Die Dschihad Generation. Petra Ramsauer

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Die Dschihad Generation - Petra Ramsauer

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bekämpft nicht länger einen Aufstand. Ihr bekämpft eine islamische Armee“, verkündete sein schwarz gekleideter Henker Mohammed Emwazi, bevor er begann, Jims Kopf abzutrennen.

      Es waren stumpfe Klingen, die – wie immer im IS – bei den Enthauptungen verwendet werden: „Um den Schmerz zu erhöhen“, gab ein von einer kurdischen Miliz gefangen genommener IS-Kämpfer zu Protokoll. Zuvor würde die Hinrichtung in zahlreichen Scheinexekutionen mit den Gefangenen „geprobt“, wie ein Mann namens „Saleh“, der sich in die Türkei abgesetzt hatte, erzählt.7 Er behauptet, bei mehreren Videos von Enthauptungen im Hintergrund mitgewirkt zu haben. „Die Geiseln wirken auf den Videos alle so ruhig, weil sie glauben, es würde sich nur um die Drohung einer Exekution handeln“, so „Saleh“. Ein anderer Augenzeuge, der sich „Adnan“ nennt und vor seiner Flucht beim IS Gefängniswärter war, erlebte dies bei einem Häftling: „Die Kämpfer haben wieder und wieder Kinder kommen lassen, die eine Pistole an seinen Kopf richteten und abdrückten. Es wiederholte sich jeden Tag. Immer filmten sie mit. Die Pistole war nie geladen. Bis auf den letzten Tag seines Lebens.“8

      DAS BÖSE AN SICH?

      „Er strich mit der Klinge zart über meinen Nacken, hörte dabei nicht auf zu reden: ‚Fühlst du es? Kalt, nicht wahr? Kannst du dir den Schmerz vorstellen, wenn es dich schneiden wird? Den unerträglichen Schmerz.‘ Dann ließ er das Schwert bis zu meiner Halsschlagader gleiten. ‚Mit dem ersten Schnitt werde ich deine Adern durchtrennen. Dein Blut wird sich mit deinem Speichel vermengen‘ sagte dieser Jihadi John dann.“ Dies sind die Erinnerungen von Javier Espinosa, einem spanischen Journalisten, der diese Scheinhinrichtungen erlebte.9 Von September 2013 bis April 2014 war er Geisel des IS, wurde dabei auch gemeinsam mit Jim Foley festgehalten. „Die ‚Beatles‘, wie wir die drei britischen Kämpfer nannten, die uns bewachten, liebten dieses Theater“, so Espinosa. „Und sie wiederholten es wieder und wieder. Emwazi suchte die exzessivste Inszenierung dieses Dramas. Dazu brachte er ein antikes Schwert, eines, das muslimische Heere im Mittelalter benutzt hatten. Die Klinge war einen Meter lang, der Griff aus Silber. ‚Mit dem zweiten Schlag werde ich deinen Nacken durchtrennen. Ab diesem Moment wirst du nicht mehr durch die Nase atmen können, nur noch durch den Mund. Du wirst lustige Gluckslaute von dir geben. Ich habe das schon erlebt, ab dieser Phase hört ihr euch alle an wie Schweine‘, sagte er, und dann: ‚Mit dem dritten Schlag des Schwertes wird dann dein Kopf abgetrennt. Den lege ich dir dann auf den Rücken.‘ Er und die anderen Aufpasser nötigten mich, dabei auf dem Boden zu sitzen, barfuß. Wenn sie mit der Schwertszene fertig waren, nahmen sie eine Pistole aus dem Halfter, eine Glock. Sie drückten sie mir gegen die Schläfe. ‚Klick.‘“ Niemals, so Javier Espinosa, hätte er den Eindruck gehabt, dass sie diese horrende Einschüchterung zufriedenstellte: „Hätte ich jemals Zweifel gehabt: Diese Szenen bestätigten, dass unsere Geiselnehmer Psychopathen waren.“

      Auch der französische Journalist Nicolas Hénin war eine Geisel des IS. Von Juni 2013 bis April 2014 wurde er festgehalten und wie alle anderen gefoltert. Am brutalsten quälte ihn sein Landsmann Mehdi Nemmouche, der ihm in den Pausen der Misshandlungen Ausschnitte einer französischen Fernsehserie zeigte, die er auf seinem Smartphone gespeichert hatte. Sie lief unter dem Titel „Faites entrer l’accusé!“ („Führen Sie den Angeklagten vor!“) und handelte von Massenmördern. Dabei vertraute Nemmouche seinem Opfer an, dass es sein größter Wunsch sei, selbst einmal in der Show aufzutreten. „Der Islam ist bei diesen Leuten nur ein Anstrich für abscheuliche Gewaltfantasien“, sagt Hénin heute. „Diese Folterer haben sicher mehr Horrorfilme gesehen, als Koranverse gelesen, und im Islamischen Staat nur einen Vorwand gefunden, um ihrer Neigung zu Gewalt freien Lauf zu lassen.“10

      Die beiden Journalisten zählen zu den wenigen unabhängigen Augenzeugen, die über einen langen Zeitraum mit den IS-Dschihadisten konfrontiert waren. Sie erlebten, wie sie ticken, und sammelten so – trotz der fürchterlichen Erfahrungen – wertvolle Indizien, die helfen, den IS und seine Schergen zu verstehen. Doch auch wenn beide von den pathologischen Persönlichkeitsstörungen ihrer Folterer überzeugt waren, muss man davon ausgehen, dass nicht alle Dschihadisten schlicht krank sind. Manche waren hochtalentierte Schüler und Studenten, andere notorisch arbeitslos und Kleinkriminelle. Überraschend sei, wie extrem verschieden sie wären, betonen Fachleute unisono.

