Still und starr ruht die Spree. Nora Lachmann

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Still und starr ruht die Spree - Nora Lachmann

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und Jewerbe. Habich schon im Testament.«

      Grelles Neonlicht. Lochplatten an den Wänden, Krims und Krams daran. Natürlich Präservative, kleine blasse Gummisäckchen. »Kommen zu Tausenden anjeschwommen«, meinte der Abfischer, »is ’n richtijer Jummibahnhof hier.«

      Ein Weckglas mit einer trüben Brühe. Ein kreideweißer Fötus, durchscheinend. »Det is Kilian. Wat besonderet. Sonst jehn se alle durch die Pumpen. Und denn is nur noch Brei, wat in Faulturm kommt. Den hab ich vorher erwischt. Is in Formalin.«

      Weiter hinten Kleidungsstücke. Ein Strampelanzug in Bleu.

      »Wer schmeißt denn Babysachen ins Klo?«, wunderte ich mich.

      »Ins Klo?«, Boglund lachte. »Und det hier?« Er deutete auf ein abscheuliches Streifenkleid in Braun. »Auch durchs Klo? Nein, jute Dame, det kommt vom Kanal! Im Trockenfall, wenn et nich regnet, mischen wia Kanalwasser zu die Fäkalien, zum Verdünnen. Aus der Spree und dem Ruhlebener Altarm. Die Kleedasche kommt vom Kanal.«

      »Und wer schmeißt Kleider in den Kanal?«

      Boglund schaute mich groß an, als begriffe er nicht. »Die werden doch nich in’n Kanal jeschmissen, die hat jemand anjehabt. Gucken Se mal!« Er nahm das Kleid mit Bügel von der Wand und zeigte die Rückseite. Ein schmaler zerfaserter Schlitz, sein kleiner Finger steckte von innen durch. »Hier, von hinten erlecht! Mit ’nem Messer. Da steckte ’ne Frau drin.«

      »Mein Gott, erstochen?!«

      »Erstochen und in den Kanal jeschmissen.«

      »Um Himmels willen!«, sagte ich. »Und die Frau?«

      »Nischt mehr. Die Pumpen, was die ansaugen, det is allet Brei. Da is sone Wucht hinter, da pellt sich die Kleedasche ab, die schwimmt nach oben.«

      Daneben hing seltsamerweise ein grauer Taucheranzug wie ein ausgeweideter Riesenfrosch. Die eine Seite gewaltsam aufgeschlitzt, die Beinpartie in Streifen gefetzt.

      Meinem fragenden Blick begegnete Boglund mit einem Achselzucken. »Keine Ahnung, wo der nu herkommt. Sieht nich jut aus für den, der drinne war. Aber hier, sehnse

       ma!« Daneben hing ein weißes, leicht bräunlich durchfärbtes Rüschenkleid, von roten Litzen durchzogen. Über dem Bügel ein Kranz aus Buchsbaumzweigen. »Det war se! Zu Sankta Lucia kam se wieder. 13. Dezember. Fein hat se sich je-schmückt!«

      Mir stockte der Atem. »Das Mädchen? Die immer hierher kam und …?«

      »Ja, det war se. Am 13. Dezember kam se wieder. Die Zeit war ja auch wieder ran. ’N hübschet Kleid. Sankta Lucia. Wie ’ne Puppe, sare ich Ihnen. Sie stand oben auf dem Steg, dann knipste ich den Scheinwerfer an, da wusste sie, dass ich zusah. Denn ging se zum Vorfluter und pinkelte. Mir ging det immer durch die Seele, wenn se in den sauberen Vorfluter pinkelte. Aber hübsch war se, wenn se so da oben stand. ’N schönet Mächen.«

      »Ja, was weiter?«, drängte Günter. »Was geschah dann?«

      »Wech!«, sagte Boglund. »Sie hat sich immer rechts am Jeländer festjehalten. Zurückzu auch. Aber überm Absetzbecken hatte ich auf der anderen Seite det Jeländer abjebaut. Es muss ja mal entrostet und jestrichen werden. Aber det konnte se nich sehn, der Scheinwerfer unten, da sah se nur Licht. Als se zurückkam, isset passiert. Innerlich hats mia ’n bisschen Leid jetan. Aber ich habe mia jesagt, wenn se da rüberkommt ohne Jeländer, denn is det ’n Zeichen, denn soll se eben weitamachen mit dem Vorfluter, wenns auch nich richtig is. Aber es hat nich solln sein. Wech, in det Absetzbecken! Det Kleid kam nach oben, hab ich abjefischt. Ansonsten …«, er winkte ab, »wissense, die Pumpen, die haben ’ne Jewalt! Jeht alles zerkleinert in die Faultürme und von da jeklärt in den Vorfluter. Da is nu ’n bisschen wat drin von ihr, im Vorfluter, wo se immer reinjepinkelt hat. Ich sare ja, det Leben is ’n Kreislauf. Ihr Kleid, ja, det habe ich. Ein schönet Stück. Kriegt allet det Museum für Kunst und Jewerbe. Wenn ich ma nich mehr bin.« Er senkte den Kopf und nahm die Schildmütze ab, wie zu einer stillen Andacht.

