Die Dschihad Generation. Petra Ramsauer

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Die Dschihad Generation - Petra Ramsauer

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der University of Maryland in den USA lehrt und seit Jahrzehnten Motive von Terroristen erforscht, meint, dass die Ordnung der IS-Welt in klare Schwarz-Weiß-Strukturen einen beträchtlichen Teil der Faszination für Jugendliche erkläre, die versuchen, einen Sinn in ihrem als gescheitert empfundenen Leben zu finden. Eine wesentliche Rolle spiele dabei seiner Meinung nach aber auch das Versprechen der unbegrenzten Verfügbarkeit von Frauen: „Jungen, oft sexuell frustrierten Männern wird ein erotisches Shangri-La als Preis für ihre Tapferkeit in Aussicht gestellt.“13

      Wie wichtig dieser vermeintlich nebensächliche Aspekt ist, zeigte sich bei fast allen Gesprächen, die ich mit IS-Fans für dieses Buch führte und die ich noch genauer wiedergeben werde. Auch die britische Dokumentarfilmerin Deeyah Khan entdeckte dieses Muster in ihrer Arbeit mit Dschihadisten:14 „Meist hatten sie Probleme mit ihren Vätern, die mit der offenen Sexualität im Westen nicht umgehen können und ihre Frustration auf die Kinder übertragen.“ Alyas Karmani, der mittlerweile als islamischer Prediger arbeitet und versucht, der Radikalisierung entgegenzusteuern, war selbst zuvor in den Fängen der Gruppe und meint, dass in dem Moment, in dem Jugendliche dem IS beitreten, ihre gröbsten Probleme mit einem Schlag vermeintlich gelöst seien: Sie entkommen den Eltern, die sie unterdrücken, fühlen sich zugehörig und können – dies sei ein wichtiger Punkt – ihre Sexualität leben. „Die Teenager bekommen Waffen, posieren mit der MP, die auf den Fotos meist wie eine Penisverlängerung aussieht“, so Karmani. „Sie haben das Gefühl, sexy zu sein in der Rolle als Gotteskrieger, dass sie nun Eindruck auf Mädchen machen.“

      Doch es sind nicht nur sogenannte „freiwillige Dschihadisten-Bräute“, die diese Bedürfnisse erfüllen müssen. Abu Ibrahim al-Raqqawi, ein syrischer Aktivist, der gemeinsam mit einem Dutzend Gleichgesinnter Augenzeugenberichte aus Raqqa, der Hauptstadt des IS, sammelt, dokumentierte dazu schier unfassbare Details: „Die IS-Kämpfer sind geradezu sexbesessen“ , sagt er. „Ein nicht unbeträchtlicher Teil, vor allem unter den Ausländern, lebt horrende Fantasien mit Frauen aus, die sie als Sklavinnen kaufen. Zu den meist nachgefragten Medikamenten gehört Viagra.“ Immer wieder, erzählt er, müssten Frauen im Spital behandelt werden, so schlimm seien die Verletzungen, die sie dabei erleiden.

      Ist es angesichts dieser Gräuel überhaupt denkbar, den IS im Rahmen seiner Religion zu definieren? Der Großteil aller Muslime, die ich für dieses Buch interviewte, weist jede Ähnlichkeit ihrer Einstellung mit jener des IS entrüstet zurück. Nichts habe das mit dem Islam zu tun. Auch US-Präsident Barack Obama charakterisierte den IS als gegen die Religion gerichtet, als völlig neuartige Bedrohung, als „das Böse an sich“.15

      Trotz – oder vielleicht wegen – des Schreckens, den dieser real existierende islamistische Extremismus verkörpert, haben sich seit 2011 – inklusive der geschätzten Dunkelziffer – circa 7000 junge Leute aus Europa den Dschihadisten angeschlossen.16 Ein Zehntel davon sind Frauen, jeder, beziehungsweise jede Sechste ein Konvertit, eine Konvertitin. In Frankreich liegt ihr Anteil sogar bei einem Viertel.17

      Somit liefern die unzureichenden Versuche, den Kindern muslimischer Zuwanderer gute Perspektiven zu bieten, nur den Ansatz einer Antwort auf die Frage, was nun die Faszination des IS für diese Jugendlichen ausmacht. Aber es ist eine wichtige Spur: „Es gibt unzählige Formen der Radikalisierung“, sagte Peter Neumann, Direktor des bereits erwähnten „ICRC“, in einem Statement vor dem UN-Sicherheitsrat im April 2015. „Doch etwas geht jeder Radikalisierung für den IS voraus: das Gefühl, ausgeschlossen zu sein.“

      Und dies wird mitunter nicht bloß durch die Herkunft ausgelöst, sondern auch durch eine brüchige Biografie. Lisa-Maries Geschichte beweist dies: An einem verregneten Maitag 2015 stand die Sechzehnjährige leichenblass und verschreckt in Wien vor Gericht, alles bis auf ihr Gesicht ist verschleiert.

      Die Anklage gegen sie lautete: „Unterstützung einer Terrorvereinigung“, von diesem Verdacht wird sie freigesprochen. Zu offensichtlich ist, dass sie nicht kämpfen, sondern einen Sinn suchen wollte. Im Sommer 2014 war die nach einer abgebrochenen Lehre arbeitslose Wienerin zum Islam konvertiert und geriet in den Sog radikaler Kreise. Im Winter 2014 wollte sie in den „Islamischen Staat“ ziehen. Es scheint, als hätte sie ihrer Chancenlosigkeit den Ganzkörperschleier „Niqab“ umgeworfen, ihr so einen Namen, einen Grund gegeben.

