Die Vier-in-einem-Perspektive. Frigga Haug
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Und Rosa Luxemburg:
»Als bürgerliche Frau ist das Weib ein Parasit der Gesellschaft, ihre Funktion besteht nur im Mitverzehren der Früchte der Ausbeutung; als Kleinbürgerin ist sie ein Lasttier der Familie. In der modernen Proletarierin wird das Weib erst zum Menschen, denn der Kampf macht erst den Menschen, der Anteil an der Kulturarbeit, an der Geschichte der Menschheit.« (GW 3, 410 f)
Noch radikaler Lenin:
Bäuerinnen und Proletarierinnen »werden erdrückt, erstickt, abgestumpft, erniedrigt von der Kleinarbeit der Hauswirtschaft, die sie an die Küche und an das Kinderzimmer fesselt und sie ihre Schaffenskraft durch eine geradezu barbarisch unproduktive, kleinliche, entnervende, abstumpfende, niederdrückende Arbeit vergeuden lässt.« (LW 29, 419)
Die Frauenbewegungen, zumal die der 1970er Jahre, legten offen, dass diese Sicht nicht nur bloß negativ auf Hausarbeit und Sorgearbeit blickt, auf etwas, das abgeschafft gehört, statt auch als Ort, an dem lokales Wissen und entsprechende Haltungen gewonnen werden, die menschlich unentbehrlich sind (situated knowledges), sondern auch, dass mit der Kritik der Lohnarbeit nicht alles erledigbar ist, dass weitere Herrschaft abzubauen ist – die der männlichen Verfügung über weibliche Arbeitskraft durch Einsperrung ins Haus, sexuelle Verfügung bis zur Gewalt, Aussperrung aus allen Entscheidungsposten, niedrigere Bezahlung, wenn die meist notwendige zusätzliche Erwerbsarbeit aufgenommen wurde – von denen das meiste bis heute anhält und entsprechend ideologisch abgesichert ist, etwa durch die Behauptung, dass Glück wesentlich in der Familie, Entwicklung der Kinder bei den Müttern angesiedelt sei usw.
Der Protest aus Frauenreihen war zugleich einseitiger und umfassender als der der Arbeiterbewegung. Maria Rosa dalla Costa (dt. 1973) verknüpfte Frauenunterdrückung mit der Funktion unbezahlter Hausarbeit für die Reproduktion kapitalistischer Gesellschaftsverhältnisse und forderte die Frauen auf, »sich gegen die Nichtbezahlung der Hausarbeit, die Unterdrückung ihrer Sexualität, die Trennung der Familie von der ›Welt draußen‹ zur Wehr zu setzen« (Vogel 2003, 544). Sie rief zum Hausfrauenstreik auf; Frauen hätten genug gearbeitet und sollten »den Mythos der Befreiung durch Arbeit zurückweisen« (ebd.).
Und Anke Wolf-Graaf konstatierte umfassend:
»Die Reproduktionsarbeit ist die unsichtbare Basis […], auf die sich die ganze Pyramide der kapitalistischen Akkumulation stützt.« (1981, 220)
Als Folge solcher Arbeitsteilung schärfte Sigrid Metz-Göckel als wichtige Problematik ein:
»Die Lohnarbeiterinnen haben in der Regel keine Hausfrau zu ihrer persönlichen Bedienung zur Verfügung. Hausfrauen ohne Lohn und Lohnarbeiterinnen ohne Hausfrau sind die widersprüchlichen Realisierungsformen weiblichen Arbeitsvermögens.« (1978, 85)
Gerade weil von einem Standpunkt gesprochen wurde, der nicht in der Klassenherrschaft allein Unterdrückung und Ausbeutung und also auch Befreiung festmachte, traten andere Dimensionen des täglichen Lebens ins Licht. Die Frauen bestanden darauf, dass die Arbeit im Nichtlohnarbeitsbereich nicht nur anerkannt und gesellschaftlich sichtbar werden sollte – sie zeigten auch, dass gerade in diesem Bereich der »Reproduktionsarbeit« für eine menschliche Gesellschaft unentbehrliche Qualitäten und Formen entwickelt wurden. Sie skandalisierten, dass es also andere Arbeit als Lohnarbeit massenhaft in der Gesellschaft gibt, die von Frauen getan wird; dass es andere Verfügung als die über Arbeitskraft im öffentlichen Raum, nämlich die im Privaten gibt, die sich über die Körper also auch sexuell und in Gewalt geltend macht; dass Privatheit nicht bloß Einsperrung ist, sondern auch Aussperrung aus gesellschaftlichen Bereichen – der Befreiungsanspruch wurde auf diese Weise umfassender, radikaler. Und gerade der weitgehende Ausschluss aus gesellschaftlich relevanten Bereichen setzte ein Verlangen frei, an Gestaltung von Gesellschaft mitzuwirken, Politik nicht länger als eine Sache von Oberen, von anderen zu sehen, der Stellvertretung eine Absage zu erteilen, den Anspruch zu entwickeln, die eigenen Geschicke und damit die aller Menschen in eigne Hände zu nehmen. »Wenn wir uns nicht selbst befreien, bleibt es für uns ohne Folgen«, schreibt Peter Weiss in der Ästhetik des Widerstands für die Arbeiterbewegung. Es gilt auch für Frauen.
