Briefgeschichte(n) Band 2. Gottfried Senf

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Briefgeschichte(n) Band 2 - Gottfried Senf

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der Astors, den Gründern der Waldorf-Astoria-Hotels) boten eine Menge an Sehenswürdigkeiten. Das eigentlich Neue aber für mich war das Kennenlernen des englischen Schulalltags: die Kinder sind von 9 Uhr am Morgen bis abends 18 Uhr, zweimal in der Woche sogar bis 19.30 Uhr, in der Schule. Auf den Sportplätzen herrschte ununterbrochen Betrieb und immer spielten welche Kricket, Basket- oder Volleyball! Neben Sport gab es eine schier unübersehbare Zahl von anderen "activities", vom Kochen über künstlerisch-musische Arbeitsgemeinschaften bis zu Computerübungen war alles vertreten und die Ergebnisse konnte man im Schulhaus an Bildern, Berichten und Ausstellungen in Ruhe betrachten. Insgesamt eine gute Atmosphäre und ein entspanntes Verhältnis der Schüler untereinander bzw. zwischen Lehrern und Schülern. Ich habe mir viel Informationsmaterial beschafft und werde in der Schule meines Enkels in Erfurt etwas Reklame machen. Ich glaube, die 14 Tage waren für unsere Peniger Schüler ganz wichtig und es hat ihnen, nach kurzer Eingewöhnungszeit, auch gut gefallen. Die St. Bedes-School in Eastbourne beherbergt das ganze Jahr über für jeweils 14 Tage Schüler aus sächsischen Gymnasien. Vielleicht klappt es noch einmal, dass ich, zwar nicht als aktiver Lehrer, aber als Rentner-Opa eine Erfurter Klasse begleiten kann. Eastbourne ist ja auch ein sehr beliebtes Seebad in England. Ein englischer Kollege lieh mir sein Fahrrad, so konnte ich an zwei Vormittagen die herrliche Gegend von Sussex bzw. West-Kent genießen! Alles gut, einerseits, aber zur Zeit bin ich krankgeschrieben. Drei Tage vor Reiseantritt zeigten sich Anzeichen einer Grippe, ich ging aber nicht zum Arzt in der Hoffnung, das Seeklima würde schon helfen. Husten und Schnupfen blieben leider, mit dem Husten wurde es sogar noch schlimmer. Nun setze ich ein paar Tage in der Schule aus - damit bleibt etwas Zeit zum Schreiben! Im Juli wird die Irland-Rad-Woche wieder Gelegenheit für das Englisch-Sprechen geben ---- English learning by cycling! Viele werden wieder aus USA kommen und fast alle kennen kein deutsches Wort! Übrigens haben die Deutschlehrer an der englischen Schule das gleiche Problem wie Frau Shuler damals in Dover: nur noch wenige Schüler lernen Deutsch!

      Ehe ich es vergesse, hier erst einmal ein paar praktische Dinge aus Deinen Briefen:

      a) Eine Kopie Deines Aufnahmeantrages für den Geithainer Heimatverein e.V. liegt diesem Brief bei. Ich bekam sie von Herrn Bessert, unserem Kassierer und Schriftführer. Dein Beitrag ist mit Deinem Scheck für die Jahre 1999 bis 2001 (3 x 36 DM) damit bezahlt. Bist Du so einverstanden?

      b) Ein Meßtischblatt (MB) zur Umgebung von Stünzheim bei Ehrenberg in Thüringen will ich für Deine Bekannten gern besorgen. Es gibt dabei nur die Qual der Wahl. Herr Diederichs brachte mir heute einige Prospekte, die von den Vermessungsämtern herausgegeben werden, allerdings nur Sachsen betreffend. Für Thüringen gibt es sie aber analog: Eine riesige Auswahl an aktuellen, historischen, geologischen, "mundartlichen" Karten und Atlanten werden von den Ämtern angeboten. Ich habe nur gestaunt, was man sich so alles bestellen kann. Egal, woher die Bestellung kommt, die liefern das Gewünschte per Nachnahme! Herr von Larisch könnte sich doch auch an den Bürgermeister der Gemeinde Stünzheim (Postleitzahl 04603) wenden, um Bildmaterial oder Texte zu erhalten. Auf jeden Fall würde ich ihm zu einem Schreiben an das thüringische Vermessungsamt raten. Es gibt aber auch spezielle historische Karten! Ich werde in der nächsten Zeit versuchen, die homepage von Ehrenberg im INTERNET zu finden. Ich vermute, dass Stünzhain eingemeindet wurde. Die homepages sind ja eine feine Sache! Letztens fand ich im "Briefkasten" der Geithainer homepage eine Leserzuschrift aus den USA vom Enkel des Herrn Persecke. Er hat über INTERNET mit großem Interesse die Informationen über Geithain (mit vielen schönen Farbbildern) gelesen. Die Persecke & Wienand GmbH war der Nährmittelbetrieb draußen an der Wickershainer Kirche, von den Geithainern "Haferflockenbude" genannt. Vielleicht erinnerst Du Dich?

      c) Meinen Briefwechsel (per E-Mail) mit der Stelle in Dresden wegen einer eventuellen Veröffentlichung Deiner "Erinnerungen 1945" findest Du ebenfalls hier als Beilage. Schreibe mir bitte, wie wir weiter verfahren wollen. Die in dem Schreiben angeführte Internetadresse muss ich mir bei Gelegenheit auch einmal anschauen.