      DIE TERRORAKADEMIE „ISLAMISCHER STAAT“

      „Eilt herbei! Muslime auf der ganzen Welt, kommt schnell in euren Staat!“ Am 4. Juli 2014 trat der selbst ernannte „Kalif Ibrahim“ mit diesen Worten zum ersten Mal öffentlich auf. Seine damalige Freitagspredigt in der wichtigsten Moschee der zweitgrößten irakischen Stadt Mossul war eine Überraschung. Keine einzige Filmaufnahme war bis zu dem Zeitpunkt von ihm überliefert, einzig ein grobkörniger Screenshot aus einem Video kursierte. „Kalif Ibrahim“ war einst ein muslimischer Kleriker, der als Ibrahim Awad Ibrahim al-Badari 1971 in der irakischen Stadt Samarra auf die Welt kam. Unter dem Kampfnamen „Abu Bakr al-Baghdadi“ schloss er sich nach 2003 dem Terrorkrieg gegen die US-Besatzung an, ab 2010 war er Führer des „Islamischen Staates im Irak“ und so auch Boss des daraus entstandenen „Islamischen Staates“ sowie des Kalifats, das am 29. Juni 2014 ausgerufen worden war.

      Ein Kopfgeld von zehn Millionen Dollar hatte die US-Regierung zu diesem Zeitpunkt bereits auf ihn ausgesetzt und al-Baghdadi zu einem der meistgesuchten Terroristen im Nahen Osten erklärt. Dies hatte aber auch einen kontraproduktiven Effekt: Der amtlich zum Erzfeind der USA deklarierte Iraker vermittelte mit Gestik, Outfit und Wortwahl eine klare, trotzige Botschaft.18 Seine Legitimität, als „Kalif Ibrahim“ Führer der sunnitischen Muslime zu sein, leitete er vorrangig daraus ab, aber auch von Rechtsquellen des Islam, die von führenden Klerikern allerdings völlig anders interpretiert werden. So betont Abdulfattah al-Owari, einer der führenden Experten der ägyptischen Universität Al-Azhar: „Sicher ist, dass ein Kalifat niemals durch die gewaltsame Okkupation von Land errichtet werden kann. Die Welt hat sich seit den Zeiten des Propheten Mohammed verändert, und heute gibt es Staaten mit klaren Grenzen, die zu respektieren sind.“ „Nichts im Islam würde einen solchen Herrschaftsanspruch rechtfertigen“, betont ein weiterer führender Islam-Gelehrter der al-Azhar-Universität, Ibrahim al-Hudud: „Dies gilt auch für Selbstmordanschläge, die das Leben von Unschuldigen fordern. Sie stehen im krassen Gegensatz zum islamischen Recht, der Scharia.“19

      Im Universum des IS zählen solche Bedenken wenig. Die Schlagkraft des Kalifats erklärt sich vor allem daraus, dass Selbstmordattentäter als Teil eines eiskalten Kalküls im Angriffskrieg eingesetzt werden. Der „Blitzkrieg“ des Jahres 2014 war nur möglich, weil Dutzende Selbstmordattentäter die Reihen der Gegner sprengten. All dies vermittelte einen Mythos der Stärke, der noch mehr ausländische Kämpfer anzog, die darum wetteiferten, zu Märtyrern zu werden. Sprunghaft stiegen die Ausreisen ab diesem Moment an. Mindestens 20.000 Ausländer aus hundert Staaten der Welt kämpften Mitte 2015 bereits in den Reihen des IS. Da nach Beginn der Militärschläge der internationalen Anti-IS-Koalition pro Monat tausend neue Kämpfer kamen,20 blieb die Armee des Kalifats intakt, auch wenn bei Luftschlägen der internationalen Anti-IS-Allianz bis Juni 2015 laut Angaben des US-Verteidigungsministeriums mehr als 10.000 ihrer Kämpfer getötet wurden.21

      Neben der Zahl von 20.000 ausländischen Kämpfern, die Sicherheitskreise in Europa und den USA nennen, kursieren aber auch andere, wesentlich höhere Schätzungen. So meint Abdel Rahman vom „Syrischen Beobachtungszentrum für Menschenrechte“, dass allein in Syrien 50.000 Ausländer aufseiten des IS kämpfen würden; das russische Militär wollte Anfang 2015 gar von 70.000 wissen. Bereits Im Juli 2014 warnte der irakische Terrorexperte Hisham al-Hashimi vor „bis zu 100.000 ausländischen Dschihadisten“. In dieser Zahl sind bewaffnete Einheiten inkludiert, die nicht im eigentlichen militärischen Konflikt eingesetzt werden: Polizeieinheiten, Leibwächter, lokale Milizen in besetzten Städten sowie Paramilitärs, die zu den verschiedenen Sicherheitskräften des IS gehören.22 Wie viele es wirklich sind, weiß niemand mit Sicherheit, denn es gibt keine Chance, unabhängig im IS zu recherchieren. Dazu kommt: Meist beziehen sich

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