Mit Amor auf der Walze oder „Meine Handwerksburschenzeit“ 1805–1810. Harald Rockstuhl

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Mit Amor auf der Walze oder „Meine Handwerksburschenzeit“ 1805–1810 - Harald Rockstuhl

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plaudern soll, wenn sein Mund es nicht mehr kann – und wahrlich! das ist ihm gelungen.

      Ein erfrischender Mutterwitz, eine Unmittelbarkeit und Treffsicherheit des Ausdrucks, eine Bildhaftigkeit der Darstellung sind ihm eigen, die hier und da an Goethesche Art gemahnen. Soviel Gestalten auch vorüberziehen – alle sind von Fleisch und Blut. Mit ein paar Sätzen, oft ein paar Worten nur, stellt er einen Menschen und sein Wesen greifbar hin; seine eigenen, wohlerkannten, Tugenden und Schwächen zeichnet der Schreiber manchmal mit leisem Spott, stets aber frei von eitler Selbstgefälligkeit wie von heuchlerischer Bemäntelung.

      Ein leises Schalkslächeln in den Augen, die so tief in Menschliches hineingesehen, schaut er von der Höhe eines friedlichen Alters hinab in das sonnige Tal seiner Jugend – die sorglosen Kinderjahre, der Frieden eines gut protestantischen Elternhauses, das Auf und Ab der Landstraße, vielverschlungene Wanderwege mit ihren Schönheiten, Schrecknissen und Abenteuern, eigene und fremde Schicksale, nicht zuletzt die Irrungen eines für Frauenreiz sehr empfänglichen Herzens – alles das drängt sich, aufs neue lebendig, vor den Sinnenden hin und getreulich hält seine Feder es fest. Schreibend wird er, der allzeit offenen Auges seine Straße gegangen, unmerklich auch zum Chronisten seiner Umwelt und so stellt diese Niederschrift, als Ganzes betrachtet, einen höchst fesselnden Ausschnitt aus dem Kulturbild jener Zeit dar.

      Uns Heutige mag es wenig erbauen, daß er, der Kursachse, dem Preußen fast fremder gegenübersteht als dem Franzosen, dessen Sprache und Art er bewundert; ja, wir können es geradezu als Mangel empfinden, daß sich der junge Schwärmer nie von Deutschlands innerer und äußerer Not im Tiefsten erschüttert, nie zu befreienden Taten hingerissen zeigt – doch entspricht dies durchaus dem Charakter einer Zeit, die Deutsche an der Seite Napoleons gegen Deutsche kämpfen sah, entspricht vor allem auch dem Wesen des damaligen Kleinbürgers, dem es ziemlich gleichgültig war, wer oben regierte, wenn nur das eigene Sein und Behagen unangetastet blieb. Nichts kann die natürliche Wahrhaftigkeit des Verfassers besser kennzeichnen als die Tatsache, daß er in seinem Erinnerungsbuche niemals den leisesten Versuch macht, die Denkart seiner Jünglingsjahre in deutschem Sinne umzufärben, obwohl er inzwischen den Niederbruch Frankreichs und den Wiederaufstieg deutschen Geistes erlebt hat. –

      Christian Wilhelm Bechstedt starb im Jahre 1867 zu Langensalza als Bäckermeister in dem Hause, worin schon sein Urgroßvater (geb. 1674, gest. 1747) das gleiche Handwerk betrieb und heute noch ein Enkel es fortsetzt. Von einem Gedrucktwerden seiner Aufzeichnungen hat sich der ehrsame Handwerksmeister wohl nie träumen lassen; dafür spricht schon der rückhaltlose Freimut, womit er über seine mannigfachen Liebesabenteuer berichtet. –

      Erst nach langem Zögern haben seine Nachfahren den dankenswerten Entschluß gefaßt, den sorglich gehüteten Familienschatz der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Sie gingen dabei mit Recht von der Erwägung aus, daß es um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts in Adels- und vornehmen Bürgerkreisen der Memoirenschreiber genug gab, die von ihrer Denk- und Lebensweise Kunde wahrten, dagegen handschriftliche Zeugnisse aus der Welt des kleinen Mannes höchst spärlich vorhanden sind. Wo sonst hätte ein wandernder Handwerksbursche viele Jahre hindurch ein Tagebuch geführt und es später zu solchem Erinnerungswerk ausgebaut, wie es hier vorliegt?!

