Politik ohne Gott. Группа авторов

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Johannes Paul II. für die Reformbewegung in Osteuropa. Doch die Politik des Wandels ist bei Franziskus radikaler. Sie erstreckt sich auch auf Glaubensfragen. In den Fragen der Sexualmoral hat Franziskus bereits gezeigt, dass es auch demokratischer geht als bisher. Er beschämte diejenigen, die sich nach einer grundstürzenden Lex Franziskus zur Sexualmoral sehnten, indem er die heiklen Fragen einfach an sein Kirchenvolk zurück gab.

      Achtunddreißig knifflige Einzelfragen, unterteilt in neun Kapitel wie Ehe, Familie, Homosexualität, Verhütung verschickte die Bischofskongregation in Rom an die Katholiken der Welt. Tatsächlich hatte der Papst die Fragen zusammen mit der Bischofskongregation formuliert, er nahm selber an mehreren Treffen teil, um zu klären, was die Katholiken heute tun und denken. Die erste Frage auf dem Fragebogen lautete: Wie steht es um die wirkliche Kenntnis der Lehren der Bibel und des Lehramtes der Kirche? Mit anderen Worten: Wisst ihr eigentlich, was ihr glauben sollt? Der Vatikan setzt nicht länger voraus, dass jeder Katholik auch weiß, was Katholischsein heißt. Das ist beinahe schon antiautoritär, antidoktrinär, revolutionär. Ob es eine Revolution auch des monarchisch strukturierten Papsttums werden kann, wird sich am Verhältnis des neuen Papstes zur eigenen Macht entscheiden.

      Bergoglio hatte die Wahl zum Papst mit einer Reformrede gewonnen, die den Zustand der Kirche betraf, aber dann machte er klar, dass es ihm um mehr als innerkirchliche Renovierung geht: »Die Kraft der Kirche liegt nicht in ihr selbst und ihrer organisatorischen Fähigkeit. Ein authentischer Glaube schließt den Wunsch ein, die Welt zu verändern. Haben wir große Visionen? Haben wir Träume? Sind wir mutig?«

      Das macht sein Pontifikat zum Politikum: Der neue Papst spricht als Christ auch für die Nichtchristen. Er versteht sich als Pastor der Welt, wobei er keine ideologische Herrschaft, sondern einen Dienst an den Menschen anstrebt. Das legt er dem katholischen Klerus immer wieder ans Herz: Seid Diener! Und den Politikern sagt er: Baut Brücken!

      Der neue Papst will also die Kirche ändern, um die Welt zu ändern. Dass er nicht bei der Welt, sondern bei der Kirche anfängt, macht ihn sympathisch. Anders als seine Vorgänger sorgt er sich weniger um den schlechten Einfluss der Welt auf seine Kirche als um den mangelnden Einfluss der Kirche auf die Welt.

      Seit dem Amtsantritt von Franziskus sind Wörter wie Barmherzigkeit und Nächstenliebe immer öfter zu hören in Rom. Das kann einem nach den innerkirchlichen Kämpfen der letzten Jahre, nach all dem Reformstreit und den spitzen Argumenten fast sentimental vorkommen. Nächstenliebe! Ist das überhaupt etwas für Theologen? Ist das nicht einfach nur ein Lockmittel für die Massen, die sonntags beim Angelusgebet kaum noch auf den Petersplatz passen? Die Feinde des neuen Papstes in der Kurie behaupten gern, er sei kein großer Theologe. Und unter katholischen Konservativen ist es ein Diskursklischee, zu bezweifeln, dass Franziskus ernsthaft, also »in der Glaubenslehre« etwas ändern werde. Als sage der Papst nicht dauernd Sätze wie: Das Christentum sei keine Ideologie, sondern ein Weg. Man erlerne ihn, indem man ihn beschreite. Die Aufgabe der Kleriker sei es, die Menschen auf diesem Weg zu begleiten, und nicht die Einhaltung der Lehre zu überwachen.

      Deutlicher kann man eine antidoktrinäre Theologie nicht ausdrücken. Dazu passt auch das zweihundert Seiten dicke Apostolische Schreiben von Franziskus, das dieser im Herbst 2013 vorlegte. Darin breitete er seine Gerechtigkeitstheologie aus und kritisierte in scharfen Worten unsere Wirtschaftsweise: »Diese Wirtschaft tötet!« Es war das lebhafteste Papier eines Papstes seit langem. Die internationale Presse hat es denn auch ausführlich debattiert. Es trug dazu bei, dass Franziskus vom »Time Magazine« zum Mann des Jahres gekürt wurde und als Weltpolitiker gilt.

