Bube, Dame, König. Fabian Vogt

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Bube, Dame, König - Fabian Vogt

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Kilmarnok fühlte sich ohne Perücke unwohl und schaute Isabelle zornig an: »Es ist ein Geschenk, nur ein Geschenk. Und ja, ich gebe es dir dafür, dass ich heute in diesem Haus unbeherrscht gewütet habe. Ich möchte mein Verhalten wieder gutmachen. Es ist einfach eine Entschuldigung. Musst du denn alles so kompliziert machen?«

      »Ich?« Isabelle wurde mit jedem Wort lauter: »Wer kommt denn hier wie ein Berserker hereingestürmt, schießt um sich, bietet mir Unsummen für die privaten Erinnerungen, die Geschichte des Königs, und bringt dann abends ein Geschenk, für das ich normalerweise vier Monate arbeiten müsste? Vielleicht ist es wirklich besser, wenn Ihr jetzt geht.«

      Angriffslustig blitzte sie Lord Kilmarnok an.

      Von der Seite kam eine helle Stimme: »Nein, er darf nicht gehen!«

      Isabelle erschrak, griff hinter die Abdeckung der Treppe und zog ihre Tochter an den Haaren hervor: »Schascha!« Der Klang schwang nach. »Wie lange sitzt du schon da?«

      Das Mädchen, dessen weit auseinander stehende, tiefgrüne Augen der Lord zum ersten Mal bewusst wahrnahm, wand sich unter dem Griff seiner Mutter und blickte trotzig blinzelnd in den hellen Raum: »Das ist doch ganz egal! Warum willst du, dass er geht?«

      Isabelle ließ so plötzlich los, dass die Kleine nach hinten stolperte. Die Stimme der jungen Frau war plötzlich sanft und ernst. Als sei der Lord gar nicht mehr anwesend, sagte sie: Wut und Angst. Das ist eine fürchterliche Mischung. So fürchterlich, dass er den König töten wollte. Er ist ein Mörder! Ganz gleich, ob er die Tat schon begangen hat oder nicht. Wäre Jizchak der König gewesen und hätte dieser Mann hier besser geschossen, dann wäre der König jetzt tot. Wir haben also gesehen, dass er dazu fähig ist. Bei so jemandem musst du sehr vorsichtig sein Denn wer andere verachtet, der verachtet auch sich selbst. Und das ist schlimm. Jemand, der sich selbst gern hat, der sich wirklich liebt, der tut anderen nicht weh. Verstehst du das?«

      Schascha schaute zu Boden. Leise sagte sie: »Nein! Ich mag ihn, Mama. Er ist doch nur traurig.«

      Lord Kilmarnok fühlte, dass seine Hände zitterten. Blass griff er nach seiner Perücke, dem zweiten Paket und dem Buch und drehte sich zur Tür. Er hatte die Klinke schon in der Hand, als ihn das Mädchen noch einmal anrief: »Du, Lord Frederik! Du schuldest mir noch etwas!«

      Der Adlige hielt inne, zog mit fahrigen Fingern seinen Geldbeutel hervor und schnürte ihn auf. Schascha aber lief hinter ihm her und zog an seinem Mantel: »Darf ich mir etwas wünschen? Bitte!«

      Sie schlüpfte unter seinem Arm hindurch und stellte sich in die Tür. Ihre Augen glänzten. Stolz auf ihren Einfall, rief sie mit einem kurzen Seitenblick zu ihrer Mutter: »Schenk mir das tolle Buch mit den Wohnungseinrichtungen!«

      Isabelle, die sich schon wieder zu ihrer Tapete gewandt hatte, fuhr herum. Ihre Pupillen waren unnatürlich geweitet. Doch über das Gesicht des Lords zog ein befreites Lächeln. Er streckte der Kleinen das Buch hin: »Gerne! Hier hast du es.«

      Ehe ihre Mutter reagieren konnte, hatte Schascha das Paket ergriffen. Lord Kilmarnok aber zwängte sich an dem Mädchen vorbei und verschwand in der Dunkelheit.

      Ängstlich schaute das Mädchen in den Raum. Tränen schossen in ihre Augen, als sie den verzweifelten Gesichtsausdruck ihrer Mutter bemerkte, die ihre Sicherheit verloren hatte und mit einem Mal sehr jung und verletzlich aussah. Nach einem Moment des Schweigens nahm Isabelle eine wollene Mantille vom Stuhl, legte sich die Zipfel des Schals über die Brust und knotete sie hinter dem Rücken zusammen. Dann lief auch sie wortlos in die Nacht.

