Lombok. Matthias Falke
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Um die Mittagszeit erreichten sie den Pass. Sie stiegen zur anderen Seite ab, liefen den Gletscher hinunter, folgten der Moräne und erreichten den Bach. Auf sonnigen Wiesen wanderten sie das Tal weiter auswärts. Am späten Nachmittag kamen sie in dem Dorf an, das sie sich als Ziel dieser Etappe gesetzt hatten. Sie fanden einen Gasthof, wo sie etwas essen konnten. Dann mieteten sie ein Zimmer. Es war winzig, befand sich direkt unter dem Dach und roch nach Sommer.
Sie zogen sich aus, legten sich aufs Bett und liebten sich langsam, bei Licht und während sie einander in die Augen sahen. Hinterher schliefen sie ein. Der rote Widerschein der Felswände, die in der Abendsonne standen wie Monolithe aus Blut, war ihnen gleichgültig.
Eine Stunde später klopfte es an der Tür.
Kapitel 2. Tawri
Die INSTRUCTOR setzte in einer der rostroten Sandkuhlen auf, die für den Mond charakteristisch waren. Diese bildete eine sanfte Senke von zweihundert auf dreihundert Metern, eben groß genug, einen Explorer der Enthymesis-Klasse aufzunehmen. Am Grund der Kuhle war das Material aus wind- und strahlungsverwittertem Regolith blutfarben, während es an den flachen Hängen allmählich dunkler wurde und am Übergang zur Ebene eine anthrazitschwarze Kruste bildete. Dann schloss sich die sandgelbe Weite des Mare Inconcussum an, dessen unbedeutende Randberge den Horizont wie vernarbte Schnittwunden verunzierten.
Der Mond Tawri, zehnter und größter Trabant des Gasriesen Ghesa Zoch, bot unter anderen Unannehmlichkeiten eine dünne und eiskalte Atmosphäre auf, die prädestiniert für Staubstürme und schmirgelpapierfarbene Blizzards war. Sie war dicht genug, dass der bei der Landung der INSTRUCTOR aufgewirbelte Sand nicht sofort wieder zu Boden fiel, sondern eine Weile in Form schartigroter Wolken um das Schiff herumlungerte und sich dann allmählich auf die riesigen Stahlkrallen seiner wohnhausgroßen Stelzfüße legte wie ein unterwürfiger Hund. Auch der rußige Dampf der Triebwerke und der Steuerdüsen verschwand nicht sofort, wie er es im Vakuum getan hatte, sondern hing noch geraume Zeit als Behang schwarzer Fransen am klobigen Rumpf des Explorers.
Der Himmel über der Landestelle war stumpf, bunt und verschmiert wie das stümperhafte Aquarell eines Anfängers. Das lag an den Staubwolken, die von den Stürmen in die hohen und höchsten Luftschichten transportiert wurden. Sie waren wie riesige Batik-Zeltplanen über die von Kratern und Runsen übersäte Landschaft gespannt. Die schmale Sichel des Gasplaneten beherrschte den Himmel, scharf abgesetzt und chromfarben am hellen Rand, blau verdämmernd und zerlaufen auf der Schattenseite. Ghesa Zoch schob sich vor das Zentralgestirn wie eine latente Drohung. In Kürze würde die mehrwöchige Nacht über den Mond hereinbrechen. Dann war er aus den Albträumen der Wesen, die sich auf seinen dominierenden Mond verirrt hatten, nicht mehr wegzudenken.
Einzelne von Schwefelkristallen inkrustierte kupferfarbene Säulen standen hier und da in der ansonsten ereignislosen Ebene des Mare Inconcussum. In ihrem bizarren und unnachgiebigen Ragen erinnerten sie an Termitenburgen, nur dass sie wenigstens zehn Mal so groß waren. Hier und da versprühten Fumarolen ihre hartweiße oder harngelbe Empörung. Trügerische Sandbecken lauerten auf den Leichtmut von Eindringlingen, um sie in die Tiefe zu saugen. Ganz im Osten gestikulierte ein Stratovulkan in blauem Zorn gegen die stoische Stille an.
Alles in allem ein pittoresker, aber kein wohnlicher Ort.
Auf dem Frachtdeck, das für diese Mission zur Mannschaftsunterkunft umgerüstet worden war, setzten sich die Rekruten lauschend in ihren spartanischen Kojen auf. Als das Signal von der Brücke kam, dass der Explorer Bodenkontakt hatte, machte sich nervöse Geschäftigkeit breit. Mehrere Minuten vergingen, in denen die Crew zweihundert Meter weiter vorne die Routinechecks durch die Systeme jagte. Dann sprang auch das Leuchtzeichen an der Heckluke auf Grün um. Die Rampe war freigegeben.