Wiewohl die Vorenthaltung von Entwicklungschancen die meisten Mitglieder der Gesellschaft betrifft, wurde dies wirklich radikal vom Frauenstandpunkt offenkundig und öffentlich skandalisiert. Gerade weil Bildung und Kunst für die Bürgerkinder erreichbar waren, wofern sie männlich waren, wurde für die Töchter der Bürger als Erste sichtbar, was ihnen vorenthalten war. Virginia Woolf beschreibt für die erste Frauenbewegung (in Die drei Guineen) äußerst scharf, welches die Lage der bürgerlichen Frauen ist und wie der Kampf um Gleichheit nicht Gleichheit anzielen wollen kann, sondern von Anfang an, also auch schon in der bürgerlichen Frauenbewegung, Überschreitung in Richtung auf eine Utopie ist, die sich noch nicht weiß.
Ein fortschrittlicher gebildeter Mann bittet eine nach Frauenart gebildete Frau (Literatur, etwas Klavierspielen usw.), ihm zu helfen, den drohenden Krieg zu verhindern. Bei der Überprüfung der Frage durchstreift diese alle relevanten Bereiche – die Nichtbeteiligung aller an der Politik, also auch am Verhindern der Kriege, die ideologische Einstimmung in den Krieg über Vaterlandsliebe, die sie bei den Töchtern nicht sieht, die Unmöglichkeit, gesellschaftlich Einschneidendes zu tun, weil Bildung und Beruf fehlen, und zugleich die Kritik an den herkömmlichen Bildungsinhalten und -formen für Männer sowie an der Erwerbsarbeit und der entsprechenden Ausbildung. Virginia Woolf entwirft aus der Lage der Frauen heraus ein utopisches Modell anderer Bildung: Das College für Frauen lehrt
»zum Beispiel die Medizin, Mathematik, Musik, Malerei und Literatur. Es sollte die Kunst der menschlichen Beziehungen gelehrt werden; die Kunst, das Leben und Denken anderer Menschen zu verstehen, und die kleinen Kunstfertigkeiten des Gesprächs, der Kleidung und des Kochens, die damit verbunden sind. Ziel […] sollte nicht sein, zu trennen und zu spezialisieren, sondern zu kombinieren. Die Art und Weise, in der Körper und Geist zusammenarbeiten, sollte erforscht werden. Man sollte herausfinden, welche neuen Kombinationen ein harmonisches Ganzes im menschlichen Leben ergeben.« (46 f.)
Die Lösung zielt notwendig auf eine andere Gesellschaft, in der auch Frauen Menschen sein können, was ebenso die Menschlichkeit der Männer voraussetzt.
Seit Virginia Woolf, also seit den 1930ern, hat sich die Lage der Frauen in vielem verbessert. Bildung, Zugang zu Berufen gibt es auch für Frauen; immerhin wird selbst in der Regierung gestritten, wie Beruf und Familie vereinbar wären, wenn auch fast ausschließlich für Frauen, statt auch für Männer; vor allem sind die Produktivkräfte der Arbeit – die Übergabe von Arbeit an Maschinen, die Entwicklung der Computertechnologie – so weit vorangeschritten, dass die Zeit, die Menschen für die Erarbeitung des Überlebensnotwendigen aufbringen müssen, auf einen Bruchteil geschrumpft ist.
Es ist höchste Zeit unsere Utopie als orientierende Sehnsucht und politischen Kompass genauer zu formulieren.
In dem Märchen, von dem ich am Anfang sprach, hätte niemand dafür plädiert, die Spinnarbeit, die die Körper verunstaltete, möglichst auszudehnen und zu verallgemeinern – im Gegenteil war es utopisch im guten Sinn, die lebenslange Fixierung an eine Teilfunktion abzuschaffen, denn
»sie verkrüppelt den Arbeiter in eine Abnormität, indem sie sein Detailgeschick treibhausmäßig fördert durch Unterdrückung einer Welt von produktiven Trieben und Anlagen« (Marx, Kapital, Bd. 1, 381).
Also war auch der mögliche Fortschritt in einer solchen Entwicklung der Produktivkräfte zu sehen, die es erlaubt, die Arbeitszeit zu verkürzen und damit das »Reich der Notwendigkeit« zurückzudrängen, um im »Reich der Freiheit menschliche Wesenskräfte zu entfalten« – wie