Bube, Dame, König. Fabian Vogt
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Читать онлайн книгу Bube, Dame, König - Fabian Vogt страница 15
Ruhig löste Isabelle ihre Arme aus dem Griff des Lords. Müde sagte sie: »Ich muss jetzt nach Hause. Der König will mich heute Nacht noch einmal sehen. Ich glaube, dass er Angst hat zu sterben, bevor er alles erzählen konnte. Das ist die Realität, die ich sehe. Ob er mir die Wahrheit erzählt, kann ich nicht sagen. Ich bin allerdings gar nicht sicher, ob Ihr überhaupt etwas anderes hören wollt als Eure eigene Wahrheit. Und genau so etwas hasse ich: Menschen, die zwar diskutieren wollen, aber nur dann zufrieden sind, wenn man sie bestätigt.« Ihre Augen blitzten in der Dunkelheit auf, als sich das Licht einer Laterne darin spiegelte: »Ich weiß nicht, woher Euer Hass kommt, aber eines weiß ich: Ihr kennt den König nicht.«
Lord Kilmarnok konnte das Lächeln nicht sehen, das ihre Lippen weitete, aber er spürte es in ihren Worten: »Ach, um Euch wegen des Wahrheitsgehaltes zu beruhigen: Ludwig, der damalige Studienkollege, hat 1736, im Jahr der Krönung seiner Majestät, ein Büchlein über das unselige Duell veröffentlicht. Komisch, oder? Damals wollten sie alle an seinem Ruhm verdienen, all die vielen Freunde und Bekannten, heute, zwanzig Jahre später, kommen solche unwissenden Leute wie Ihr daher und machen einem alten, unglück lichen Mann schwere Vorwürfe. Ihr, der Ihr alles habt, was man sich wünschen kann, wollt einem verarmten und verbitterten Träumer die letzten Tage rauben! Ich frage mich, ob nicht Ihr der Kranke seid.« Isabelle streckte ihm die Hand entgegen: »Ich bekomme ein Pfund von Euch!«
Lord Kilmarnok zog nachdenklich seinen Geldbeutel aus der Weste und legte eine Münze auf die geöffnete Handfläche der jungen Frau, die das Geld direkt in ihrem Korsett verschwinden ließ. Dann drehte sie sich um. Doch die Stimme des Mannes hielt sie noch einmal zurück: »Ich möchte auch wissen, was er dir heute Nacht erzählt!«
Eine weiche Trauer legte sich auf ihr Gesicht: »Warum? Wenn Ihr doch ohnehin der festen Überzeugung seid, dass er lügt.«
Der Lord ging einen Schritt auf sie zu. Er sagte unsicher: »Ja! Ich weiß noch nicht, ob ich ihm glauben kann, aber ich stimme Plutarch zu: Vielleicht versteht man einen Menschen wirklich nur dann, wenn man neben den äußerlichen Kennzeichen seines Lebens die verborgenen Züge seines Wesens erblickt, wenn man – unabhängig von allen Gefühlen – anfängt, eine Beziehung aufzubauen. Es stimmt: Ich weiß alles über die großspurigen Taten, die leeren Versprechungen und die bösartigen Intrigen dieses Mannes, der ja wohl zu Recht als Erfinder des ungedeckten Schecks bezeichnet wird. Aber ich frage mich seit so vielen Jahren, warum er das alles getan hat. Ich frage mich das so sehr, dass es zu meiner eigenen Frage geworden ist. Ich weiß nicht, ob du das kennst: dass eine Frage derart nach einer Antwort giert, dass das Leben sich völlig darauf ausrichtet. Sag mir, kennst du das, dieses ›Ich muss es wissen‹?« Er schüttelte sich, als könne er die Anspannung dadurch vertreiben: »Ich dachte, ich könnte das ›Warum?‹ in mir töten, wenn ich ihn töte. Aber jetzt wird mir klar, dass diese Frage mir weiterhin die Kraft rauben wird. Bitte hilf du mir, eine Antwort zu finden.«
Isabelle zögerte: »Ich weiß nicht, wie viel er mir heute noch erzählen wird. Vielleicht soll ich auch nur zu ihm kommen, um ihm vorzu lesen.«
»Das ist mir gleich. Ich werde mich morgen mit dir treffen.«
In einem der Häuser fing ein Paar an zu streiten und ihre erbosten Schreie brachten die junge Frau zum Lachen. Sie suchte in den Fassaden nach der Quelle der Laute und sagte freundlich, aber bestimmt: »Ich kann morgen nicht. Ich habe zu viel zu tun: Ich muss neue Muster entwerfen, ich muss dem König zuhören und ich brauche Zeit, um all das aufzuschreiben, was er mir erzählt. Es geht nicht.«
Lord Kilmarnok deutete auf ein schwach erleuchtetes Fenster im dritten Stock, auf dessen Vorhang sich das undeutliche Schattenspiel der Streitenden bewegte. Behutsam fragte er: »Was ist mit morgen früh?«
