Emma Roth und die fremde Hand. Erika Urban

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Emma Roth und die fremde Hand - Erika Urban

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unverzüglich meldeten. Karl Rotten gehörte dazu.

      Die Tür zum Konferenzraum öffnete sich und Heiko Tomschak wälzte sich in den Raum. Sein massiger Körper konnte locker mit dem eines Bud Spencer konkurrieren, während seine Gesichtsform und die Kopfbeharrung eher an Michail Gorbatschow erinnerten. Seine Nase, stets angeschwollen und rot, war in die Mitte einer feisten Visage platziert und von großporiger, ungepflegter Haut bedeckt. Er hätte besser als Darsteller in eine Geisterbahn im Prater gepasst als an den Kopf des schicken, ovalen Konferenztisches, an den er sich jetzt mit einem schweren Seufzer setzte. Doch Tomschak entstammte einer alteingesessenen Wiener Unternehmerfamilie, die sich vor allem durch zwei Dinge auszeichnete: jede Menge schlechten Geschmack und viel Geld. Nachdem er an einer angesehenen österreichischen Privatschule maturiert hatte und sich an einer ebenso privaten Uni durch alle Prüfungen in Jus gemogelt hatte, war er in Windeseile im Polizeikorps aufgestiegen und auf dem Chefsessel gelandet. Und von dort war er nicht mehr wegzubekommen. Dafür sorgte schon seine schmale Frau Gunilla, die einiges zu melden hatte. Emma hatte immer vermutet, dass Tomschak seine hübsche Gattin irgendwo im Osten eingekauft hatte, anders konnte sie sich nicht erklären, wie ein so charakterloser alter Fettsack eine so adrette Braut abstauben hatte können. Tatsächlich war die Dame mit dem altmodischen Namen aber ebenfalls eine „Eingeborene“, deren Familie seit Jahrhunderten in der Wiener Politikszene ihr Unwesen trieb. Und eben jene Gunilla Tomschak von Steigenberg stöckelte jetzt in einem hellrosa Chanel-Kostüm in den Besprechungssaal, warf einen gequälten Blick in die Runde, der eine missbilligende Note annahm, als er Emma streifte, und ließ sich dann lautlos neben ihrem korpulenten Gatten nieder.

      „Was hat dieser adlige Hungerhaken hier zu suchen?“, flüsterte Malin ihrer Chefin zu, die nur verwundert den Kopf schüttelte. Einzig an Rottens dämlichem Grinsen konnte man erkennen, dass er bereits eingeweiht war.

      Während Tomschaks Sekretärin geschmacklosen Filterkaffee für alle und Weißen Tee für die Chefgattin servierte, trafen die letzten beiden Teilnehmer ein: Dr. Jürgen Fred, der forensische Psychologe, der Emmas Abteilung bei schweren Fällen zur Seite gestellt wurde, und Dr. Alf Heine, der deutsche Gerichtsmediziner. Emma konnte sich keinen Reim darauf machen, warum diese beiden Herren zum Treffen berufen worden waren. Was war hier los?

      Tomschak räusperte sich laut, hustete kurz und hohl und setzte dann zu einem seiner gefürchteten Monologe an. Nachdem seine Sekretärin auf ein Zeichen hin das Diktiergerät eingeschaltet hatte, begann er zuerst die Formalien herunterzuspulen: „Außerordentliches Treffen der Abteilung II am Montag, den 18. August 2014, um 9 : 30 Uhr. Anwesend sind … “, brabbelte er weiter, während Emma gegen eine Müdigkeit ankämpfte, die sie immer wieder übermannen wollte. Sie trank einen Schluck Kaffee und verzog angewidert den Mund. Die Verbreitung von italienischen Espressomaschinen war an ihrem Chef anscheinend spurlos vorbeigegangen. So spießig und schal wie er selbst war auch der Kaffee, den er offerierte. Inzwischen hatte die farblose Schreibkraft alle langweiligen Details dieser Unterredung aufgenommen und Tomschak setzte ein ernstes Gesicht auf.

      „Ich weiß, dass Ihr Team“, dabei blickte er Rotten und dann erst Emma an, „derzeit an einem äußerst heiklen Fall arbeitet. Gibt es Neuigkeiten in der Handkiller-Sache?“

      Rotten wollte gerade ansetzen, die neuesten Ermittlungsentwicklungen eifrig darzulegen, aber Emma unterbrach ihn barsch: „Leider keine wirklichen Ergebnisse bisher“, erläuterte sie knapp und stach mit einem Seitenblick auf Rotten ein. „Unser Täter hat inzwischen offensichtlich drei männlichen Opfern die Hände abgetrennt und diese an öffentlichen Plätzen abgelegt. Wir haben die Vermisstenanzeigen der letzten Wochen überprüft und festgestellt, dass drei Männer, zu denen die Hände passen könnten, als abgängig gemeldet wurden: ein englischer Student, der in einem Hostel am Naschmarkt registriert war, ein Deutscher, für eine Wiener Firma tätig, und ein Einheimischer, der in der Verwaltung des Bäderamtes arbeitete.“ Sie seufzte anhand der mageren Faktenlage.