      Im Auto, wieder auf dem Spandauer Damm, versuchte ich krampfhaft, an Weihnachten zu denken. Bach, Weihnachtsoratorium, Gänsebraten. Halt, nein, der wanderte doch später …

      »Was machen wir nun?«, fragte Günter.

      Ich sagte nichts.

      Der Gast

      Der Luftstoß seiner plötzlichen

       Bewegungen hat die Installation des

       norwegischen Künstlers in Gang gesetzt.

      Mein Bruder tritt mich unterm Tisch. Ich sehe seine bedeutungsvoll aufgerissenen Augen. Dann grinst er harmlos in Richtung Tür und murmelt mit lebkuchenvollem Mund »Frohes Fest«.

      »Schön, dass Sie da sind« meine Mutter schüttelt dem Fremden die Hand, wobei sie, wie mir scheint, etwas übertrieben erfreut wirkt. Sie macht eine etwas unsichere, ausladende Geste hin zu unserem riesigen Berliner Zimmer mit Erker: »Das ist äh … so unser Wohnzimmer. Nichts Besonderes. Machen Sie es sich doch gemütlich! Was trinken Sie denn?«

      Der Mann mit dem zerschlissenen Cord-Anzug, dem langen grauweißen Haar, das mich irgendwie aufgrund seiner merkwürdigen Geschecktheit an ein Hundefell erinnert, blickt sich staunend um. Meine Eltern sammeln Kunst: Überall stehen, liegen, hängen Gemälde, Figuren, Plastiken, Collagen, seltsame Installationen, Spielzeugmonster und so weiter. Eine riesige Metallkonstruktion, die beim leisesten Windstoß in Bewegung gerät und viele unterschiedliche Glöckchen, Rasseln, Pfeifen und Schellen zum Klingen bringt, bimmelt über uns und lässt unseren diesjährigen Gast erschrocken an die Decke blicken.

      »Das ist nur ein Kunstwerk … Von einem norwegischen Environment-Artisten«, sagt meine Mutter so selbstverständlich, wie eine andere Mutter auf einen Wellensittich oder ein schlafendes Kleinkind hingewiesen hätte. Es gelingt ihr trotz aller Bemühungen nie im Entferntesten, volksnah zu wirken.

      »Nur ein … Klettergerüst … Von einem wegischen … Autist …«, murmelt der Alte in sich hinein, und ich kriege sofort einen heftigen Tritt versetzt. Falk rollt mit den Augen.

      »Wo leben denn die Wegen?«, fragt Falk jetzt den Landstreicher, den meine Mutter via Weihnachten für Obdachlose, eine Einrichtung, die von der Tochter einer befreundeten Kunstsammlerin ins Leben gerufen worden war, eingeladen hat.

      »Wegen?« Der alte Mann hebt seine ebenfalls eigentümlich grauweiß gescheckten Augenbrauen und starrt Falk verdutzt an, als hätte der sich das ausgedacht.

      »Egal.« Falk beißt in einen Zimtstern und meine Mutter seufzt erleichtert, denn meinem Bruder macht es oft Spaß, die gut gemeinten Pläne unserer Eltern zu durchkreuzen und sich auf die ein oder andere Weise unmöglich aufzuführen.

      Letztes Jahr war er mit einer schwer drogenabhängigen Frau wegen der kleinen Holzkrippe, die meine Eltern tatsächlich recht naturalistisch zwischen ihren ganzen Skulpturen und Trödelmarktgesims aufgebaut hatten, in Streit geraten. Erst ging es darum, ob es rassistisch sei, das Kind Jesu immer nur als blond gelockt und blauäugig darzustellen. Dann war man plötzlich beim Stern von Bethlehem und bei der Astrologie, und unsere Besucherin entpuppte sich als inbrünstige Sternendeuterin. Mein zynischer Bruder ließ kein gutes Haar an ihren Ausführungen und ärgerte sie, indem er ihr das Sternzeichen ‚Zicke‘ attestierte.

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