      Den Artikel von Grass in der "Zeit" vom 20. Mai d. J. habe ich noch nicht gelesen. Ich war ja in der Woche unterwegs und der "Zeit"-Stapel ist in den vergangenen Wochen bedenklich gewachsen. Demnächst ist radikales Sortieren angesagt und nur die wichtigsten Beiträge werden zum Lesen aufgehoben. Du kennst sicher auch den Artikel der Gräfin Dönhoff zum 50. Jahrestag der Bundesrepublik. Ich glaube, er erschien in der Ausgabe vom 27.05.99. Ein Genuss, ihn zu lesen, und man freut sich, wenn man seine eigenen Vorstellungen und Meinungen fast vollständig bestätigt findet. Gleichzeitig ärgert man sich, sie nicht selbst so klar und sprachlich angenehm formulieren zu können. Ihre Darlegungen zum Demokratieverständnis und zur Demokratiefähigkeit der Deutschen treffen den Kern. Sie ist insgesamt optimistisch und schließt Rückfälle in Richtung Nationalismus oder gar in totalitäre politische Strukturen absolut aus. Hoffentlich hat sie Recht. Ich bin mir darüber nach wie vor nicht so sicher. Du kennst meine Meinung, wonach obrigkeitsstaatliches Denken, Fühlen und Gebaren in Deutschland zu tief sitzen. Ich finde das zu oft im Alltag, besonders hier in Ostdeutschland, bestätigt. Hier schließt sich wohl auch der Kreis zu Deiner Meinung über Paul Hammers Buch zur Schulgeschichte von 1949 bis 1989 in Geithain: Das Absolute, das Nichterwähnen von möglichen anderen Sichtweisen oder anderen Entscheidungen, das unkritische Zurückschauen. Ich schrieb Dir schon einmal, was ich in dem Buch von Hammer ganz besonders vermisse: wenigstens einen Hauch einer Andeutung in der Richtung, dass er und seine ganze Altersgruppe in ihrem Leben gleich zweimal auf Ideologie und politische Propaganda hereingefallen sind. Und warum? Eben auch deshalb, weil sie in der jeweiligen Zeit sich und anderen ein Hinterfragen, ein Zweifeln, eine umfassendere Sicht nicht erlaubt hatten bzw. glaubten, sich das nicht erlauben zu können.

      Zu einigen anderen Stichworten in Deinem Zitat aus Grass` Artikel: Homepageöffentlichkeit, Verdrängung der erfahrbaren Wirklichkeit durch eine virtuelle Welt, Preisgabe der Unmittelbarkeit, Zauberlehrlingsübermut ... Ja, es gibt bei mir auch Zeiten, wo ich die Gefahren der neuen Medien überbewerte gegenüber deren Nutzen und Faszination. Gegenwärtig - seit März habe ich die neue Computeranlage - überwiegt wohl eher das zweite. Davon aber einmal abgesehen, glaube ich, dass der ständige Umgang mit jungen Leuten davor schützt, zu schwarz zu sehen. Wenn ich täglich erlebe, wie selbstverständlich sie mit dem Computer umgehen, frage ich mich manchmal: War es nicht zu allen Zeiten so, dass die Alten gegenüber allem Neuen, Unbekannten vorsichtiger und auch ängstlicher reagierten als junge Leute? Ist dieser unser Punkt auf dem Zeitstrahl der Menschheitsentwicklung nun ein „stinknormaler“ Punkt oder doch irgendwie ausgezeichnet? Liegt er näher am Ende oder geht es von ihm aus in Zeitrichtung auch wieder unendlich weiter? Ist es nicht möglich, dass ein alter Mensch seinen persönlichen Endzeitpunkt instinktiv mit einem allgemeinen Ende gleichsetzt? Es ist keine Frage, dass die neuen Medien, die ganze neue Technik überhaupt (s. Möglichkeiten der Medizin, Gentechnik, Raumfahrt u.a.) Gefahren in sich birgt und dass ihre richtige Anwendung erlernt, erkannt, erfahren werden muss. Und dass sich Moralauffassungen immer geändert haben, dass alte Menschen Verhaltensweisen als unmoralisch, dekadent empfanden/empfinden, die für die Jungen, auch wenn diese dann selbst zu den Alten gehören, ganz selbstverständlich waren/sind - warum sollte es heute anders sein als zu allen Zeiten?

      Kosovo!? NATO-Offiziere treffen in Belgrad mit Milosevic zusammen. "Schon morgen könnten die Bombardierungen aufhören!"--- Wenn es gelingt, dass die Flüchtlinge, beschützt durch UNO/NATO-Soldaten bis zum Winter zurückkehren und das serbische Militär aus dem Kosovo heraus ist - dann haben die vielen Opfer vielleicht doch noch einen Sinn: Ein bis heute grundlegendes völkerrechtliches Prinzip der "Nichteinmischung in innere Angelegenheiten eines Staates" ist relativiert. Ein potentieller Diktator kann nicht mehr machen, was er will! Hoffentlich geht alles gut. Du sagtest einmal in einem Telefongespräch, Du würdest Dich zerrissen fühlen angesichts der NATO- Bomben auf Serbien. Es war ja auch diffizil: In Leuten wie Blair oder Fischer konnte man ja nun wahrlich keine kriegslüsternen Ungeheuer sehen, von Scharping gar nicht zu reden. Ich neige zwar nach wie vor dazu, dass politisch/ diplomatische Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft waren, den Krieg zu vermeiden. Gewöhnlich sagt man, die Geschichte wird erst zeigen, ob die Entscheidung richtig war. Zweifel sind dabei auch sicher angesagt:

      -Wann

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