Dennoch warteten die Soldaten, bis sie das offizielle Go der Führung hatten. Diese erschien wenig später in Gestalt General Rogers’ auf dem Frachtdeck. Der Held von Persephone schritt auf einem der schmalen Gänge zwischen den dicht an dicht stehenden Feldliegen durch. Die Rekruten beeilten sich, Bettzeug und Ausrüstung, die auf den Boden gefallen waren, auf die Kojen zu schmeißen. Dann standen sie stramm und bildeten ein beeindruckendes Spalier. Der General ging an der Einheit entlang, zupfte hier etwas an einem schlecht sitzenden Anzug, verlor dort ein Wort zu einer nicht ganz tadellosen Haltung, und stellte sich dann am hinteren Ende des Hecks vor die Ausstiegsrampe.
Die Luft auf dem Deck gefror zu einem einzigen Schweigen. Die hundert Rekruten wagten kaum zu atmen. Der Respekt, den sie vor dem Haudegen empfanden, war mit Händen zu greifen. Dabei war Rogers dafür, dass er eine lebende Legende war, noch nicht einmal so alt. Aber er war eine Institution, ein Denkmal aus Fleisch und Blut, ein Avatar der heroischen Geschichte der Union. Viele, die jetzt hier an Bord waren, hatten sich einzig und allein verpflichtet, um ihm einmal über den Weg zu laufen, ihm vielleicht einmal die Hand schütteln zu können, womöglich eines des Taktik-Seminare hören zu können, die er an der Akademie in Pensacola hielt und die eigentlich lange monologische Vorlesungen über den Aufstieg der Union im allgemeinen und den Krieg gegen die Sineser im besonderen waren. Und jetzt waren sie hier, als Soldaten einer Einheit, die er befehligte, und standen unmittelbar vor ihrem ersten Einsatz!
»Okay«, sagte er, nachdem er die glühende Bewunderung ausgiebig genossen hatte. »Ihr wisst, was zu tun ist. Geht raus, macht euren Job, passt auf euch auf und kommt wohlbehalten wieder. Lebendig, aber nicht mit leeren Händen!«
Er ließ sein berühmtes Haifischgrinsen aufspringen wie ein Klappmesser und wieder verschwinden.
»Und keine Dummheiten – Christopher Kurtz!« Seine kleinen, messerblauen Augen stachen wie Speere durch die Reihen der Rekruten und pickten einzelne davon heraus. »Kein grober Unfug, Darn Herber! Keine Fisimatenten, Mirk Yaschar!«
»Er kennt seine Pappenheimer«, flüsterte Ladana Zol dem neben ihr stehenden Frank Norton zu.
»Das gilt auch für euch da hinten«, rief Rogers streng und gutgelaunt in ihre Richtung.
Ladana zuckte ertappt zusammen, während Frank sich auf die Lippen biss.
»Bist du sicher, Ladana«, fragte der General, »dass du mit Frank in einem Team sein willst?«
»Aye, Sir«, gab sie zurück, und ihre Haltung wurde noch eine Spur straffer.
»Dann viel Glück, und sag hinterher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«
Ein unterdrücktes Kichern und Murmeln machte sich auf dem Frachtdeck breit.
»Das gilt für alle!«
Rogers trat beiseite und gab die Rampe frei, deren Verriegelung sich in diesem Augenblick öffnete. Vor ihnen dehnte sich die verheißungsvolle Einöde des Mare Inconcussum, das wie eine Landschaft vernarbter und verschorfter Wunden da lag.
Die ersten Pionierteams zogen los. Dann folgten die Zweiergruppen mit den Scootern. Es dauerte noch einmal eine Viertelstunde, bis sie an der Reihe waren. Rogers ging gegen den Strom der ausrückenden Rekruten nach vorne, klopfte jedem auf die Schulter und gab ihm ein aufmunterndes Wort mit. Wie zufällig kam er bei Frank und Ladana an.
»Geht raus und macht euer Ding«, knurrte er, der sich gern bärbeißiger gab, als er eigentlich war. »Aber unterschätzt die Sache nicht. Ich will euch alle wieder heil in Pensacola abliefern.«
»Selbstverständlich.« Norton war einer der wenigen, der sich etwas weniger förmlich mit dem General unterhalten konnte.
Rogers fasste ihn scharf ins Auge. »Du weiß, dass du meine Sympathie genießt und dass du mehr Freiheiten