Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 3. Группа авторов

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das Werk Sterkrade. Dort wurde die Produktion im ersten Kriegsjahr ganz auf Geschosse, Minenwerfer und Geschütze umgestellt. In kürzester Zeit wurde der Raum in den Maschinenbau-Hallen verdoppelt. Bis zum Ende des Krieges verließen insgesamt 25 Millionen Granaten, Schrapnells und Wurfminen die Fabrik in Sterkrade.

      Der Brückenbau in Sterkrade, der vor 1914 große Bauwerke in der ganzen Welt errichtet hatte, musste seine Arbeiten in London, Argentinien, Kamerun und Ostafrika abbrechen und fand Ersatzaufträge in der Herstellung von Pioniergerät (Gelenkbrücken, Luftschiffhallen u. ä.). Besonders wichtig waren auch die Aufträge für die Wiederherstellung der zerstörten Brücken in den von deutschen Truppen besetzten Gebieten in Belgien, Frankreich und „Russisch-Polen“. „Die Bauschwierigkeiten in Feindesland [waren] außerordentlich. Trotzdem wurde z. B. die Maasbrücke bei Anhée in achtzehn Tagen wiederhergestellt, in dreißig Tagen die Maasbrücke bei Anseremme.“34 Eine besondere Herausforderung für die Sterkrader Ingenieure war auch die Wiederherstellung der Memelbrücke bei Kowno. Am 14. April 1916 kam Hindenburg höchstpersönlich, um die Memelbrücke einzuweihen. „Die letzte versilberte Schraube wurde von ihm eigenhändig angezogen.“35

       Abb. 4: Diagramm „Gesamtzahl der gepressten Geschosse“

       Krankheiten

      Hunger und Not wurden ab dem Winter 1916/​17 so groß, „dass in den Kranken- und Unfallziffern die Abnahme der körperlichen Kraft und Widerstandsfähigkeit des Volkes zum erschreckenden Ausdruck kam.“36 Dies hatte bei der Grippeepidemie 1918 verheerende Folgen: Die Zahl der Krankheitstage pro Mitglied der Betriebskrankenkasse verdoppelte sich gegenüber 1913.37 Diese dramatische Entwicklung dürfte bei den anderen Industriebetrieben in Oberhausen ganz ähnlich gewesen sein. Und von der Statistik nicht erfasst sind mehrere Tausend Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, deren Gesundheitszustand bestimmt nicht besser war.

       Abb. 5: Die zerstörte und von GHH wieder aufgebaute Brücke bei Anhée

      Der Hunger wurde von der Konzernleitung teilweise auch für die Disziplinierung der Arbeiterschaft instrumentalisiert. Paul Reusch ließ ganz gezielt Speckzuteilungen zur Beruhigung und Streikvermeidung in seinen Betrieben einsetzen. Solange ihm seine Untergebenen die Lage im Revier als ruhig beschrieben, ordnete er an, den Speck zurückzuhalten. Für seine Korrespondenz benutzte er ganz stilvoll den Kopfbogen des „Russischen Hofes“ in Berlin – eines Hauses, das sich auch in diesen Steckrübenwintern seiner „anerkannt vorzüglichen Küche“ rühmte. Dann aber drängte Direktor Woltmann, Reuschs Stellvertreter im GHH-Vorstand, u. a. zuständig für die betrieblichen Wohlfahrtseinrichtungen: „Die Sonderzuteilung von Speck ist den Bergarbeitern in der vorigen Woche aufgrund unserer Besprechung zugesagt. Diese Zuteilung bildete eins der Mittel, um die Arbeiterschaft in dieser Woche ruhig zu halten. Wir müssen daher den Speck unbedingt in dieser Woche verteilen.“ Erst danach gab Paul Reusch aus Stuttgart telegraphisch grünes Licht: „Speckverteilung kann vorgenommen werden. Preisfrage ist offen zu lassen.“ In einem unmittelbar folgenden Brief machte er klar, dass der Speck „zum Höchstpreise abzugeben“ sei.38

       Abb. 6: Hindenburg an der Memelbrücke bei Kowno „Die letzte versilberte Schraube wurde von ihm eigenhändig angezogen.“

      Die Methode der Zurückhaltung bzw. Zuteilung von Speck wurde im April 1917 bei Unruhen auf den Zechen Osterfeld und Jacobi eingesetzt. Auf den Jacobi-Schächten fuhren am 16. April 1917 von 486 Mann 251 Bottroper nicht an. Grund war die Tatsache, dass in Bottrop, wo am 15. April eine Verringerung der Brotzuteilung in Kraft getreten war, den Bergleuten die ursprünglich zugesagten Zusatz-Lebensmittel verweigert wurden. Am 17. April schlossen sich die Osterfelder Kumpel auf Jacobi dem Streik an. Einen Tag später fuhr die ganze Be-legschaft wieder an. An diesem 18. April trat aber ein Teil der Bergleute auf der benachbarten Zeche Osterfeld in Streik. Auch hier stand die Forderung nach ausreichender Verpflegung ganz oben. In Verhandlungen mit dem ▶ Arbeiterausschuss erreichte die Zechenleitung, dass die Arbeiter den Streik am 19. April beendeten. Jetzt war der Funke auf die Zeche Sterkrade übergesprungen. Eine Belegschaftsversammlung forderte dort am 20. April 1917 eine 30-prozentige Lohnerhöhung und mehr Lebensmittel. Auf Hugo in Sterkrade wurden an diesem Tag die gleichen Forderungen gestellt.39

