Bube, Dame, König. Fabian Vogt

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Bube, Dame, König - Fabian Vogt

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fein angezogen, aber er hat die Manieren eines Bauern und die Seele eines Unteroffiziers. Wer andere erniedrigen muss, ist immer selbst von Zweifeln zerfressen. Wir sollten ihn bedauern.«

      Erbost zog der Zurechtgewiesene seine Jacke gerade und wollte eben zu einer heftigen Erwiderung ansetzen, als hinter der linken Tür ein verzweifelter Ruf erschallte: »Julia!«

      Ehe einer der Anwesenden reagieren konnte, sprang Lord Kilmarnok an Isabelle vorbei, ergriff die Klinke und stürmte in die Kammer: »Wo ist das Schwein?«

      Durch die Türöffnung kam ein schwacher Lichtschimmer, in dem sich der Rücken des Adligen deutlich abzeichnete. Konzentriert versuchte er, in aller Eile das Halbdunkel mit seinen Blicken zu durchdringen. Während die übrigen Anwesenden wie versteinert auf Lord Kilmarnok starrten, griff dieser zu einem Messer, das er am Hosenbund verborgen hatte, und hielt es vor sich. Kurz spiegelten sich die schwachen Lichter der Fenster in der Klinge, bevor er sie hob. Schascha heulte auf, als der Mann mit festen Schritten in dem Raum verschwand.

      Zwei Sekunden später taumelte er zusammengekrümmt rückwärts wieder heraus und hielt sich den Bauch. Hinter ihm erschien Albrecht, der Großvater des Mädchens, und reckte strahlend einen Schürhaken in die Luft. Seine Augen folgten dem Metall, als hielte er ein Schwert in der Hand: »Ich wusste, dass Genua wieder Mörder schicken würde. Sie können es einfach nicht lassen. Und als ich den Schuss gehört habe, war ich bereit. Lang lebe der König.«

      Albrecht salutierte militärisch korrekt und hüpfte dabei vor Freude leicht in die Luft. Seine Begeisterung steckte die anderen an. Isabelle nahm ihrem Vater den Schürhaken aus der Hand, mit dem der halb Blinde im Raum herumfuchtelte. Sie besann sich und sagte leise: »Lang lebe der König. Wie schön das klingt. Du weißt, dass er nicht mehr lang leben wird. Und das liegt nicht an solchen Trotteln wie diesem hier, sondern an der mangelnden Gesundheit seiner Majestät.«

      Albrecht schaute mitleidig auf den um Atem ringenden Lord, dem Philipp gerade die Hände fesselte. Dann schüttelte er sich und nickte widerwillig: »Geh rein, Isabelle, er will dich sehen! Wir kümmern uns um diesen Kerl.«

      Die junge Frau trat zu ihrer Tochter und begann, auch ihr die Spuren des Kleisters von den Kleidern zu streichen. Trocken erwiderte sie: »Der König will nicht mich, er will irgendeine Julia sehen. Und ich habe keine Lust, eine andere Frau für ihn zu spielen.«

      Albrecht starrte sie verwundert an. Offensichtlich hatte er nicht mit einem Widerspruch seiner Tochter gerechnet. Er kratzte sich nachdenklich am Hals: »Isabelle. Du bist für ihn diese Julia. Ist das so schlimm? Bitte enttäusche ihn nicht. Er hat es schwer genug. Guck nicht so. Ja, er ist immer noch etwas wirr, aber er spricht weiterhin davon, dass er dir etwas diktieren muss. Bitte, Isabelle!«

      Die junge Frau zog verärgert die Schultern hoch: »Papa, ich kann nicht. Begreifst du das nicht! Ich muss arbeiten. Falls du es noch nicht bemerkt hast: Deine Augen werden jeden Tag schlechter. Nähen kannst du schon lange nicht mehr. Und wenn die Stadt merkt, dass ihr Aushilfsnachtwächter nicht mehr richtig sieht, wirst du diese Arbeit auch verlieren. Wovon sollen wir dann leben?«

      Albrecht fiel in sich zusammen. Der Enthusiasmus über seinen Sieg verließ ihn genauso schnell, wie er gekommen war. Seine Stimme ging in ein Jammern über: »Isabelle. Es ist sein letzter Wille. Er hat so viel für uns getan.«

      Isabelle beugte sich zu ihrer Tochter, um ihr einen Kuss auf die Stirn zu geben. Unwillig fragte sie: »Papa, wem will denn ein halbtoter König noch schreiben?«

      Der Alte streckte die Handflächen vor, als präsentiere er ein Tablett für die gesuchte Antwort: »Ich weiß es nicht, aber es scheint das Letzte zu sein, was ihn noch interessiert. Er spricht von nichts anderem: ›Ich werde ihnen alles erklären. Sie sollen die ganze Wahrheit erfahren‹, sagt er.«