      Im Syrienkonflikt hatte er sich bereits erfolgreich als Vermittler eingemischt. Während des G-20-Treffens in Sankt Petersburg hielt er erst ein großes öffentliches Friedensgebet ab und bat Tausende Pilger in Rom, zu beten und zu fasten. Danach schrieb er einen Brief an Wladimir Putin, der möge eine militärische Intervention in Damaskus verhindern. In Syrien glauben viele, der Brief des Papstes habe einen potenziellen Krieg verhindert. Mag sein oder auch nicht. Der Papst macht Friedenspolitik. Mehrfach bemühte er sich um ein Treffen mit dem Patriarchen der Moskauer Orthodoxie. Im Mai 2014 reiste er nach Nahost, eine Friedensmission.

      Ist das Christentum wieder Weltmacht? Sollte es eine sein? Sagen wir so: Im besten Fall kann Religion sich dazu eignen, politische Probleme mit einer Klarheit zu benennen, zu der die Politik nicht fähig scheint: etwa die europäischen Flüchtlingsgesetze infrage zu stellen und eine weltweite Debatte über soziale Gerechtigkeit auszulösen – wie es der neue Papst getan hat. Die allgemeine Papstbegeisterung macht eine politische Hoffnung sichtbar. Nicht nur Christen hoffen ja, dass sich am Horizont der Zukunft etwas findet, was größer ist als ihre Alltagswünsche. Nicht nur religiöse Menschen wünschen sich, dass es außer Erfolg und Besitz noch etwas Haltbareres gibt. Früher nannte man es Erlösung. Heute würde man sagen: ein anderes Leben. Eine bessere Welt. Warum nicht.

      RUPERT VON PLOTTNITZ

      Die angstvolle Neutralität

       Grundgesetz und Rechtsprechung in der Bundesrepublik

      Auf den ersten Blick scheint alles seine säkulare Ordnung zu haben: Eine Staatskirche wird im Grundgesetz – wie zuvor schon in der Weimarer Reichsverfassung – verboten. Artikel 4 des Grundgesetzes garantiert das Grundrecht der Freiheit des Glaubens und der Religion, zu der ausdrücklich auch das Recht, nicht zu glauben, gehört. Aus diesem Grundrecht folgt die Verpflichtung des Staates, sich in allen Fragen der Religion rauszuhalten und neutral zu agieren. Mit den Inhalten bestimmter Religionen darf und soll er sich nicht gemein machen. Wie auch immer geartete Einflüsse auf den Inhalt religiöser Bekenntnisse oder die Formen, in denen sie sich äußern, sind ihm ebenso verwehrt wie die Privilegierung einzelner Religionen. Für die Befürchtung, dass die Bundesrepublik etwas anderes sein könnte und sein wollte als ein prinzipiell säkularer demokratischer Rechtsstaat, scheint deshalb keinerlei Anlass zu bestehen.

      Bei näherem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass es im Verhältnis von staatlicher Neutralität auf der einen und dem Grundrecht der Religionsfreiheit auf der anderen Seite durchaus nicht so konfliktfrei zugeht, wie es das Grundgesetz zu versprechen scheint. Davon zeugen die zahlreichen politischen und juristischen Auseinandersetzungen, die es gab und gibt, wenn es um reale oder vermeintliche religiöse Symbole in den Klassenzimmern öffentlicher Schulen oder den Sitzungssälen der Justiz, das Schächten beim Schlachten von Tieren als religiöse Vorgabe oder die Beschneidung von Knaben, wie sie im Judentum oder im Islam praktiziert wird, geht.

      In einer vergleichsweise knappen Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht 1973 noch einem jüdischen Rechtsanwalt Recht gegeben, der es unter Hinweis auf sein Grundrecht der Glaubensfreiheit und das Gebot staatlicher Neutralität in Religionsangelegenheiten dem Verwaltungsgericht Düsseldorf gegenüber abgelehnt hatte, in einem Sitzungssaal zu verhandeln, auf dessen Richtertisch ein gut sichtbares Kruzifix aufgestellt worden war.

      Schon zwei Jahre später allerdings wies Karlsruhe eine gegen die christliche Gemeinschaftsschule als staatliche Pflichtschule in Baden-Württemberg gerichtete Verfassungsbeschwerde mit der Begründung zurück, das Grundrecht der Glaubensfreiheit sei nicht nur ein individuelles Abwehrrecht gegen wie auch immer geartete staatliche Einflussnahmen in Glaubensfragen, sondern begründe darüber hinaus auch eine Pflicht des Staates, »Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern«. Deshalb sei, so Karlsruhe im Oktober 1979, auch das seinerzeit noch vielerorts praktizierte christliche Schulgebet in den Gemeinschaftsschulen Hessens und Nordrhein-Westfalens grundgesetzkonform, sofern die Freiwilligkeit der Teilnahme der jeweils betroffenen Schülerinnen und Schüler garantiert sei.

      1995 ging das verfassungsrechtliche Kreuz mit dem Kreuz beim Bundesverfassungsgericht mit der sogenannten »Kruzifix-Entscheidung« weiter. Mit ihr bestätigte

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