemals mit Euch getanzt. Kommt, lasst es uns probieren! Zeigt mir, wie viel Taktgefühl Ihr besitzt!«
Der junge Mann vernahm die Worte, doch in seiner Fantasie verzog sich der fröhliche Mund der erregten Frau zu einer triumphierenden Fratze, die ihn vor allen der Lächerlichkeit preisgab. Sie konnte es nicht ernst meinen. Es war, als filtere seine Angst alle Schönheit aus dem Leben, er musste schlucken und durfte doch nicht. Ohne ein Wort zu sagen, drehte er sich um und lief vor seinen Tränen davon.
Es war längst dunkel geworden, als Theodor die aufsteigende Gasse zum Haus des Professors erreichte. Er war stundenlang ziellos durch die Rheinauen gezogen, verletzt und mit der entschlossenen Wut eines Menschen, der sich in die Enge getrieben fühlt. Ihn fröstelte, denn mit dem Mond stieg an diesem 8. September auch die erste herbstliche Kälte aus den Wiesen und erkundete klamm die Innenstadt. Weil die Fledermäuse auf der Promenade immer frecher um seinen Kopf geflogen waren, hatte sich der Baron der Frage entzogen, die ihn verfolgte: »Wie sollte ich Mariana jemals wieder unter die Augen treten?« Seine Verzweiflung war im Lauf der Stunden einer betäubenden Leere gewichen, die sich festzusetzen drohte.
Als Theodor den Schlüssel zur Haustür aus der Tasche zog, hörte er hinter sich ein verhaltenes, schabendes Geräusch. Instinktiv zog er seinen Degen und ging in den Grundschritt. Ein leises Pfeifen zog durch den Vorgarten. Dann kam eine ruhige Stimme aus der Dunkelheit: »Lieber Baron von Neuhoff. Nicht so hitzig.« Der Sprecher sog die frische Luft ein, als könne er sich daran berauschen. Weich sagte er: »Ihr hättet auf dem Fest etwas mehr Feuer zeigen sollen. Jetzt und hier ist es überflüssig.« Theodor entdeckte unter dem Kirschbaum die aufglimmende Spitze einer Zigarre und erahnte in der winzigen Lichtquelle die Umrisse des Grafen. Der löste sich langsam aus dem Dunkel und hob grüßend die Hand: »Ihr habt Euch heute ziemlich töricht benommen, Baron. Und Mariana ...«
»Schweigt!« Wilder Hass stieg in dem Angesprochenen auf. Erregt ließ Theodor den Schlüssel zurück in die Tasche gleiten und zog seine Jacke aus: »Das genügt!« Er presste die Sätze hervor: »Erst beleidigt Ihr mich, indem Ihr verkündet, dass ich rieche, und jetzt nennt Ihr mich einen Dummkopf. Glaubt Ihr, dass Euer Titel Euch alle Unverschämtheiten erlaubt? O nein! Zieht Euren Degen!«
Der spanische Graf wich zurück. Seine Bewegungen zeigten erstmals Unsicherheit. Bewusst beherrscht sagte er: »Baron, hängt nicht an die Fehler von heute Abend noch einen weiteren dran. Ihr habt Euch da in etwas verrannt. Es geht hier doch gar nicht um meine möglicherweise etwas saloppen Worte. Das war ein Spaß, den Ihr mir sicher vergeben werdet. Ich bitte Euch: Lasst uns in Ruhe darüber sprechen, was Mariana und ich ...«
Theodor ließ seinen Degen mehrmals durch die Luft kreisen. Die Worte sprangen jetzt unter größter Anspannung aus seinem Mund: »Ich wusste es: Ihr seid ein Feigling, ein Prahlhans und ein Charakterschwein. Ohne Euch wäre die Welt ein wesentlich schönerer Ort. Schlagt Euch mit mir!«
Noch während er sprach, näherte sich der Baron seinem Gegner, und nur Sekunden später trafen die Klingen aufeinander.
Da der Graf sich offensichtlich nur verteidigte und nicht ernsthaft kämpfte, geriet Theodor immer mehr in Rage. Verbissen hieb er auf den Adligen ein, der, während er die Angriffe parierte, immer wieder energisch bat, den Kampf zu beenden. Doch der beleidigte junge Mann legte all den angestauten Zorn in seine Hiebe und ließ sich nicht beirren. Minutenlang waren nur noch das Ächzen der Fechter und das harsche Klirren der Degen zu hören. Je weiter der Baron den Grafen in die Dunkelheit unter den Bäumen trieb, desto schwerer wurde es für beide, die Ausfälle des anderen überhaupt zu sehen.
Vom metallenen Schlagen der Waffen geweckt, entzündeten mehrere Bewohner der nahe liegenden Häuser Kerzen, doch als sich auch noch eine Wolke vor den Mond schob und endgültig alle Dinge ineinander flossen, ließ Theodor verärgert den Degen sinken. Ein letztes Mal, in einem abschließenden Auflodern seiner Aggression, stach er wahllos in die Dunkelheit – und spürte, wie sein Degen tief in das Fleisch des Grafen eindrang. Wie ein Messer, das in den Sand gesteckt wird. Erschrocken ließ Theodor die Waffe los, als der Körper schwer neben ihn auf den Boden fiel.
Wie erstarrt hörte der Baron die fahle Stimme des Verwundeten: »Neuhoff, Idiot. Mariana liebt Euch. Keinen sonst. Ja, ich war an ihr interessiert, aber beim Tanzen hat sie mir endgültig einen Korb gegeben. Weil sie nur Euch will. Sie hat so verdammt verliebt von Euch gesprochen, dass ich selbst sie gebeten habe, mir das zu ersparen und zu Euch zu gehen. Und Ihr, Ihr habt alles kaputtgemacht – durch Eure Angst vor Euch selbst.«
Zitternd floh Theodor in die Nacht. Ohne noch einmal sein Quartier zu betreten, rannte er davon und verließ die Stadt nur mit dem, was er am Leibe trug. Drei Wochen später erreichte er die Wohnung seiner Mutter in Paris, nachdem er, um seine Spuren zu verwischen, mit dem Schiff rheinabwärts nach Rotterdam gefahren war. Elisabeth, seine Schwester, überreichte ihm einen Brief Ludwigs, in dem dieser dem Freund mitteilte, dass der spanische Graf tatsächlich seiner Verletzung erlegen war und Mariana, als sie die Teile des Holzkreuzes erhielt, diese zärtlich geküsst und anschließend verzweifelt geweint hätte.
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Lord Kilmarnok blieb abrupt stehen. Isabelle, die sich beim Reden seinen schnellen kleinen Schritten angepasst hatte, kam aus dem Tritt und musste sich an seinem Arm festhalten: »Was ist los?« Sie versuchte in der Dunkelheit seine Augen zu finden, doch es gelang ihr nicht.
Der Adlige starrte die Straße hinunter: »Ich wusste das alles nicht!«
»Das kann sein. Soweit ich weiß, hat er nicht einmal seiner Mutter davon erzählt.«
Heftig packte der Mann seine Begleiterin mit beiden Händen an den Oberarmen und zog sie vor sich. Sein Unterkiefer zitterte