      „Es gibt abgebrühte Extremisten genauso wie weinerliche Jammerer“, sagt etwa Shiraz Maher vom britischen Thinktank „International Centre for the Study of Radicalization“ (ICSR). Einem innovativen Forschungszugang verdankt er tiefe Einblicke in die Gedankenwelt der Dschihadisten: Über soziale Medien stehen Shiraz Maher und seine Kollegen seit 2013 kontinuierlich mit Dutzenden ausländischen Kämpfern des IS im Dialog.11 Schon deren bloße Selbstdarstellung spiegle die große Bandbreite an Persönlichkeiten, die in den IS gezogen sind, meint er: „Manche prahlen mit Fotos, die sie in Swimmingpools in Syrien zeigen, andere in Kampfmontur. Unter ihnen gibt es abgebrühte Dschihadisten, die so schnell wie möglich als Selbstmordbomber sterben wollen, aber auch weinerliche Sozialromantiker, wie ein Mexikaner, der darunter leidet, dass er in Syrien kein Restaurant mit mexikanischer Küche findet, oder ein junger Brite, der sich kurz vor seiner Abreise nach Syrien nervös erkundigt, ob es dort eh Haargel gäbe. Es gibt Körperbehinderte, die dazu angestachelt werden, in den Krieg zu ziehen, wie auch Familien mit Kindern.“ Gleichheit sei nur ein Leitmotiv: „Es geht darum, dass alle willkommen sind, weil man dabei ist, einen Staat aufzubauen.“

      Auch wenn es zuvor bereits Protostaaten radikaler Islamisten – etwa die Taliban-Herrschaft in Afghanistan von 1996 bis 2001 – gab, ist der Anspruch des „Kalifats“ singulär. Seit dem Ende des osmanischen Kalifats im März 1924 war die Notwendigkeit der Wiedererrichtung dieses gemeinsamen Staates aller Muslime das Credo sämtlicher Bewegungen des politischen Islamismus – bis zu den Dschihadisten. Der IS kidnappte diese Utopie und erhob den Führungsanspruch der Sunniten, die circa 90 Prozent aller 1,7 Milliarden Muslime stellen. Inkludiert ist aus Sicht des IS, die einzig „korrekte“ Auslegung des islamischen Lebensstils zu verwirklichen. Dazu zählt, dass Schiiten genauso als Abweichler gebrandmarkt werden, wie Sunniten, die sich gegen diese Dogmen stellen. Die Folgen sind verheerend: Das Vergehen, „falsch“ zu glauben, rechtfertigt im Universum des IS, diese Menschen zu töten.

      Dazu scheint die besondere Grausamkeit der Gruppe unvergleichlich. Systematische Gewalt gegen die Zivilbevölkerung und Sadismus von Milizen oder einzelnen Kämpfern sind an sich – leider – keine Markenzeichen, die nur für den IS typisch wären. Doch meist folgen diese Verbrechen einer kaltblütigen, aber doch rein militärischen Logik. Sie werden als Taktik der Einschüchterung eingesetzt und besonders bei ethnischen Säuberungswellen forciert. Eines der brutalsten Videos des IS dürfte beweisen, dass dies auch Teil der Propagandalogik der Gruppe ist. Fünf Gefangene wurden im Juni 2015 in einem Stahlkäfig in einen Pool getaucht und ertränkt. Die Botschaft zum Filmmaterial: „Dies zeigt Verräter, die den Amerikanern unsere Positionen verraten haben.“

      Doch die Exzesse des IS erfüllen einen weiteren Zweck: Sie sichern die maximale und kontinuierliche Aufmerksamkeit in westlichen Medien. Es ist eine Machtdemonstration, eine auf die Spitze getriebene Provokation. „Der IS inszeniert sich als barbarischer Gegenentwurf zur westlichen Zivilisation, als das andere an sich“, analysiert Professor Lia Brynjar von der Universität Oslo: „Der IS ist omnipräsent, gewann so die Propagandaschlacht gegen andere islamistische Extremistengruppen, allen voran gegen die al-Kaida, von der sich die Anhänger des Kalifats nicht bloß abspalteten, sondern sie in Syriens Bürgerkrieg massiv bekämpften. Das half, Anhänger zu finden; vor allem unter den ausländischen Kämpfern.“12 Diese sind ein wertvolles Instrument: Kanonenfutter als Selbstmordattentäter, Werbefiguren und gehorsame Diener des Kalifen, die im Kriegsgebiet keine anderen Verbindungen und Interessen haben, als „Shahid“ – Märtyrer – zu werden.

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      Doch es geht nicht nur um Gewalt, wenn der IS die Werbetrommel rührt. „Die Marke ist komplex. Von einer Minute auf die

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