»Da gehe ich um fünf zum Fischmarkt nach Billingsgate. Ich nehme nicht an, dass ein Mann wie Ihr um diese Zeit auf den Beinen ist.«
Er zog den Hut: »Ich werde da sein!«
»Nein, das werdet Ihr nicht!« Drohend kamen diese Worte aus der Dunkelheit, so dass die beiden zusammenfuhren. Verwundert starrten sie in die Richtung, aus der sich, mit jedem Schritt deutlicher zu erkennen, Jizchak den beiden näherte. Der Jude grummelte etwas Unverständliches vor sich hin, dann mischte sich Erleichterung in seine hohe, enge Stimme: »Gott sei Dank! Isabelle, hier bist du. Wir haben uns unglaubliche Sorgen gemacht. Schascha hat uns gesagt, dass du allein mit diesem Wahnsinnigen unterwegs bist.«
Er hielt sich die Seite und atmete schwer: »Ich habe mir schon Vorwürfe gemacht, dass ich einfach davongerannt bin, um meine Sensationsgier zu befriedigen. Das war unüberlegt und egoistisch. Verzeih mir. Ich dachte, dass Philipp bei dir wäre. Jedenfalls sind wir alle erschrocken, als wir hörten, dass du mit … mit dem da … weggegangen bist.«
Der alte Mann baute sich vor Lord Kilmarnok auf und sah ihn drohend an. Da er ihm trotz des hochgereckten Kopfes nur bis zum Kinn ragte, musste die junge Frau unwillkürlich lächeln. Der Jude blitzte sie mit seinen Augen an: »Lach nicht. Dein Vater und Philipp ziehen auch durch die Straßen, um dich zu suchen. Wer weiß, was so einer wie der da mit dir anstellt?«
Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, hielt er seinen Arm mit dem verbundenen Streifschuss wie eine Trophäe hoch. Dann wurde sein Blick milder: »Nun gut, wie ich sehe, ist ja nichts passiert. Isabelle, Albrecht möchte nicht, dass du diesem Mann so viel über den König erzählst. Wer weiß, was er wirklich will. Und Ihr, Ihr schießwütiger ... Mensch: Lasst uns bitte in Ruhe. Ich bete zum Herrn, dass Eure Seele Frieden findet.«
Jizchak nahm Isabelle am Arm und zog sie mit sich. Nach einigen Schritten drehte die junge Frau noch einmal den Kopf und warf Frederik einen herausfordernden und zugleich fragenden Blick zu, in dem unbändige Lebenslust loderte. Als die beiden verschwunden waren, faltete Lord Kilmarnok seinen Schirm zusammen, hob den Kopf und ließ den kalten Regen auf sein zerschlagenes Auge laufen, das angefangen hatte zu pochen. Wäre Felix dort gewesen, er hätte gewusst, dass sein Herr soeben sein Herz verloren hatte.
III.
Madame hier, Madame da! Oh, es hat mir wirklich gut getan, sie zu verachten: Elisabeth Charlotte, das dicke Elend. In ihrer prallen Hilflosigkeit wurde sie mein größter Ansporn, mich weiterzuentwickeln. Denn wenn ich eines nicht sein wollte, dann so herausgeputzt verloren wie sie. Alles an ihr zeugte trotzig davon, dass ihr Leben eine einzige Enttäuschung war: die Ernüchterung über ihren homophilen Ehemann Philipp, den jüngeren Bruder des Sonnenkönigs, der sein Vermögen immer wieder aufs Spiel setzte und sie in eine desaströse Einsamkeit zwang, die Scham über den Verlust ihrer bodenständigen Heidelberger Heimat, die sie gegen die aufgeblasene Hülle des Pariser Hofes tauschen musste, die Verweigerung der vielen Pfunde, ihre ausladenden Hüften zu verlassen, und die frustrierende Erkenntnis, dass sich letztlich das ganze Leben als ein Spiel entpuppte, dessen Ausgang niemanden interessiert außer den Spieler selbst. Ich habe sie gehasst, und das hat mich stark gemacht. Positive Vorbilder sind wertlos, denn sie erzeugen nur billige Imitate – negative Bilder dagegen, markante Darstellungen des Unschönen, zwingen den Beobachter dazu, sich sein eigenes Profil zu erarbeiten. Vielen Dank, altes Ekel.
Wenn einer – wie diese Frau – nur noch die Enttäuschung kennt, dann bleibt ihm nichts anderes übrig, als sie zu kultivieren. Wer in seinem Leben keinen Sinn findet, erklärt das letzte bisschen Elend, das ihm bleibt, zum Sinn. Und so fing auch Madame an, ihre Desillusionierung, diese abgründige Entzauberung ihres Daseins, selbst zu verzaubern. Sie schmückte das Fiasko prächtig aus, setzte es auf einen goldenen Thron und huldigte ihm mit einer Hingabe, die sie möglicherweise einem wirklichen Daseinsgrund niemals hätte zuteil werden lassen. Erregt schwelg te die