      Jizchak murmelte: »Wahrscheinlich ist er schon so weggetreten, dass er denkt, er könne ein letztes Mal Verbündete für eine Rückkehr auf den Thron finden. Zumindest liegt ihm etwas auf dem Herzen, was er loswerden will.« Der gewitzte Mann, der inzwischen seine Wunde notdürftig verbunden hatte, erhob sich von seinem Stuhl und strich sich über sein kahles Haupt: »Isabelle! Dein Vater hat Recht. Schon in den Zeiten, in denen ich bei ihm im Gefängnis war, hat er oft davon gesprochen, dass er noch etwas zu erledigen hätte. Ich habe allerdings keine Ahnung, was das sein sollte. Wahrscheinlich eine Art Testament. Oder eine Beichte. Andererseits: Ist das so wichtig? Ihm bedeutet es viel. Kommt es dann noch darauf an, was es uns bedeutet?«

      Er zuckte leicht mit den Schultern: »Ich gebe zu: Ich habe seine andauernde Sehnsucht, sich der Welt zu erklären, damals für eine Marotte gehalten. Ich dachte immer: Warum will er sich denn jetzt noch rechtfertigen. Aber ich weiß auch, dass er sehr unter dem Spott und den Hänseleien gelitten hat, die ihm regelmäßig zugetragen wurden. Er fühlte sich zutiefst verletzt, weil er überzeugt war, dass keiner seiner Kritiker sein Anliegen wirklich verstanden hatte. Ich könnte mir vorstellen, dass sein Wunsch in diese Richtung geht. Offensichtlich gibt es einige Personen, denen er vor seinem Tod noch einmal die Wahrheit über sein Leben mitteilen möchte.«

      Isabelle wandte sich den zusammengelegten Papierbögen zu, die sich gerade wieder von der Wand lösten: »Philipp, dieser Knochen leim hält immer noch nicht. Du musst ihn verbessern. – Wenn euch die Erzählungen des Königs so wichtig sind, dann schreibt sie doch selbst auf. Ich kann nicht!«

      Sanft legte der Jude seine Hand auf die Schulter der Frau: »Was ist los mit dir? Du weißt doch, wie es ist: Dein Vater sieht nichts mehr, Philipp muss zurück in die Metzgerei – und ich, ich habe eine kaputte Hand.« Er hielt seine von der Gicht verkrümmte Rechte hoch: »Außerdem verlangt er nun einmal nach dir.«

      Isabelle fuhr unwirsch herum: »Ich will aber nicht. Ich muss Geld verdienen.«

      »Ich zahle dir ein Pfund pro Tag.« Niemand hatte mehr auf den am Boden liegenden Mann geachtet, der nun trotzig den Kopf hob und sein Angebot wie einen Eindringling in den Raum stellte. Die Frau in Männerhosen strich sich erneut die Haare aus dem Gesicht. Mit einem abschätzenden Blick versuchte sie, den Fremden zu durchschauen. Sie reagierte zögerlich: »Ein Pfund pro Tag? Das ist ziemlich viel Geld. Warum?«

      Lord Kilmarnok spielte nervös mit seiner Zunge zwischen den Vorderzähnen und versuchte dabei, sich mit den gebundenen Händen an der Wand hochzudrücken: »Alle hier scheinen sich einig zu sein, dass dieser verfluchte Kerl anders ist, als die Welt denkt. Ja, dass man sich in ihm getäuscht hat. Wenn ich euch zuhöre, dann klingt es auf einmal so, als ob die vielen wohlangesehenen Menschen, die es für nötig hielten, mich vor ihm zu warnen, alle verrückt sind. Ich möchte wissen, ob das stimmt. Ich möchte wissen, wer hier die Wahrheit verdreht. Und da du nur bereit bist, die wie auch immer geartete Rechtfertigung des Bettlerkönigs aufzuschreiben, wenn du deinen Unterhalt sichern kannst, bin ich bereit, dich dafür zu bezahlen. Hör auf diese beiden alten Männer.« Er blickte nach rechts zu den beiden, um sich ihre Zustimmung einzuholen.

      Isabelle machte eine wegwerfende Handbewegung: »Ich soll Euch für Euer Geld das Diktierte vorlesen? Das mache ich nicht!«

      Der Gefangene hatte seinen Oberkörper wieder aufgerichtet. Er suchte ihre Augen mit seinem Blick: »Es reicht, wenn du mir erzählst, was er gesagt hat. Und wenn etwas zu Persönliches dabei ist, dann lass es einfach weg. Einverstanden?«

      Mit einem Ruck zog die junge Frau gleich mehrere Papierbögen von der Wand und knüllte sie zusammen. Schweigend drückte sie den klebrigen Haufen dem Mädchen in die Hand und starrte dabei auf den Boden. Schascha aber grinste sie an: »Kaufst du mir von dem vielen Geld ein neues Kleid?«

      Isabelle blickte auf das immer noch feuchte einzige Kittelchen ihrer Tochter und schluckte. Dann sagte sie: »Gut. Da ihr euch ja alle

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