Gewaltlosigkeit und Klassenkampf. Herbert Meißner
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Diese Arten von Gewalt haben ihre Ursache in einer generellen Verrohung der Gesellschaft, in einer Gewöhnung der Menschen an Brutalität, in einer Gleichgültigkeit vieler Menschen gegenüber diesen Erscheinungen. Den sozialen Hintergrund dafür bietet der Charakter der Ellenbogengesellschaft.
Es gibt auch eine vorgeblich politisch motivierte Gewalt. Dies tritt in Erscheinung, wenn Autos der Luxusklasse angezündet werden, wenn Fenster und Glaswände von Bankgebäuden eingeschlagen werden und ähnliches. Das sind Erscheinungsformen von individuellem Terror, die aber letztlich politisch wirkungslos bleiben und als Rowdytum und Vandalismus eingeordnet werden können.
Eine spezielle Form von Gewalt ist die von Akteuren rechter und neofaschistischer Parteien, Organisationen und Gruppierungen gegen Linke und andere progressive Personen, Büros und Veranstaltungen. In diese Kategorie gehört auch die Gewaltanwendung gegen Andersfarbige, anders Aussehende, Andersgläubige und anders sexuell Orientierte. Hierbei stehen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und neofaschistische Gesinnung Pate.
Ein gesondertes Problem ist die durch das Gewaltmonopol des Staates gedeckte Gewalt von Polizei und anderen Staatsorganen gegen antifaschistische Demonstranten, gegen Atomkraftgegner, gegen Friedensdemos und andere von Bürgerinitiativen organisierte antikapitalistische Aktivitäten. Dieses hier nur erwähnte Problem der Staatsgewalt sei zunächst ausgeklammert, weil es später ausführlich erörtert wird.
Im Hinblick auf die oben genannten vielerlei Erscheinungsformen von Gewaltbereitschaft und Gewaltanwendung ist festzuhalten, dass die meisten Repräsentanten der verschiedensten sozialen und gesellschaftlichen Organisationen, sozialer Netzwerke und gesellschaftskritischer Gruppierungen Gewalt in jeder Form kategorisch ablehnen. Zu ihrer Position gehört die Forderung nach gewaltfreier Konfliktlösung und Gewaltprävention in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens.
Auch die Partei DIE LINKE präsentiert sich als Partei, die laut Programm »… für Gewaltfreiheit eintritt, ob im Innern von Gesellschaften oder zwischen Staaten«.[➚2] Dazu gehört die These: »Neben der Kritik an Gewaltakteuren und an gewaltfördernden Machtstrukturen geht es uns um die Aufklärung über tiefere Zusammenhänge von Konfliktursachen.« Und auch wenn im Parteiprogramm nachfolgend das Gewaltproblem stark auf internationale und große politische Konflikte orientiert ist, wird auch die Suche nach »Wegen zu struktureller Gewaltprävention und für einen zivilen Konfliktaustrag« formuliert.[➚3]
Das bedeutet, dass die meisten verantwortungsbewussten politischen Kräfte jede Art von ziviler Gewalt sowie individuellem Terror kategorisch ablehnen.
Man muss auch registrieren, dass die politischen Parteien der herrschenden Klasse – ob schwarz, gelb, grün oder rosa – ebenfalls gegen Rowdytum, Vandalismus und individuellen Terror auftreten. Dazu aber zwei Anmerkungen: Erstens tun sie sich in der politischen Praxis infolge vielerlei verwaltungsmäßigen Wirrwarrs sehr schwer dabei, und zweitens ist diese Haltung nicht einer prinzipiellen Position für Gewaltfreiheit geschuldet, sondern dem Bemühen um störungsfreies Funktionieren ihres Systems. Das ist ein beträchtlicher Unterschied.
Diese Betrachtungen zum allgemeinen Phänomen GEWALT betreffen generelle menschliche Verhaltensweisen, denen die verschiedensten Ursachen zugrunde liegen. Diese können z.B. sein persönliche Eigenschaften wie überzogenes Temperament und Unbeherrschtheit, familiäre Situationen, fehlorientierte Gruppenbildungen, soziale Ausgrenzung, Existenzbedrohung, gesellschaftliche Perspektivlosigkeit u.a m. In den Medien und seitens humanistischer Organisationen wird viel getan, um diese Gewaltausbreitung einzuschränken und zurückzudrehen. Ein ernstzunehmender Erfolg ist diesen Bemühungen bisher nicht beschieden.