      Am Ende des Blocks hatte sie den Lord eingeholt, der mit weiten Schritten in der Mitte der Straße Richtung Themse eilte. Einige Meter hinter ihm blieb sie schwer atmend stehen und rief: »Ihr sollt die Geschichte hören.«

      Er hielt inne. Erst in diesem Augen blick bemerkten beide, dass es angefangen hatte zu regnen. Lord Kilmarnok schaute auf die glänzenden Steine und fühlte wegen der fehlenden Perücke nach langen Jahren zum ersten Mal wieder Regentropfen auf seiner Kopfhaut. Fast tonlos sagte er: »Lass mich!«

      Sie trat neben ihn: »O nein! Ich bleibe niemandem etwas schuldig, genauso wenig wie Ihr. Es ist Euch mit einem schäbigen Trick gelungen, das kostbare Buch in unserem Haus zurückzulassen, aber es wird Euch nicht gelingen, mich zu beschämen.«

      Ihre Stimme wurde leiser: »Möglicherweise mache ich einen großen Fehler, aber da Ihr wie besessen zu sein scheint, kann Euch nur die Wahrheit heilen. Ja, ich möchte, dass Ihr erfahrt, wie der König wirklich ist, und dass die Gefühle, die Ihr ihm gegenüber hegt, falsch sind. Ich kann nämlich Hass nicht ausstehen.« Sie nickte ihm auffordernd zu: »Also: Kommt!«

      Der Adlige schüttelte langsam den Kopf. Er redete mehr mit sich selbst als mit der jungen Frau: »Vielleicht hattest du vorhin doch Recht. Es ist alles nicht so einfach, wie ich dachte. Ich kann jedenfalls nicht mehr in das Haus gehen, in dem er liegt. Jedes Mal, wenn ich ihm zu nahe komme, zerbreche ich innerlich. Irgendetwas Fremdes nimmt dann von mir Besitz, das mich Dinge tun und sagen lässt, die ich niemals wollte – die ich zumindest nicht geplant, geschweige denn bewusst gewünscht habe. Es ist, als träte ich in eine andere Welt ein, in der alle meine Verletzungen, Zweifel und Fragen wie fratzenschneidende Dämonen um mich stehen und über mich spotten. Dann fühlt es sich an, als ob genau in diesem Moment mein Schicksal entschieden würde. Und ich ahne, dass ich verlieren werde, gegen mich selbst und gegen die Welt. Dann will ich nur noch fliehen, aber ich weiß nicht, wohin.«

      Isabelle schloss zu Lord Kilmarnok auf: »Hört mir doch erst einmal zu. Vielleicht habt Ihr Euch einfach geirrt. Vielleicht hat man Euch falsch informiert. Wir laufen alle mit Lebenslügen herum. Und die meisten davon entstammen einfach der Furcht vor der Wahrheit. Aber nicht jede Wahrheit schmerzt. Im Gegenteil. Eine Lüge hat immer nur die Macht, die wir Ihr verleihen. Bitte! Kommt! Auch wenn ich Eure Vorbehalte verstehe: Wir können nicht hier im Regen bleiben.«

      Der Adlige, der noch immer das lange Paket in Händen hielt, öffnete die darumgewickelten Schleifen, zog einen langen Gegenstand hervor und hielt ihn der jungen Frau hin. Die wich schnell einen Schritt zurück. Ratlos fragte sie ihn: »Was ist das? Ein Gewehr?«

      Lord Kilmarnok schmunzelte unwillkürlich: »Nein! Das ist kein Gewehr. Das ist ein Schirm, ein Schirm gegen den Regen. Ich habe ihn vorhin in einem Laden gekauft, als ich mich entschlossen habe, zu Fuß zu dir zu gehen. Das ist eine ganz ungewöhnliche neue Erfindung. Du hältst dieses Ding über den Kopf und wirst nicht nass.«

      Vorsichtig nahm ihm Isabelle das lange Gebilde aus der Hand, hob es in die Höhe und stellte sich darunter. Traurig sagte sie: »Es funktioniert nicht!«

      Sie sah so enttäuscht aus, dass der Lord jetzt trotz seiner Not lauthals loslachen musste. Er nahm der jungen Frau den Schirm aus der Hand und öffnete ihn. Dann breitete er die aufgespannte Fläche über sie und beugte sich zu ihr: »Also gut! Erzähl!«

      Er reichte Isabelle schüchtern den Arm. Sie zögerte einen Moment, dann atmete sie zweimal tief, bevor sie sich bei ihm einhakte und langsam mit ihm in Richtung St. James’s Park ging.

      {{{

      THEODOR SCHAUTE DER erdfarbenen Strömung des Rheins hinterher und ließ es zu, dass sich sein Blick nach und nach in den Wellen verfing, bis alles vor seinen Augen zu schwimmen begann. Mit einer trotzigen Geste wischte er die Tränen weg, von denen die erste schon beinah sein schmales Oberlippenbärtchen erreicht hatte. Der siebzehn jährige Student saß in etwa zwei Metern Höhe rittlings auf dem abgespreizten Ast einer großen Eiche in den Auen vor der Stadtmauer Kölns, während die untergehende Sonne über das Wasser sprang und die Luft mit glitzernden

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