      Eine gewisse Gunst der Umstände ermöglichte es diesem lebhaften und liebenswürdigen, stets aufnahmebereiten und mitteilsamen Geiste, sich eine Bildung zu erwerben, die weit über seinen Stand hinausging – die aber Voraussetzung war für die Abfassung einer solchen Schrift. Der Schreiber selbst ist sich seiner erhöhten Genuß- und Urteilskraft mit Genugtuung, doch ohne Überheblichkeit bewußt; stets spricht aus seinen Aufzeichnungen der im Grunde schlichte Mann, der das vererbte und erlernte Handwerk mit Lust und Liebe ausübt und fest in dem Boden wurzelt, worauf er steht. Schade, wenn die einzigartige Urkunde, die er hinterließ, im Familienschrein vermodert wäre! –

      Meine Aufgabe war es, die breite Behaglichkeit der Erzählung hier und da zum Vorteil des Ganzen zu kürzen, ohne Wesentliches auszuschalten. Die alte, unser Auge störende Rechtschreibung habe ich durchgängig nicht übernommen; die Echtheit des Buches ist so unzweifelhaft, daß sie durch solche Äußerlichkeiten nicht bewiesen zu werden braucht.

       Potsdam, im März 1925 Charlotte Francke-Roesing

       Langensalza, April 1859

      Heute nehme ich mir vor, für meine Kinder

      und Enkel die Erlebnisse meiner Wander-

      jahre aufzuschreiben. Ich werde alles, worauf

      ich mich noch besinnen kann, so genau wie

      möglich angeben. Man hat ja nicht immer

      Lust zum Schreiben; wenn mir aber der liebe

      Gott noch eine Reihe Jahre das Leben

      schenkt, so wird dies Buch wohl fertig

      werden.

       C. W. Bechstedt

       Kartenausschnitt: Die Königreiche von Sachsen und Westphalen 1808. (Reprint im Verlag Rockstuhl).

       Langensalza gehörte damals zu Sachsen. Nach der Frage, woher er komme, sagte Christian Wilhelm Bechstedt immer: „Ich komme aus Langensalza in Sachsen“. Mit der Neugliederung der preußischen Monarchie nach Napoleons Niederlage kam Langensalza 1816 zu Preußen.

       über meine Jugendjahre bis zur

       Wanderschaft

      Ursprung und Zusammenhänge –

       Die Lateinschule – Großfeuer – Singstunde –

       Der erste Schmerz, Lehre und Gesellen würde –

       Erfurt und die große Glocke – Ein Brandstifter

       wird auf dem Scheiterhaufen verbrannt –

       Die Tanzstunde und ihre Folgen –

      Zur Welt gekommen bin ich in Langensalza am 4. September 1787. Meine Paten waren: Herr Hutters, Herr Miller und die Frau Bertlingen. Getauft hat mich der Magister Kranigfeld in der Bergkirche und dabei gesagt: „Ei, ei, ei! der Junge soll drei Tage alt sein? Das ist ja ein Kerl wie von sechs Wochen.“

      Als ich ungefähr zwei Jahre alt war, starb mein Großvater Bechstedt im Alter von vierundachtzig Jahren. Während er an einem Butterbrote gegessen, hat ihn eine Art Schlagfluß getroffen und ist auch sobald tot geblieben. Er ist ein kleiner, etwas sonderbarer Mann gewesen, hat gern gelesen und geschrieben; es sind jetzt noch Schriften von ihm vorhanden. Ihm hat einmal geträumt, daß er an einem Baum hinauf in den Himmel geklettert sei. Die Schönheiten, die er da gesehen, hat er nicht genug beschreiben können. Petrus aber hat den Eindringling nicht eher wieder aus dem himmlischen Paradies hinausgebracht, als bis er ihm versprochen hatte, er solle ganz gewiß wieder hineinkommen, doch müsse er zuvor auf der Erde noch seine bestimmte Zeit leben. Da ist mein Großvater denn friedlich den Baum hinabgerutscht und aufgewacht.

      Von diesem Traum muß etwas in seinem Gemüte sitzen geblieben sein. Meine Mutter erzählte manchmal, wie gleichgültig er den Verlust irdischer Güter aufgenommen habe. Auch hat er sich mit einigen anderen alten Bäckermeistern beim Spazierengehen um die Stadt zuweilen so verplaudert, daß sie in Jacken, Schürzen und Pantoffeln nach Gotha, auch nach Arnstadt zum Weizenbier gegangen sind, ohne zu Hause

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