Diese Arten von Gewalt haben zwar zum Teil auch ihre Wurzeln in den gesellschaftlichen Verhältnissen, sind aber nicht zielgerichtet auf eine Beeinflussung oder Veränderung der gesellschaftlichen Entwicklung orientiert. Daher können sie bei der nun folgenden Behandlung der Beziehung von Gewaltlosigkeit und Klassenkampf beiseite gelassen werden. Ihre kurze Darstellung ist nur der Vollständigkeit des Themas GEWALT geschuldet.
Diese notwendige Vollständigkeit erfordert noch eine weitere Überlegung. Das Phänomen GEWALT wurde nur unter dem Aspekt physischer Gewalt betrachtet. Aber es gibt auch psychische Gewalt. Eine der Formen dessen ist das, was der Volksmund unter »Gehirnwäsche« versteht. Dies ist in der Regel auf Einzelpersonen bezogen.
Die ständige, systematisch und abgestimmt von vielen Medien vollzogene geistige Manipulation des Denkens ganzer Bevölkerungen kann ebenfalls als Erscheinungsform psychischer Gewalt interpretiert werden.
Vor einiger Zeit war der Begriff der psychologischen Kriegsführung verbreitet. Auch wenn dieser Begriff inzwischen aus den Medien fast wieder verschwunden ist – das damit bezeichnete Vorgehen findet nach wie vor statt und kann ebenfalls als eine Form psychischer Gewalt bezeichnet werden.
Schaut man in das Wirtschaftsleben, so zeigt sich, dass auch hier Beschäftigte sowie Nichtbeschäftigte, Angestellte wie Selbstständige ökonomischem Zwang in den verschiedensten Formen unterliegen. Auch in der Ökonomie herrscht ökonomische Gewalt.
Das alles resultiert daraus, dass die Herrschaft in jeder Klassengesellschaft letztlich auf Gewalt beruht. Wenn man aber dies alles unter den generellen Begriff der Gewalt subsumiert, löst sich der Gewaltbegriff gewissermaßen auf, zerfließt und wird für die hier behandelte Problematik von Gewalt und Gewaltlosigkeit im Klassenkampf, für diese spezifische Dialektik, nicht mehr fassbar. Daher werden diese Aspekte zwar hier genannt, im Weiteren aber nicht detailliert behandelt.
↑2Programm der Partei DIE LINKE, Beschluss des Parteitages der Partei DIE LINKE vom 21. bis 23. Oktober 2011 in Erfurt, bestätigt durch einen Mitgliederentscheid im Dezember 2011. Kapitel 4 Abs. 6
↑3a.a.O., Kapitel 4, Abs. 2
2. Gewaltlosigkeit – wann?
Alle kapitalismuskritischen und antikapitalistischen Kräfte streben einen grundsätzlichen Politikwechsel und eine Veränderung der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse an. Dazu gehören neben politischen Parteien auch soziale Netzwerke, Occupy, Verbände für Bürgerrechte und Menschenwürde, Friedensbewegung u.a.m. Die obige Unterscheidung von kapitalismuskritischen und antikapitalistischen Kräften ergibt sich daraus, dass die Kapitalismuskritik die Mängel, Fehlkonstruktionen, finanzpolitischen Auswüchse und sozialpolitischen Zerrüttungen der bestehenden Ordnung scharfer und qualifizierter Kritik unterwirft, aber »nur« für eine Beseitigung dieser Mängel und für eine Verbesserung des Charakters dieser Ordnung eintritt. Die Anführungszeichen bei »nur« sollen aussagen, dass dies natürlich von enormer politischer Bedeutung ist und dass in der gegenwärtigen Periode – und sicher noch für längere Zeit – dies eine Hauptstoßrichtung im politischen Kampf gegen die kapitalistische Herrschaft ist.
Die antikapitalistischen Kräfte sind in der gleichen Weise tätig, gehen aber in ihrer Zielstellung über die Forderung nach Verbesserung der Gesellschaft hinaus und streben die generelle Überwindung der bestehenden Ordnung an. Das beruht darauf, dass die entsprechenden Autoren die gegenwärtigen Übel stärker an den Wurzeln packen und daher nicht nur die Auswüchse beschneiden, sondern die Wurzeln ausreißen wollen.
Solange es »nur« darum geht, dem Herrschaftssystem möglichst viel Zugeständnisse abzutrotzen und seine Bewegungsmöglichkeiten einzuschränken, stehen alle als gemeinsame Verbündete in diesem Kampf und sollten sich auch so zueinander verhalten. Insofern ist die genannte Unterscheidung