      Die Taten hatten die ganze Stadt erschüttert und die Medien hatten sich auf die sogenannten „Handkiller-Morde“ gestürzt wie Geier auf verwesendes Aas. Die Boulevardzeitungen hörten nicht auf, irrsinnige Thesen und Vermutungen zum mysteriösen Mister Manslaughter zu verbreiten. Tomschak hatte alle Hände voll damit zu tun, die Journalisten zu vertrösten, die inzwischen eine Standleitung zu seinem Büro eingerichtet zu haben schienen.

      Deshalb lief er nach Emmas Ausführungen rot an und grunzte in die Runde: „Die Presse sitzt mir im Nacken. Lange kann ich sie nicht mehr hinhalten. Spätestens Anfang nächster Woche muss ich eine Pressekonferenz abhalten und Details bekannt geben. Strengt euch also an. Konnten irgendwelche Spuren an den Fundorten der Leichenteile entdeckt werden? Irgendwelche Hinweise auf die Tatorte? Was habt ihr eigentlich in den letzten Wochen getan?“

      Rotten streckte gewichtig den Rücken durch, legte seinen Kopf schief und versuchte den Chef zu beruhigen: „Ich habe einige heiße Spuren, Chef. Ein Haar konnte von einer abgetrennten Hand separiert werden. Vielleicht ist das unser Ticket zum Täter!“ Überlegen schaute er in die Runde.

      „Du hast gar nichts!“, schnauzte ihn Emma an und riss das Ruder wieder an sich. Das war ihr Fall und sie würde sicher nicht zulassen, dass ihn ein anzugtragender Abteilungsinspektor mit Profilneurose als seine persönliche Karriereleiter missbrauchte. „Einen Scheißdreck haben wir. Die Hände wurden unordentlich abgetrennt, geradezu dilettantisch. Das Haar, das mein werter Assistent erwähnte, muss nicht zwingend vom Täter stammen. Und wenn, ist das auch schon egal, weil wir seine DNA in keiner Datenbank gefunden haben. Zudem gibt es keine Zeugen und die mutmaßlichen Opfer haben augenscheinlich nichts miteinander zu tun.“

      „Und was gedenken Sie zu tun?“

      „Momentan sind wir wie festgefahren. Aber ich denke, wir müssen uns noch mehr auf die drei Abgängigen konzentrieren. Irgendwie hängen die zusammen.“ Sie machte eine kurze Pause. „Ich denke, nächste Woche können wir schon etwas mehr sagen“, schob sie beruhigend hinterher.

      Tomschak atmete schwer und war noch röter angelaufen. Gunilla tätschelte beruhigend die fette Pranke ihres Ehemannes und strich die fleischigen, behaarten Arme entlang. Es wirkte. Tomschak schien sich wieder zu fassen, denn er räusperte sich abermals, strich sich durch das schüttere Haar und fuhr fort: „Ich weiß, dass der Handkiller-Fall alle Kapazitäten Ihrer Abteilung in Anspruch nimmt. Aber ich werde in den kommenden Tagen Ihre Kräfte für einen weiteren Fall benötigen, der diesem gleichgestellt ist.“

      Emma spitzte die Ohren. Was konnte so wichtig sein, dass es mit einem Psychopathen wie dem Handkiller konkurrieren konnte? „Die Ottakringer Kollegen haben sich heute Früh gemeldet. Am Brunnenmarkt ist am Samstagvormittag ein kleines Mädchen spurlos verschwunden. Wenn Kinder abhandenkommen, ist es immer schlimm, aber dieser Fall hat eine besondere Brisanz: Die Mutter der kleinen Marie, Carla Wolf, ist eine stadtbekannte Lokalpolitikerin und sehr gute Freundin unserer Familie. Sie hat sich bereits an die Presse gewandt und wir erwarten die erste Berichterstattung heute in den Abendblättern. Wir stehen also unter einem enormen Druck, diesen Fall schnell und sauber zu lösen. Roth“, er wandte sich Emma zu, „da Sie im vergangenen Jahr diese Geschichte mit den entführten Zwillingen recht souverän gelöst haben, möchte ich Ihrem Team den Entführungsfall Marie Wolf übertragen. Das bedeutet Doppelbelastung – Überstunden. Sie bekommen zwei Polizisten von der Streife als Unterstützung zur Verfügung gestellt und einen Praktikanten von der Polizeischule als Recherche- und Telefonkraft. Außerdem sollen Dr. Heine und Dr. Fred auf Stand-by stehen, falls wir ihre professionelle Meinung benötigen.“ Er blickte auf den Gerichtsmediziner und den braun gebrannten Psychologen. Dann schob er eine dünne Mappe über den Tisch zu Emma: „Hier ist die Akte!“

      Seine dürre Gattin schnüffelte und hielt sich ein Spitzentaschentuch an ihr gepudertes Näschen. Deshalb ist die Schlange also mit hierhergekommen!, dachte Emma. Damit wir das Kind ihrer Parteifreundin wiederfinden. Sie ärgerte sich, dass Tomschak sie vor vollendete Tatsachen gestellt hatte, anstatt sie und ihr Team um Unterstützung

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