      Im Juni und im September 1917 streikten die Arbeiter des Walzwerks Neu-Oberhausen, um „eine 100%ige Zulage für Sonntagsarbeit zu erhalten“. Die Arbeitskämpfe zogen sich lange hin. Die GHH-Direktoren, zweifellos in vollem Einvernehmen mit Paul Reusch, fuhren jetzt eine ganz harte Linie: Wer streikt, kommt an die Front. Woltmann berichtete im November 1917 vom Besuch eines Offiziers, der ihm die Überlegungen des Generalkommandos bezüglich der Einberufung streikender Arbeiter mitteilte. Die Militärs zögerten anscheinend, bevor sie eine so harte Maßnahme durchführten. Woltmann vertrat demgegenüber den „Standpunkt, […] dass eingezogen werden muss“.40

       Die Stadtverordnetenversammlung 1918

      Der Oberhausener Oberbürgermeister Havenstein war im August 1918 nach Ablauf seiner ersten Amtsperiode von der Stadtverordnetenversammlung einstimmig wiedergewählt worden. Wie setzte sich diese bis zum März 1919 weiter amtierende Versammlung zusammen? In Oberhausen, einer Stadt mit 1911 über 90.000, 1915 rund 103.000 Einwohnern, gab es bei der letzten Vorkriegswahl 1912 folgende Einteilung der Wahlberechtigten. Der I. Klasse gehörten 289 Personen an (das waren 2,7 Prozent der Wahlberechtigten), der II. Klasse 2.285 Personen (21,7 Prozent) und der III. Klasse 7.969 Personen (75,6 Prozent).41

      Jede Klasse erhielt ein Drittel der Mandate, wobei die Großfirmen nach internen Absprachen noch in der dritten Klasse regelrechte Quoten für sich beanspruchten.42 Die Werksleitungen nahmen massiv Einfluss auf das Wahlverhalten ihrer Arbeiter.

      „Zum Teil wurde unmittelbar in den Betrieben gewählt; aus den Instruktionen an die Meister und Aufseher lässt sich entnehmen, dass man in der Regel den Arbeitern schon vor der Wahl die ‚richtige‘ Wahlkarte gab; wollte der Arbeiter einen anderen Kandidaten als den der ‚Hüttenpartei‘ wählen, so hatte er offen eine andere Wahlkarte zu fordern, was von einem GHH-Beamten, der direkt neben der Wahlurne platziert war, sofort festgehalten wurde.“43

      Ergebnis solcher Praktiken war, dass der Oberhausener Stadtverordnetenversammlung bis 1919 keine Sozialdemokraten angehörten und insgesamt nur vier, den christlichen Gewerkschaften zuzurechnende Arbeiter – bei einer Gesamtzahl von 42 Stadtverordneten. Selbst in der dritten Klasse konnten die Großfirmen bis zum Ersten Weltkrieg Direktoren für die Stadtverordneten-Mandate durchsetzen.44 Der Verwaltungsbericht der Stadt Oberhausen listet für die III. Abteilung die folgenden Herren Stadtverordneten auf: den Fabrikbesitzer Karl Fecht, den Hüttendirektor und Kommerzienrat Dr.-Ing. Paul Reusch, den Prokuristen Karl Romeiser, den Hüttendirektor Heinrich Zillessen, den Oberingenieur Friedrich Declerck, den Hüttendirektor und Bergrat a. D. Heinrich Mehner, den Betriebsinspektor Reinhold Wagner, den Hüttendirektor Dr. phil. Arnold Woltmann, den Berginvaliden Friedrich Brandt sowie den Hüttendirektor Dr. phil. Paul Lueg.45 Wohlgemerkt: Der dritten Abteilung waren drei Viertel der wahlberechtigten Männer zugeordnet.

       Bilanz

      Dies war menschlich die Bilanz der GHH nach vier Jahren Krieg: Von 12.000 Belegschaftsmitgliedern, die zum Kriegsdienst eingezogen worden waren, sind 1.430 gefallen. Eine amtliche Statistik über die Gesamtzahl der Oberhausener Gefallenen und Verwundeten liegt leider nicht vor. Auch die Zahl der Kinder und Frauen, die in den Jahren 1914 bis

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